Abwertung verletzender Botschaften
Menschen mit stark ausgeprägten Selbstoffenbarungs-Ohren beziehen auch unfreundliche Äußerungen nicht auf sich, sondern finden eine Erklärung in der Person des Gesprächspartners. Dies hat den Vorteil, dass verletzende Botschaften auf der Beziehungsebene abgewertet werden können.
Gefahr der Immunisierung
Problematisch ist allerdings die mögliche „Immunisierung durch das (ausschließlich) diagnostische Ohr“ (Schulz von Thun). Ein solcher Empfänger bezieht nichts mehr auf sich, nimmt Kritik nicht mehr konstruktiv wahr. Auch auf die Gefahr der Psychologisierung weist Schulz von Thun hin: „Damit ist gemeint: Eine Sachaussage nur danach zu untersuchen und zu ,entlarven‘, welcher psychische Motor als treibende Kraft dahintersteckt (,das sagst du ja nur, weil du …‘) – und zwar ohne das Gesagte sachlich zu würdigen.“
Beispiel
Beispiel: Ein großes Selbstoffenbarungs-Ohr
Ein Mitarbeiter sagt frustriert zu seinem Chef: „Sie sind ein Schinder. Sie kommandieren mich immer nur herum und können mich nicht leiden!“ Der Vorgesetzte erwidert: „Weil Sie die Arbeit nicht schaffen, behaupten Sie, ich könne Sie nicht leiden!“
Aktives Zuhören
Eine wichtige Kommunikationstechnik des Selbstoffenbarungs-Ohrs ist das aktive Zuhören (siehe auch Kapitel B 2 dieses Buches). Der Empfänger hilft dem Sender durch Aufmerksamkeitsreaktionen (Kopfnicken, Bestätigungslaute etc.), ein eventuell in der eigenen Person liegendes Problem zu erkennen und die Kommunikation zu verbessern. Ein großes „Selbstoffenbarungs-Ohr“ birgt aber die Gefahr, sich nur noch auf den anderen zu fixieren und sich selbst zu vernachlässigen.
Auf „Beziehungs-lauer“
Beziehungs-Ohr
Bei manchen Menschen ist das auf die Beziehungsbotschaften ausgerichtete Ohr so überempfindlich, dass sie sachliche Argumente kaum beachten und das Gespräch immer wieder auf die Beziehungsebene verlagern. In beziehungsneutrale Nachrichten werden dann Beziehungsbotschaften hineininterpretiert: Wenn jemand wütend ist, fühlen sie sich beschuldigt, wenn jemand lacht, fühlen sie sich ausgelacht, wenn sie jemand anschaut, fühlen sie sich kritisch gemustert, wenn jemand wegsieht, fühlen sie sich gemieden und abgelehnt. Sie liegen ständig auf der „Beziehungslauer“.
Beispiel
Beispiel: Ein großes Beziehungs-Ohr
Einige Studenten treffen sich in einer Arbeitsgruppe. Hans sagt zum Tutor: „Du siehst heute richtig gut aus!“ Der erwidert betreten: „Ich weiß, sonst sehe ich immer etwas ungepflegt aus.“
Appell-Ohr
Menschen, deren Handlungen zum großen Teil durch das Appell-Ohr ausgelöst werden, wollen es allen recht machen und selbst den unausgesprochenen Erwartungen der Gesprächspartner entsprechen. Bei starker Ausprägung kann dies tendenziell aufdringlich wirken.
Auf „Appell-Sprung“
Ein übergroßes Appellohr haben Empfänger, die bei der kleinsten Andeutung einer Aufgabe aufspringen und diese für jemanden erledigen. Sie wollen den expliziten und impliziten Erwartungen anderer immer und überall entsprechen: „Sie hören auf der Appellseite geradezu ,Gras wachsen‘, sind dauernd auf dem ,Appell-Sprung‘“. (Schulz von Thun)
Beispiel
Beispiel: Ein großes Appell-Ohr
Ein Projektteam bereitet zusammen das Projekt vor. Ein Mitarbeiter fragt: „Gibt es Kaffee?“ Eine Mitarbeiterin springt auf: „Ich mache sofort noch welchen!“
Folgende Abbildung fasst die in diesem Kapitel skizzierten vier Seiten einer Nachricht zusammen.
Kommunikation nach Schulz von Thun
Wer weiß, dass eine einzige Aussage auf vier unterschiedliche Arten verstanden werden kann, hat gute Voraussetzungen, selbst wirksamer zu kommunizieren.
Beispiel
Beispiel: Eine Frage, vier verschiedene Reaktionen
Ein Vorgesetzter fragt eine Mitarbeiterin: „Haben Sie diesen Brief geschrieben? Er ist voller Fehler.“
Hört die Mitarbeiterin diese Frage mit dem Sach-Ohr, dann nimmt sie den Sachverhalt zur Kenntnis und sagt ja oder nein.
Hört sie mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr, stellt die Mitarbeiterin fest, dass sich der Chef ärgert.
Hört die Mitarbeiterin die Frage mit dem Beziehungs-Ohr und hat sie den Brief geschrieben, dann wird sie eine Kritik an ihrer Arbeitsweise bzw. an ihrer Person aus der Frage hören.
Hört die Mitarbeiterin bevorzugt mit dem Appell-Ohr, registriert sie die Botschaft: Schreib den Brief nochmals, aber bitte fehlerfrei.
Literatur
Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Störungen und Klärungen; Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Das „innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation. 3 Bände. Reinbek: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2002.
Schulz von Thun, Friedemann und Christoph Thomann: Klärungshilfe. Reinbek: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2003.
Schulz von Thun, Friedemann und Maren Fischer-Epe: Coaching: miteinander Ziele erreichen. Reinbek: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2002.
Schulz von Thun, Friedemann u. a.: Miteinander reden. Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. Reinbek: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag 2003.
Stahl, Eberhard: Dynamik in Gruppen. Handbuch der Gruppenleitung. Weinheim: Beltz 2002.
4. Das Modell von Thomas Gordon
Effektivere Zusammenarbeit
Auch der Psychologe Thomas Gordon (1918 – 2002) will den Erfolg zwischenmenschlicher Kommunikation fördern. Zwar richtet er sich an alle gesellschaftlichen Gruppen und Schichten, aber sein besonderes Interesse gilt Führungskräften. Ihnen will er die notwendigen Techniken vermitteln, um die Zusammenarbeit zu effektivieren. Gordon ist der Meinung, dass eine Führungskraft in einem sowohl Spezialist für zwischenmenschliche Beziehungen als auch Fachmann für die ihm übertragene Aufgabenstellung sein sollte.
Gordon basiert sein Konzept der erfolgreichen Führung auf der so genannten non-direktiven Gesprächsführung von Carl Rogers. Wesentlich für erfolgreiche Mitarbeitergespräche sind für Gordon
■ die Technik des Aktiven Zuhörens (siehe Kapitel B2 in diesem Buch),
■ das Senden von Ich-Botschaften sowie
■ die „Jeder gewinnt“-Methode.
4.1 Die Führungskraft als Problemlöser
Bedürfnisse von Mitarbeitern und Führungskräften
Mitarbeiter und Führungskräfte haben Bedürfnisse, die beachtet und befriedigt werden müssen. Es sind Bedürfnisse nach Selbstachtung, Sicherheit, Geborgenheit, sozialer Anerkennung, Unabhängigkeit und Vertrauen.
Bleiben diese Erwartungen und Bedürfnisse sowohl der Führungskraft als auch der Mitarbeiter unbefriedigt, dann resultieren daraus Empfindungen wie Unzufriedenheit, Aggressivität, Niedergeschlagenheit und Frustration. Das kann Konflikte auslösen. Die nachstehende Abbildung veranschaulicht den Soll- und den Ist-Zustand.
Drei