Leichenblässe bedeckte das Gesicht Ritzeraus. Die dargebotene Rechte übersah er. Einen Blick tiefster Verachtung warf er auf den Herzog, dann verliess er schweigend den Saal.
Gleich darauf dröhnte Hufschlag über die Brücke. Ein Reiter jagte zum Tor hinaus. In der Ferne verhallte das Geräusch.
Tiefe Stille herrschte plötzlich im Saal. Lachen und Lärmen waren verstummt, der Hohn auf den Gesichtern der rauhen Gesellen erstarrt. Stumm, tief in Gedanken versunken, sass eine Weile Erich IV. Dann traf er, ruhig und überlegt, alle Anstalten, Stadt und Schloss Bergedorf in den Zustand der Verteidigung zu setzen. Die Fahnen Lübecks senkten sich, und das Banner der Lauenburger stieg auf allen Türmen empor.
*
Im Ratssaal zu Lübeck ging es stürmisch her. Ein Mann, der in wenigen Tagen alt und grau geworden war, stand gebeugten Hauptes vor der Versammlung und erstattete Bericht. Hass und Zorn umbrandeten ihn. Man konnte es nicht fassen, dass Bergedorf, ein Besitz, der mit Gold aufgewogen war, ohne Schwertstreich verloren gegangen sein sollte.
„Wie durftet Ihr den Herzog einlassen, da er mit einem solchen Gefolge kam?“ fragte der Ratsherr Crispin.
Ritzerau erwiderte: „Was würdet Ihr gesagt haben, wenn ich Erich, mit dem wir stets in Frieden und Freundschaft gelebt haben, den Eintritt verweigert hätte und er — mit gutem Recht! — als der Beleidigte uns die Fehde angesagt haben würde?“
„Warum setzet Ihr Euch nicht zur Wehr, wie es sich für einen Edlen geziemt?“
„Hundertmal leichter wäre es für mich gewesen, mit dem Schwerte in der Hand zu fallen, als heute so vor Euch zu stehen, ein Ehrloser in Euren Augen! Weiss Gott, ich bin nicht feige, aber jede Gegenwehr wäre zwecklos gewesen und hätte Hunderten schuldloser Menschen Tod und Verderben gebracht. Der Herzog hätte die mir lieb gewordene Stadt in Asche gelegt. Darum zog ich es vor, in Euren Augen meine Ehre zu opfern, — — vor mir selbst und dem Herrn dort oben aber stehe ich rein und makellos da.“
Ein Murmeln und Raunen ging durch die Reihen der Versammelten. Mancher, der eben noch den Schlosshauptmann verwünscht hatte, wurde weich und milde gestimmt. Das Stimmengewirr verstummte. Der Ritter ergriff aufs neue das Wort.
„Ich selbst bitte darum, in Haft gesetzt zu werden, bis durch Richterspruch mein Schicksal entschieden worden ist. Ich selbst bitte um meine Verurteilung. Mir waren Schloss und Stadt anvertraut, durch meine Schuld gingen sie verloren, — — die Beweggründe können für Euch nicht massgebend sein. Was in meinen schwachen Kräften steht, den Schaden gutzumachen, soll geschehen. Als Ersatz biete ich Euch Leib, Leben, alle Güter und namentlich das Stammschloss an, dessen Namen ich führe. Ich weiss, es ist nur ein Tropfen gegen das, was Ihr durch mich verloren habt, doch mehr zu tun vermag ich nicht.“
Da erhob sich der Bürgermeister Jordan Pleskow, der kühne Feldherr und Feuerkopf. Er rief, und seine Stimme bebte in gerechtem Zorn: „Sind uns heute auch aus mancherlei Gründen die Hände gebunden und vermögen wir im Augenblick dem Räuber seine Beute nicht zu entreissen, vergessen werden wir ihm die Tat nicht! Ich verspreche Euch, es kommt der Tag, wo ich wiederholen werde, was uns mit Hinterlist und Heimtücke entrissen wurde, doch nicht unter der falschen Maske heuchlerischer Freundschaft, nein, in offener Fehde und im ehrlichen Kampf!“
Beifall umbrauste den Redner.
Pleskow hob die Hand und fuhr dann mit erregter Stimme, die einen warmen Unterton barg, fort: „Otto von Ritzerau ist schuldlos. Niemand hätte in seiner Lage anders handeln können, wollte er nicht Blut und Gut sinnlos aufs Spiel setzen. Ich fordere daher, dass man seine Unschuld anerkennt und seinen Kindern sein Erbschloss lässt.“
Alle Ratsherren stimmten dem Bürgermeister zu. Der ehemalige Schlosshauptmann, Ritter Otto von Ritzerau, ging müden Schrittes von dannen, ein gebrochener Mann, den auch die warme Teilnahme des Bürgermeisters nicht aufrichten konnte. Er starb wenige Wochen später.
*
Auf Schloss Bergedorf regierte Erich IV. hart und unerbittlich, wie es seine Art war. Selbst die lübischen Gesandten weigerte er sich zu empfangen. Erst als den Lübeckern die Geduld riss und sie ihn aufforderten, sich für eine Verhandlung oder die offene Fehdeansage zu entscheiden, willigte er in ein Verhandeln.
Am 13. Juli ritten die Abgeordneten der Hansestadt durch das Schlosstor zu Bergedorf. Es wurde eine lange, erregte Verhandlung, und als endlich der Vertrag unterzeichnet war, triumphierte der Lauenburger; denn Bergedorf mit allen dazugehörigen Besitzungen wurde ihm zuerkannt. Er hingegen übernahm die Geldschuld und bestätigte als Pfand Mölln mit den eingeschlossenen Ländereien.
Herrisch und überhebend war Erich aufgetreten. Da rief Pleskow dem Hochmütigen beim Abschied zu: „Es ist noch nicht aller Tage Abend! Es könnte die Stunde kommen, wo Ihr bereuen mögt, die Freundschaft Lübecks verscherzt zu haben!“
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