Lebendig!. Michael Herbst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Herbst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783775158800
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nicht die Absicht von Jesus. Doch was spricht gegen die Formulierung fromme Christen? Fromme Christen haben nicht immer den besten Ruf. Für Außenstehende sind Christen oft so etwas wie moralinsaure, homophobe, bildungsfeindliche, vorurteilsbeladene Frömmler, die nicht an Dinosaurier glauben, aber gewiss sind, dass sie die Einzigen sind, die in den Himmel kommen, und denen außerdem heimlich der Gedanke gefällt, dass alle anderen in der Hölle landen.9 Da bekommt man kaum Lust, dazuzugehören!

      Jesus redet nicht von Kirchenmitgliedern, er redet nicht von Frömmlern. Übrigens kommt das Wort »Christ« im Neuen Testament nur dreimal vor, das Wort »Jünger« dagegen 269-mal. Auf Griechisch steht dort »mathetäs«, das heißt so viel wie »Schüler« oder »Lehrling« und schließt sowohl Männer als auch Frauen ein. Im Folgenden verwende ich das Wort »Jünger« auf diese Weise, gemeint sind Männer und Frauen. Das Neue Testament ist ein Buch von Jüngern über das Leben von Jüngern, geschrieben für Jünger und solche, die es werden sollen. Und der Auftrag an die Zwölf lautet: Macht zu Jüngern. Helft Menschen, Jünger zu werden. Geht auf Menschen zu und erzählt ihnen vom Leben als Jünger. Tut alles, damit Menschen Lust darauf bekommen, Jünger zu werden. Gewinnt möglichst viele für ein Leben als Jünger. Am Anfang des Evangeliums sagt Jesus zu einem kleinen Kreis von Menschen: Werdet meine Jünger. Folgt mir nach. Am Ende des Evangeliums sagt Jesus zu diesem kleinen Kreis von Menschen: Zieht die Kreise immer weiter. Alle sollen werden können, was ihr seid: Jünger. Mündig und lebendig.

      Der amerikanische Autor Simon Sinek hat das einmal in einem TED-TALK entfaltet.10 Er zeigt, dass wirklich lebendige und erfolgreiche Unternehmungen auf Erden ein »Warum« haben, und weil sie dieses Warum haben, haben sie ein »Was« und ein »Wie«. Nicht andersherum! Apple ist nicht erfolgreich, weil Steve Jobs gesagt hat: Wir machen Computer und andere Geräte und wir machen das so und so, sondern weil Steve Jobs eine Vision hatte: davon, dass Menschen auf der ganzen Erde miteinander verbunden werden, dass alle überall Zugang haben zu Informationen, zu Bildung, auch zu Unterhaltung, und dass dies alles möglichst einfach und intuitiv zu nutzen sein sollte. Er hatte ein »Warum« und darum hatte er ein »Was« und auch ein »Wie«.

      Wenn wir nur ein »Was« haben, dann sagen wir: »Wir machen zum Beispiel solche Veranstaltungen und wir spielen freitags Fußball, samstags treffen wir uns mit Kindern und Jugendlichen und sonntags organisieren wir mit einigem Aufwand Feiern mit Musik und einer laaangen Rede.« Wenn wir nur das sagen (oder denken), wird uns irgendwann die Luft wegbleiben und die Freude und die Leidenschaft werden immer mehr schrumpfen. Warum sollten wir das alles auch tun ohne ein »Warum«?

      Unser »Warum« heißt: Wir wollen selbst lebendige und mündige Nachfolger von Jesus sein, Jüngerinnen und Jünger, und wir wollen andere gewinnen, dass sie auch Jüngerinnen und Jünger werden. Warum? Weil dies das Beste ist, was Menschen auf Erden angeboten wird. Weil es stimmt, was Dallas Willard über diese besondere Verbindung zu Jesus sagt: »There is no problem in human life that apprenticeship to Jesus cannot solve.«11 Es gibt kein Problem im menschlichen Leben, das in der Schule von Jesus nicht gelöst werden könnte. Furcht, Gier, Rassismus, Hunger, Gewalt, Einsamkeit, Schuld, Tod, Leiden, Zurechtweisung, persönliche Enttäuschungen, gemeinsame Niederlagen, Scheidung, Bitterkeit, Sucht, Hass – das alles kann in der Schule von Jesus gelöst werden. Das schließt ein: Vergebung meiner Schuld, Versöhnung nach langem Streit, Befreiung von Abhängigkeiten, Mut zu neuen Schritten, Geduld im Leiden, Kraft, Unveränderliches zu tragen, Hoffnung über den Tod hinaus. Darum gibt es nichts Besseres, was Menschen geschehen kann, als dass sie Jüngerinnen und Jünger von Jesus werden.

      Merkmale lebendigen, mündigen Christseins

      Wenn wir uns das Matthäus-Evangelium als Ganzes anschauen, dann können wir noch genauer sagen, wie ein Jünger lebt und was ihn ausmacht:

      Ein Jünger lernt bei Jesus, wie das Leben funktioniert, und dadurch verändert es sich. In der Bergpredigt steht eine Menge darüber: ohne Sorge, ohne Hass und Arroganz, mit einem offenen Herzen und einer großzügigen Hand für Arme, mit einer natürlichen Frömmigkeit, in ehelichen Beziehungen, in denen Sexualität ihren rechten Ort findet usw. Wenn ein Jünger lange außerhalb dieser Schule gelebt hat, lernt er manches neu, muss manches verlernen, neu einordnen und anders einüben. Der Clou besteht darin, keinen Lebensbereich vor dem Meister und Lehrer zu verschließen. Die Freude besteht darin, zu erleben, dass das guttut.

      Ein Jünger wird darum Jesus mehr lieben als jeden anderen und alles andere. Je tiefer er versteht, welches Privileg es ist, mit Jesus unterwegs zu sein, desto tiefer wird seine Liebe zu Jesus sein. Alle anderen Beziehungen ordnen sich dahinter ein. Und das tut gut. Es tut gut, wenn mein Ehepartner nicht mein Herr und Heiland sein muss. Auch der Ehe tut das gut. Es tut gut, wenn mein Geld nur ein Mittel ist, und Jesus den Umgang mit dem Geld steuert. Es tut gut, Jesus mehr zu lieben als alles andere.

      Ein Jünger wird sich von Jesus an die Arbeit stellen lassen. Jesus hat seine Jünger eine ganze Weile zuhören und zuschauen lassen. Doch dann hat er gesagt: »Jetzt seid ihr dran. Jetzt dürft ihr meine Arbeit in eurer kleinen Welt tun. Heilen und vergeben, trösten und herausfordern, mahnen und erklären. Ihr werdet dabei Schritt für Schritt eure Grenzen erweitern und mehr und anderes tun, als ihr euch jetzt vorstellen könnt. Ihr werdet dabei spüren, wie reich euer Leben wird, wenn ihr meinem Warum dient.«

      Ein Jünger ist nicht allein. Ein Jünger hat immer andere, und zwar bestimmte andere, mit denen zusammen er Jünger ist. Jesus hat seine Jünger als Gemeinschaft geformt. Die Menschen in seiner Gruppe hätten sonst nie zueinander gefunden. Sie waren füreinander nicht nur nette Freunde, sie waren eine Zumutung und eine Herausforderung. Aber Jesus will das genau so: dass wir verlässliche Weggefährten werden in der Gemeinde der Jünger. Ein Jünger kann nicht allein für sich Jünger sein.

      Einen Jünger lässt Jesus nie im Stich. Wenn man die Geschichte in den Evangelien von vorne bis hinten liest, dann muss man manchmal den Kopf schütteln: Die Jünger bekommen es so oft nicht geregelt, sie sind dermaßen häufig völlig schiefgewickelt, sie enttäuschen Jesus, sie lassen ihn im Stich, sie sind mit ihren kleinen Selfie-Projekten beschäftigt, sie verstehen ihn komplett falsch – und Jesus entlässt sie nicht. Noch am Ende, nach allem, was sie erlebt hatten, was unter anderem eine Auferstehung von den Toten einschließt, heißt es: »Aber einige hatten auch Zweifel« (Matthäus 28, 17). Tolle Truppe! Doch Jesus hält zu ihnen. Er bleibt den Treulosen treu. Er fängt wieder von vorne mit ihnen an. Er sagt es noch einmal. Er vergibt noch einmal. Er sucht ihr Herz noch einmal. Er kann nicht anders. Er will nicht anders. Er lässt nicht los. Niemals. Davon leben Jünger. Es geht hier nie um die Kraft und Kompetenz der Jünger. Es geht um die Kraft und Kompetenz von Jesus. Der leistet am Ende ein riskantes Versprechen, fast einen Eid: Ich bin bei euch, immer und überall, bis zum Ende!

      Darum geht es in der Gemeinde: um diese eine Festlegung im Leben. Dallas Willard sagt: »Ein Jünger ist derjenige, dessen höchstes Ziel es ist, sein Leben so zu leben, wie Jesus es leben würde, wenn er an seiner Stelle wäre.«12 Eine Zeit lang trugen viele junge Christen ein WWJD-Armband: »What would Jesus do?« – »Was würde Jesus tun?« Das ist die große Frage. Unser Warum ist die Erkundung dieses Lebens. Wir wollen an der Hand von Jesus leben lernen und dabei mündig und lebendig werden. Unser Warum ist die Einladung an Menschen, die uns etwas bedeuten: Komm, lerne mit mir, an der Hand von Jesus zu leben. Das ist eine Festlegung: Ich will bei diesem Meister und Lehrer bleiben und alles von ihm lernen, was er mir über diese Kunst zu leben beibringen kann. Das Handwerk, das der Lehrling hier lernt, ist das Leben, nicht die Mitgliedschaft in einer Kirche, nicht eine seltsame Frömmelei, nicht der Erfolg einer Organisation. Die Schule, in die wir als Schülerinnen und Schüler von Jesus gehen, ist das Leben. Wir lernen, wie es gelingen kann. Denn es gibt kein irdisches Problem, das in der Schule von Jesus nicht gelöst werden könnte. Darum bitten wir Jesus, dass wir bei ihm sein dürfen, um von ihm zu lernen, wie er zu leben.

      Das gilt in allem, was wir tun: Wie kann ich mit Jesus und wie Jesus Ärztin sein oder Krankenpfleger, Mutter oder Vater? Wie kann ich mit Jesus und wie Jesus eine Gemeinde oder einen Hauskreis leiten, studieren oder meine Arbeit tun, in der Familie leben, allein sein, auf eine Ehe zugehen, alt werden, Auto fahren, mein Geld verteilen, meine Gefühle im Griff behalten? Wie kann ich mit Jesus und wie Jesus verbindlich