Das Monster im 5. Stock. Regina Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regina Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783969872246
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      8. Ein miserabler Mitbewohner

      Das Frühstück war versalzen, aber minimal besser als das gestern. Wahrscheinlich, weil Sebastian sich diesmal auf das Wesentliche konzentriert hatte: Brötchen, Butter, Marmelade, Wurst, Rührei. Was für ein provinzielles Mahl. Doch es schmeckte. Adrian gab sich dem ungewohnten Gefühl hin, keine Pappe im Mund zu haben, und schlug die Zeitung auf, um das Landei-Gesicht zu verbergen. Die Landei-Stimme hielt sich leider nicht an ihre Abmachung.

      »Du tust der Katze nichts, während ich weg bin, oder?«

      Adrian schwieg. Wofür hielt der Kerl ihn? Für einen Tierquäler?

      »Mann, ich besorg gleich in der Mittagspause ein Katzenklo. Gestern bin ich nur nicht dazu gekommen. Und … und ich glaub dir nicht, dass das Sofa 5000 Euro kostet.«

      »5200.«

      »Ich lass es reinigen, dann sieht man gar nichts mehr.« Sebastian riss eins der warmen, steinharten Brötchen auf. Dampf schlug ihm entgegen. Sein sexy Stallburschenkalender-Gesicht verzog sich vor Glück. »Mmh, das ist der beste Geruch, den’s gibt.«

      »Besser als Katzenscheiße am Morgen?«

      »Greislicher Griesgram.« Fast hätte Adrian es nicht gehört, so leise flüsterte sein Mitbewohner.

      »Wie hast du mich genannt?« Er senkte die Zeitung nur so weit, dass er Sebastians trotziges Gesicht sehen konnte.

      »Äh … mein liebster Mitbewohner?«

      »Vermieter. Ach nein, du zahlst ja keine Miete.«

      »Ich kann Miete zahlen.«

      »Das kannst du dir doch gar nicht leisten.«

      »Pfff.« Sebastian butterte seine Semmel mit dem Enthusiasmus eines hyperaktiven Welpen. »Ist gut, ich bin ruhig.«

      »Gut.«

      Minuten herrlicher Ruhe verstrichen. Warum schmeckten diese Brötchen, die sich außen wie Beton und innen wie nasser Sand anfühlten, so gut? War das irgendein teuflisches Geheimrezept, das sie in den tiefsten Alpendörfern weitervererbten, zusammen mit Kröpfen und Klumpfüßen?

      »Du, Adrian?«

      Die herrliche Ruhe hatte vier Minuten und drei Sekunden gedauert. Immerhin.

      »In zwei Tagen ist Wochenende. Muss ich dir da auch die ganze Zeit aus dem Weg gehen?«

      »Ja.«

      »Und was, wenn du Besuch bekommst? Soll ich dann sagen, ich bin dein Mitbewohner oder muss ich mich verstecken wie«, Sebastian überlegte sichtbar, »ein unehelicher Sohn?«

      »Wenn du mein Sohn wärst, hättest du Manieren.«

      »Wenn ich dein Sohn wäre, wäre ich auch eine muffelige Miesmuschel.« Bevor Adrian ihn daran erinnern konnte, wem diese Wohnung gehörte, sprach Sebastian schnell weiter. »Könnte ich dein Sohn sein? Ich meine … wie alt bist du?«

      »Rate mal.«

      »Fünfunddreißig?«

      »Zweiunddreißig. Und jetzt bin ich beleidigt.« Adrian hob die Zeitung wieder, aber er schaffte es nicht, das Gespräch zu beenden. »Wie alt bist du? Achtzehn?«

      »Nein!« Eine Untertasse klirrte. »Wieso denken immer alle … Ich bin dreiundzwanzig, verdammt! Ich bin ein Mann!«

      Andererseits war diese Unterhaltung viel zu amüsant, um beendet zu werden. »Wenn du wirklich ein Mann wärst, müsstest du nicht darauf hinweisen.« Adrian lächelte sogar. »Und dass dich alle für jünger halten, könnte daran liegen, dass du zu impulsiv bist und bei jeder Gelegenheit flennst.«

      »Das habe ich dir schon erklärt.« Schmollend mampfte Sebastian sein Brötchen. Er sah hinreißend aus. »Und es ist nicht fair. Im Büro sind sie auch alle so. Die tun, als wäre ich zwölf. Weißt du, wie sie mich nennen?«

      »Himbeerburli?«

      »Nein.«

      »Häschen?«

      »Na-hain.«

      »Goldjunge? Spatz? Milchbart?«

      »Nein, du Miesmuschel. Die nennen mich Blondchen.«

      Fast hätte Adrian gelacht. Er rettete sich in ein Husten. Etwas Kaltes floss durch seinen Magen und es war nicht der frischgepresste Orangensaft mit Schalen- und Etikettresten, den Sebastian aufgetischt hatte. Was tat er hier? Warum saß dieser … dieser Junge immer noch an seinem Tisch und schwallte ihn zu?

      »Die nennen dich Blondchen, weil du ein Blondchen bist«, sagte er. »Wenn du Respekt willst, musst du ihn dir verdienen.« Kühl musterte er Sebastian, dessen Ohren sich röteten.

      »Ich hab Vroni gesagt, dass sie mich nicht mehr so nennen soll«, murrte er. »Richtig entschieden. Das hat gar nichts gebracht.«

      »Das kann ich mir vorstellen.« Vroni hatte immer geschaut, mit wie viel sie durchkam. Adrian war am Anfang mit ihr aneinandergeraten. Aber nur einmal.

      »Was soll ich denn tun?«

      Jetzt wurde das auch noch zu einem Beratungsgespräch. Adrian erhob sich, faltete die Zeitung zusammen und nahm seine Kaffeetasse an sich. »Dein Schlüssel hängt am Schlüsselbrett neben der Tür. Räum auf, bevor du gehst. Ich lese in meinem Zimmer weiter, da du offensichtlich nicht verstehst, was ›mich in Ruhe lassen‹ bedeutet.«

      »Aber …« Nun waren selbst Sebastians Wangen gerötet. Hatte Adrian eben gedacht, dass er hinreißend aussah? Er musste schleunigst fort von hier. »Was soll ich denn tun? Wegen Vroni und den anderen? Du klingst, als hättest du eine Idee.«

      Adrian verbiss sich die Antwort. Schweigend zog er sich in sein Zimmer zurück und kam nicht eher daraus hervor, bis die Tür ins Schloss gefallen war. Dann streifte er seine Trainingsklamotten über und begann den Tag. Die Bleidecke des Alltags senkte sich über ihn. Er hatte gar nicht gemerkt, dass sie sich einen Moment lang gelüftet hatte.

      9. Lügengespinste

      »Blondchen, was ist denn los mit dir?« Vroni lachte meckernd. »Wieder keine Wohnung gekriegt?«

      Wastl legte den Rucksack ab und schmiss seine Jacke über den Schreibtischstuhl. »Nein.« Er seufzte. »Das war die vollste Besichtigung, auf der ich je war. Ich bin kaum reingekommen. Ich mein, ich hab meine Mappe abgegeben, aber wenn das klappt, fress ich ’nen Besen. Draußen standen schon wieder drei Jungs mit Seitenscheiteln und Pullovern über den Schultern, die mit ihren Vätern telefoniert haben.«

      »Was, bei dem Wetter?«

      »Einer von denen kriegt die, wie immer.« Wastl warf sich auf seinen Stuhl. »Na, immerhin hab ich einen Monat lang eine Bleibe.«

      »Ach, echt?« Vronis Wimpern klimperten. Susanne beugte sich herüber und Adelheids Rollstuhl näherte sich mit einem mechanischen Surren.

      »Wie, du hast ’ne Wohnung? Wo denn?«

      »Bei einem … Freund«, stotterte Wastl. Mistmistmist. Beim Frühstück hatte Adrian ihm eingeschärft, niemandem zu verraten, wo er wohnte. Vor allem niemandem auf der Arbeit. Warum auch immer. Sebastian hatte es hingenommen, so wie die Geschichte mit dem Büro. »Den, äh, kenn ich noch von zuhause. Er ist zum Studieren hergezogen. Der A… Alfons. Der Hubergruber Alfons.«

      »Namen habt ihr da unten.« Vroni schüttelte den Kopf. »Aber so wie du rumstotterst, ist der etwas mehr als ein Freund, oder?«

      Das ist ein Missverständnis, wollte Wastl sagen. Doch wen interessierte es, wie genau seine Lüge aussah? »Mja, vielleicht. Ich glaub, der mag mich ganz gern.« Innerlich lachte er. Wenn er Adrian nicht lästig gewesen wäre, wäre das schon ein Fortschritt gewesen. »Also … der schaut mich immer so an. So zwischen den Haaren hervor, wisst ihr? Der Alfons hat lange Haare und blaue Augen. TIEFblaue Augen.«