Aus der Weltraumforschung ist die digitale Technik ebenfalls nicht mehr wegzudenken. Was im Weltraum los ist, was es mit unserem Sonnensystem auf sich hat, wie die schwarzen Löcher zu verstehen sind, ob wir Menschen auf dem Mars leben könnten7 – zu all diesen Fragen senden uns digitale Roboter die Daten.
Auch in der Kunst bahnt sich eine Revolution an. Die britische Sängerin Imogen Heap8 singt auf der Bühne zu einer Musik, die sie digitalen Musikhandschuhen entlockt. Töne, die unsere Ohren noch nie vernommen haben. Musikingenieure basteln an weiteren ungewöhnlichen Instrumenten, um digitale Klangteppiche zu erzeugen, die unsere Hörgewohnheiten radikal verändern werden. Geräusche, die erst in unserem Kopf zu Musik werden.
Das alles geschieht bereits heute. Das Tempo der Veränderungen wird weiter anziehen, denn die Digitalisierung bringt exponentielles Wachstum, und zwar in allen Bereichen, die mit der Digitalisierung in Berührung kommen. Sich dieses exponentielle Wachstum vorzustellen, fällt schwer, es sprengt unsere Denkgewohnheiten. Ein Experiment macht deutlich, worum es geht. Probanden sollten das für sie attraktivste Angebot aus zwei möglichen Varianten auswählen. Angebot A verspricht den Kandidaten jeden Tag 1000 Euro, 30 Tage lang, am Ende werden also 30 000 Euro aufs Konto gebucht. Variante B dagegen hört sich bescheiden an: Der Kandidat erhält einen Cent am ersten Tag, am zweiten zwei Cent, am dritten vier Cent und so weiter, denn wir sprechen über exponentielles Wachstum. Am Ende, also am 30. Tag, sind dies nicht etwa wenige Cent, wie die meisten Probanden vermuteten und sich daher für Variante A entschieden, sondern 536 870 912 Millionen Euro.9
Wir müssen verstehen, dass wir mit der Digitalisierung kein lineares Wachstum mehr vor uns haben, also ein Wachstum, bei dem in gleichen Abständen die konstant gleiche Menge hinzukommt, sondern ein exponentielles Wachstum, bei dem sich in den jeweils gleichen Zeitabständen die Menge jeweils verdoppelt.
Besonders deutlich zeigt sich das in der Genomforschung. Glaubte man 1990 zu Beginn des Projektes, zur Entschlüsselung des Erbgutes bis zum Jahr 2010 zu benötigen,10 war man bereits 2003 damit fertig, sieben Jahre früher. Dabei mussten immerhin drei Milliarden Basenpaare sequenziert werden. Nicht gerade wenig. Ohne die Fortschritte in der Digitaltechnik, die immer größere Datenkapazitäten bietet, hätte das nicht funktioniert. Das drückt auch die Kosten. So verursachte die Sequenzierung im Jahr 2000 noch 100 Millionen Dollar an Kosten, 15 Jahre später nur noch 1000 Dollar11 und bald soll die Entschlüsselung des Erbgutes sich auf rund 100 Dollar beziffern. Das macht die Erforschung vieler Erbkrankheiten erst in diesen Tagen möglich. Die Kombination von stetiger Steigerung der Rechenleistung einerseits und sinkenden Kosten andererseits erlaubt erst den exponentiellen Verlauf der Digitalisierung – im Fall der Gensequenzierung bedeutet dies eine exponentielle Verringerung der Analysekosten. Dieses Beispiel macht deutlich, dass erst durch die fortschreitende Digitalisierung große Datenmengen erzeugt und auch verarbeitet werden können, denn im Kern geht es bei der Digitalisierung um Daten, egal um welche Daten es sich handelt, und diese Daten werden mit immer weiter ansteigender Geschwindigkeit erhoben, verarbeitet und vernetzt. Das Ergebnis sind verbesserte oder komplett neue Möglichkeiten der Kommunikation und Interaktion.
Deswegen potenziert sich nicht nur in der Genomforschung das Wissen exponentiell. Ganz allgemein gilt: Die Sprünge in Bezug auf Wissen und Umsetzung desselben werden aufgrund der Digitalisierung immer größer, die Zeitabstände immer kürzer. Verdoppelte sich das Wissen vor zehn Jahren etwa alle fünf bis sieben Jahre, ist dies heute bereits alle zwei Jahre der Fall, und das Tempo steigt weiter rasant an.12
So rasant, dass das, was wir Zukunft nennen, nicht mehr so undurchsichtig ist wie die Vorhersagen des Orakels von Delphi; stattdessen werden die Vorhersagen dank der gesammelten Daten immer präziser. Das betrifft fast alle unsere Lebensbereiche: Gesundheit, Verkehr, Job und Freizeit, sogar Naturkatastrophen wie Erdbeben und Tsunamis. Aber auch: was wir morgen im Kühlschrank benötigen, welche Hemden und Anzüge wir kaufen, wohin wir in Urlaub fahren und was das Hotel kosten darf, damit wir es buchen. Die Cookies auf unserem iPhone wissen es. Sie haben uns zugeschaut, wenn wir Flüge buchten, Autopreise verglichen und Bücher in unseren Warenkorb legten. Die Cookies kennen uns besser als wir uns selbst und bieten uns die Produkte genau zu jenem Preis an, bei dem wir zuschlagen müssen, weil sie genau auf unsere Gewohnheiten zugeschnitten sind. Alle diese Informationen fließen zusammen zu jenem Gebilde, das Big Data genannt wird. Informationen, die in einer Fülle erhoben werden, die vor der Digitalisierung gar nicht möglich gewesen war, und nun auch noch miteinander verknüpft werden und so Predictions, jene vorausschauenden Datenanalysen, möglich und damit die Zukunft berechenbarer machen.
Die Zukunft voraussagen
Menschen, die sich seit vielen Jahren professionell mit Big Data beschäftigen, sagen, dass Big Data nicht einfach nur ein Mehr an Daten ist, die wir nur vernünftig strukturieren müssen, um sie zu verstehen, sondern dass damit unser ganzes Wissenschaftssystem auf den Kopf gestellt wird. Die Verknüpfung von immer mehr Daten ist nicht nur ein quantitativer Sprung. Es ist ein qualitativer Sprung, die Transformation unseres Denkens und Handelns. Es wird unsere Denkgewohnheiten und unser Verhalten grundlegend verändern. Zuerst in der Wissenschaft. Denn Big Data macht Theorien und wissenschaftliche Modelle überflüssig.13 Das jedenfalls behaupten die Experten. Um das, was ist oder passieren wird, zu verstehen und daraus Handlungsoptionen abzuleiten, brauchen wir in Zukunft keine Denkmodelle mehr.14 Es genügen Korrelationen, gewisse Auffälligkeiten oder erkennbare Strukturen in den Wechselbeziehungen zwischen zwei oder mehr Faktoren. Bisher galten solche Korrelationen in der Wissenschaft als bloße Indizien, Kausalitäten durften daraus nicht abgeleitet werden. Doch die Big-Data-Experten sagen: Kausalitäten brauchen wir nicht mehr.
Die Frage nach dem Warum ist obsolet. In Zukunft genügt die Frage nach dem Was, um handeln zu können.15
Und dieses Was beschreiben die Korrelationen, gestützt auf eine Unmenge an Daten, immer genauer.
Ein Beispiel zeigt, was das bedeutet. Früher starben nicht wenige Frühchen an Infekten. Heute lässt sich das verhindern. Dank der Datenfülle, die inzwischen vorliegt, wissen die Ärzte, dass genau dann, wenn Atmung und Kreislauf bei den Frühchen äußerst stabil sind, nicht Entwarnung, sondern rasches Handeln dringend geboten ist. Denn immer dann, wenn die Vitalfunktionen sich besonders stabil zeigten, erfolgte in den nächsten 24 Stunden eine oft lebensbedrohliche Infektion.16 Die Ärzte handeln heute allein aufgrund dieser empirischen Daten, ohne Antworten auf das Warum zu haben. Zeigen sich die Funktionen von Lunge und Herz übermäßig stabil, sind sie alarmiert und verabreichen Medikamente, bevor eine Infektion auftreten kann. Das hat vielen Frühchen das Leben gerettet. Doch warum die Vitalfunktionen vor einer Infektion sich derart stabil zeigen, wissen wir immer noch nicht. Brauchen wir auch nicht, sagen die Big-Data-Experten. Es reicht, dass wir es wissen. Was Big Data für unsere zukünftige Gesundheitsvorsorge bedeuten wird, lässt sich an diesem Beispiel exemplarisch ablesen. Lebensrettend ist auch der Einsatz der Digitaltechnik im Hinblick auf Naturkatastrophen, etwa bei drohenden Tsunamis und bevorstehenden Erdbeben. Mithilfe der Null und der Eins können diese immer besser vorhergesagt und Hilfsmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden. Verkehr und Wetter sind ebenfalls Bereiche, die von Big Data in Zukunft noch mehr profitieren werden, als sie es ohnehin schon tun. Immer mehr Bereiche werden erfasst und das führt zu grundlegenden Umwälzungen in unserem Leben. So wird auch das menschliche Verhalten mithilfe von Big Data kein Geheimnis mehr bleiben. Wie wir als Person auf bestimmte Dinge reagieren, wie