Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman. Peik Volmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peik Volmer
Издательство: Bookwire
Серия: Dr. Sonntag
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740972318
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Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Er hat ein reines, gutes, unschuldiges Herz. Und er denkt mehr an andere als an sich selbst.«

      »Hat er … Ich meine … hat er über mich … also, über uns …?«

      »Ob er über Sie und Ihre gemeinsame Beziehung gesprochen hat?«

      »Ja.«

      »Oh, das hat er. Oft sogar. Eigentlich hauptsächlich.«

      »Und?«

      Bruder Basilius lachte.

      »Beichtgeheimnis, Herr Doktor. Aber vielleicht reicht Ihnen ja schon die Tatsache, dass ich Sie anrufe und bitte, ihn abzuholen. Ich bin sicher, seine Wahl zu kennen.«

      »Ich stehe in Ihrer Schuld, Bruder Basilius. Ich würde Ihnen so gern etwas Gutes tun zum Dank. Aber ich glaube, dass Sie keine Geschenke annehmen dürfen, oder?«

      »Meine Belohnung liegt in Ihrer Dankbarkeit und in dem Umstand, einem Menschen wie Emmerich begegnet zu sein. Es gibt zwischen uns keine Schuld. Aber vielleicht begegnen Sie einmal jemandem, der unglücklich, hungrig, einsam ist. Wenn Sie dann an mich denken und diesen Menschen aufrichten, wäre das wunderbar.«

      »Ich glaube, ich verstehe, warum Emmerich sich bei Ihnen so wohl gefühlt hat«, erklärte Timon. »Sagen Sie … Falls es mir einmal schlecht gehen sollte, meinen Sie …«

      »Denen, die Hilfe suchen, stehen unsere Türen immer offen«, erwiderte Bruder Basilius.

      *

      Ja, und nun stand er links vom Eingang des Klosters. Der dunkelblaue Kleinbus mit der Aufschrift ›Kloster Benediktbeuern‹ parkte rechts.

      Bruder Basilius öffnete die Tür und gab den Blick auf Emmerich frei. Dieser bewegte sich zielsicher auf den Bus zu.

      »Emmerich!«, rief Timon.

      Der Angesprochene fuhr zusammen. Sein kurzes Zögern währte nur Bruchteile von Sekunden, auch wenn sie für Timon eine Ewigkeit zu dauern schienen. Mit wenigen Sätzen war er bei ihm, ließ die Tasche fallen und hielt ihn im Arm.

      »Ingwer und Koriander«, flüsterte er, an dessen Haar riechend. »Kaum zu glauben, wie sehr mir das gefehlt hat! Ich lass dich nie wieder los.«

      Bruder Basilius hatte die Szene beobachtet. Sein Herz war erfüllt von Freude. Und Dankbarkeit.

      »Herrgott, Vater im Himmel!«, betete er für sich, »wie wunderbar ist Deine Schöpfung. Und es ist genauso, wie der Apostel Paulus an die Korinther schreibt. Die Liebe ist das Größte.«

      *

      »Hast du dich schon um einen Platz bei der Schülerhilfe gekümmert, Lukas?«, erkundigte sich der Chefarzt bei seinem Sohn.

      »Nö. Warum?«

      »Nachhilfestunden. Das mit England hat ja leider nicht geklappt, was ich persönlich sehr schade finde. Aber egal: Englisch braucht man heutzutage. Wir leben in Europa, und zwei Sprachen müssen junge Menschen fließend beherrschen: Englisch und Spanisch.«

      Lukas schwieg und schnibbelte ein Stück vom Rand seiner Pizza. Gott sei Dank kommt Corinna morgen heim, dachte Egidius. Dann kehren endlich wieder normale Verhältnisse ein!

      »Sei so lieb und kümmere dich, ja?«

      »Kein Bock auf Englisch. Voll aggro, die Leute!«

      »Du meinst, mit den Butterfields bist du nicht gut ausgekommen? Ich habe einmal mit ihr telefoniert! Sie schien mir doch ganz nett zu sein!«

      »Die Bitch, ey!«

      »Bitte rede nicht so, Lukas. Du hast es deiner Gastfamilie auch nicht besonders einfach gemacht, dich ins Herz zu schließen. Und das Council of International Contact hat mich darauf hingewiesen, dass eine erneute Anmeldung nicht möglich sei, angesichts deiner Verfehlungen.«

      Ungerührt stopfte Lukas in weiteres Stück Pizza in seinen Mund. Egidius versuchte, ihm seine Hand auf die Schulter zu legen. Lukas wich der Berührung mit angeekeltem Gesichtsausdruck aus.

      »Ich weiß, Lukas, dass ich wenig Zeit für dich hatte. So geht das, wenn man Menschen für selbstverständlich hält. Man vergisst, ihnen zu sagen, dass man sie lieb hat. Man versäumt festzustellen, wie stolz man auf sie ist. Das ist meine Schuld. Aber hättest du mir nicht helfen können? Ich bin Chefarzt. Das kann ich. Als Vater bin ich eher wohlmeinender Amateur!«

      »Du hast mich weggeschickt!«

      Lukas sagte dies mit heiserer Stimme und enttäuschtem Unterton.

      »Ich habe es gut gemeint, Lukas. Ich hatte gedacht, dass du dich freust. Warum hast du nichts gesagt?«

      Der Junge beantwortete die Frage achselzuckend.

      »Weiß nicht!«

      Es entstand eine weigere Pause. Die Pizza war vertilgt.

      »Sag mal, mein Junge … Das mit den Drogen – das ist doch erledigt, oder? Falls nicht – ich hab das gute Beziehungen zu einem Therapeuten …«

      »Mann, Papa! – Ich geh mal Musik hören!«

      »Wollen wir nicht zusammen …?«

      Lukas sah seinen Vater mit schräg gehaltenem Kopf mitleidig an.

      »Muss ja nicht«, erklärte dieser entschuldigend. Der Junge zog sich zurück.

      Er würde in seine Welt abtauchen, in den Schutz seiner Kopfhörer, die man neudeutsch Over-Ear-Headphones nannte. Damit war er unerreichbar. Diesen Fehler durfte er bei seiner Tochter nicht machen, auf keinen Fall. Auch für Lukas hatte er immer da sein wollen. Aber im entscheidenden Moment hatte er versagt. Er hatte entschieden, was er für das Beste hielt. Und es war keine Entschuldigung, dass der Junge nicht geredet hatte. Er hätte zuhören müssen. Begreifen können. Ohne Schuldzuweisungen. Er schien immer über alles informiert zu sein. An allem teilzunehmen. Zu allem einen Kommentar abgeben zu können. Er war ein wenig wie Gott, der über den Wassern schwebte. Jeder, der ihn beobachtete, würde annehmen, dass er hundertprozentig zugewandt und fokussiert war. Aber das stimmte nicht. Das galt nur für seinen Beruf. Im Privaten war er ein Blender.

      Wieder einmal stellte er fest, dass ein akademisches Studium und der Erwerb von Titeln nicht immer nützt, und dass Wissen und Bildung leider ausgesprochen relativ sind.

      Elisabeths Platzerl

      Wer die Geschichte nicht kannte, hätte im Leben nicht angenommen, dass der Herr und die Dame am Nebentisch, die vergnügt mit ihrem Töchterchen schwatzend den für die Jahreszeit obligatorischen Zwetschgendatschi mit viel Schlagsahne verdrückten, sich noch bis vor Kurzem spinnefeind waren. Leider ist es oft so, wenn Eltern sich trennen. Selbst, wenn man in einem jähen Anfall von Vernunft beschlossen hatte, einander freundschaftlich verbunden zu bleiben, des Kindes wegen. Dann kommen irgendwelche materiellen Forderungen, und die Laune sinkt auf den Gefrierpunkt. Und wenn gar einer der beiden Kontrahenten eine neue Partnerschaft eingeht, dann ist es vorbei mit der Herrlichkeit.

      Schnell verliert der Satz, den man den Kindern zum Trost sagt, an Wert und Gültigkeit. ›Es ist zwar so, dass Mama und Papa sich nicht mehr lieb haben, aber wir bleiben natürlich immer deine Eltern‹, sagt man gern. Faktisch mag das stimmen. Und Trennungen sind sicher sinnvoll, denn Kinder leiden nicht nur darunter, dass Eltern auseinandergehen. Oft ist es sehr viel schwieriger für die Kleinen, täglich Zank, Streit und Sticheleien zu ertragen. Kinder spüren sehr wohl, dass da was nicht stimmt, selbst wenn man bestrebt ist, nicht in deren Anwesenheit zu kämpfen.

      Durch all diese Stadien waren der Herr Oberarzt und seine Lebensgefährtin auch gegangen. Und das wäre vermutlich bis in alle Ewigkeit so geblieben, wenn ihr gemeinsames Kind, Felicitas, nicht so klug und beherzt die Wiedervereinigung der Erwachsenen vorangetrieben hätte. Und wenn nicht ihre Mutter begriffen hätte, dass ihre Verweigerungshaltung letztlich nur dazu geführt hatte, dass die Tochter sie ablehnte.

      Felicitas aber war glücklich. Auch, wenn ihr Papa sich nach solchen Tagen immer wieder verabschiedete und sie mit ihrer Mama nach Hause ging, das