»Aus einer nicht beachteten Katze wird ein Tiger«, sagt C. G. Jung. Aufschieben, verdrängen ist keine Lösung, denn das Thema darunter taucht wieder auf. Ganz verständlich, denn es will beachtet werden.
Wir erfahren unsere innere und äußere Kraft viel mehr, wenn es uns auch gelingt, Schweres nicht zu vermeiden, sondern es anzunehmen. Es gilt, sich darin zu üben, es anzunehmen, zu akzeptieren und darin oder damit zu wachsen.
Erleben wir eine Prüfung oder eine schwere Zeit, einen Schicksalsschlag, dann fragen sich viele Menschen: »Warum gerade ich?« Sie fühlen sich als Opfer. Das macht sie hilflos, eine Veränderung scheint außerhalb ihrer eigenen Person zu liegen, womöglich denken sie, andere Menschen seien dafür zuständig.
Die Fragen »Was habe ich davon?« oder »Was kann ich dadurch lernen, erfahren?« beziehen sich auf die eigene Verantwortung, auf die eigenen Möglichkeiten, aus z. B. einem Schicksalsschlag etwas zu lernen. So können wir ihn eher annehmen und akzeptieren. Es sich allzu leichtzumachen, kann verhindern, dass diese innere Kraft trainiert wird. Ähnlich wie im körperlichen Training braucht das mentale Training auch Übung. Und ja, tatsächlich kommen mir frühere Jahre leichter vor – auch wenn ich in diesen Jahren weitaus anders gearbeitet habe. Da gab es zwei Wochen am Stück, zwölf Tage hintereinander, inklusive Wochenende mit jeweils zehn Stunden am Tag.
Aber die Tage damals zogen sich wie Perlen an einer Kette dahin – ganz im Gegenteil zu diesem Jahr. Denn hier ist fast jede Stunde anders – einzigartig, unique. Die Zeit hat eine andere Bedeutung bekommen. Kairos vs. Chronos.
Schwere Momente anzunehmen, wie habe ich das getan?
Was waren die schweren Momente, in denen es dann gelang, einen Moment von Freude oder Glück zu spüren?
Eine lange Nachtfahrt, die Müdigkeit nimmt überhand. Die Lösung: Gespräche führen, die sonst keinen Platz hatten. Singen. Als Beifahrerin dösen. Dankbar sein, zusammen Zeit zu haben. Über Deutschland nachdenken, während ich an den Autobahnabfahrten vorüberfahre. Erinnerungen nachhängen, sie erzählen oder für sich behalten. In den Flow der Nachtfahrt kommen.
Ein ungemütlicher, dunkler Platz, der spät zum Übernachten gefunden wurde. Die Lösung: Dankbarkeit, dass wir einen Platz haben. Noch einmal weiterfahren. In Minutenschnelle Gemütlichkeit schaffen. Eine Geschichte erzählen oder vorlesen. Schnell ins Bett gehen und einschlafen. Noch einmal nach draußen setzen und einen Wein trinken, die Atmosphäre wahrnehmen, Besonderheiten oder Interessantes darin finden. Sterne am Himmel betrachten. Die Natur um mich herum wahrnehmen.
Spät ankommen, ein ungemütlicher Platz, prasselnder Regen, Kälte, Dunkelheit, das Wissen, am kommenden Morgen früh (5.30 Uhr) gleich weiterfahren zu müssen. Die Gasflasche ist leer, im Moment also kein warmes Wasser und keine Kochmöglichkeit. Die Lösung: N., deren Aufgabe es ist, die Gasflasche zu wechseln, wird bereits im Vorhinein bedankt, meine Vorfreude auf eine warme Dusche oder einen warmen Tee ist so stark, dass sie sich überwindet. So haben wir heißes Wasser, auch für eine Wärmflasche. Das Wohlbefinden vor Augen. Ich schaffe im Inneren des Wohnmobils sofort Gemütlichkeit, Kerzen anmachen, meist eine kleine Gemüsebrühe kochen.
Noch ein paar Minuten zusammensitzen und den Tag resümieren. Danken. Warme, weiche Wollsocken anziehen und in die weiche blaue Wolldecke einkuscheln. Dankbarkeit für diesen Tag. Zufriedenheit über das Erreichte.
Übernachten auf dem riesigen Parkplatz eines Messegeländes, wie z. B. der Messe in Köln: Mit Humor herangehen, daran denken, dass dies eine Erinnerung wird, die bleibt. Die Vorteile erkennen. Sich nach draußen setzen und den Platz um das Wohnmobil herum beleben, draußen essen. Sich vor Augen halten, wie schlecht es vielen anderen Menschen genau in diesem Moment geht. Musik anmachen und tanzen. Einfach dableiben und sich nicht mehr dagegen wehren, auch nicht in Gedanken.
Er zieht sich durch, der Gedanke des Einfach-Dranbleibens. Die Extrameile laufen, wie manche sagen. Obwohl ich in den letzten Monaten keinen Marathon mehr gelaufen bin, habe ich das Konzept eines Marathonlaufes in mir: Einfach weitermachen. Das Ziel vor Augen haben, auch dann, wenn es noch weit weg ist. Einfach tun und dieses Einfach-Tun nicht in Frage stellen. Nicht bewerten, nicht viel denken, außer Sätzen wie:
»Wer weiß, wozu es gut ist?«
»Auch das geht vorbei.«
Oder wie eine Altenheimbewohnerin, die ich einige Monate betreute, mehrfach täglich sagte: »Lieber Gott, lass Abend werden, Morgen wird es von allein.« Spielen: »Ich sehe was, was du nicht siehst«, »Lieder raten«, ein Quiz über die Erinnerungen dieser Monate.
Ich glaube, dass genau hier einer der großen Schlüssel für diese besonderen Momente voller Freude und Glück liegt. Wenn die Momente ständig leicht erreichbar sind, dann besteht die Gefahr, dass sie inflationär werden, sich in sich selbst verbrauchen.
Genuss und Freude leben auch dadurch, dass Menschen einfache Momente schätzen können, dass sie nicht danach streben, bereits den nächsten größeren Moment von Freude und Glück zu erleben.
Provokant gesagt: Ein Kind, das bereits mit acht Jahren auf den Malediven Urlaub macht und dort die Strände kennenlernt, wird vielleicht Schwierigkeiten bekommen, einen einfachen See als wunderschön erleben zu können. Die kleinen Abenteuer suchen und schätzen lernen.
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