„Es käme auf die Zahl seines Gefolges an!“
„Ein Herzog kann nicht mit einem halben Dutzend Söldner durch die Lande ziehen. Zudem, selbst wenn ich Bedenken hegte, mit welchem Recht dürfte ich Erich IV. vor der Stadt stehen lassen, mit dem wir in Freundschaft und nicht in Fehde leben!“ — —
Längst war der Stadtvogt gegangen. Tief in Gedanken versunken sass der Schlosshauptmann. Er verstand die Besorgnis seines Freundes nicht. Was sollte er von einem Mann zu fürchten haben, mit dem und mit dessen Geschlecht Lübeck seit einem Jahrhundert in Friede und Freundschaft lebte? — — Sicherlich, Wulf sah Gespenster!
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Am anderen Tag, um die Mittagszeit, lief das Volk zu Haufen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde, dass der Herzog von Lauenburg mit seinen Söhnen und grossem Gefolge sich Bergedorf nahe. Hei, das war einmal eine Abwechslung im Gleichtrott des täglichen Einerlei!
Trommeln und Pfeifen erklangen. In der Sonne blitzten die Hellebarden der Landsknechte, die Rüstungen der Ritter glänzten und blinkten, das herzogliche Banner flatterte im Wind. Reisige und Schützen bildeten den Schluss des Zuges.
Am Sachsentor stand der würdige Stadtvogt, der Ritter Johann Wulf. Seine hohe, stattliche Figur überragte die ihn umgebenden Wachmannschaften. Er war wegen seines ehrbaren, unbestechlichen Charakters und seiner Gerechtigkeit sowohl bei den Herren vom Rat zu Lübeck, als auch in Bergedorf beliebt und angesehen. Sein Gesicht trug offene Züge, seine Augen blickten kühn und unerschrocken in die Welt. Ein mächtiger, ergrauter Vollbart fiel ihm bis über die Brust herab. Auf seiner hohen Stirn lag heute eine Sorgenfalte. Er teilte den lauten Jubel nicht, mit dem Männer, Frauen und Kinder die Ankommenden begrüssten.
Die erste Abteilung war mit klingendem Spiel durch das weit geöffnete Tor marschiert, schwenkte nun im Halbkreis und drängte das schaulustige Volk beiseite. Die Reiter brachten ihre Pferde zum Stehen. Erich IV., ein breitschultriger Mann, sass stolz zu Ross. Ein mächtiger, bunter Federbusch schmückte seinen Helm. Die Nase war gross und kühn gebogen. Sie verlieh seinem Gesicht ein raubvogelähnliches Aussehen. Sein gewaltiger, rötlicher Vollbart war bereits von einzelnen grauen Fäden durchzogen. Unter buschigen Brauen sahen seine Augen auf den Stadtvogt herab. In ihrem Blick lag etwas unheimlich Lauerndes. So mochte ein Wolf seine Beute betrachten, ehe er sie zerriss.
Die Männer sahen sich eine Weile schweigend an. Sie massen sich, und beide spürten die aus dem Instinkt geborene Abneigung des anderen. Ungeduldig näherten sich des Herzogs Söhne; der verschlagene, hinterhältige Erich V. und der händelsüchtige, derbschlächtige Johann. Auch die Vertrauten, Volquin Scharpenberg und Otto Schack, begannen unruhig zu werden. Da besann der Ritter sich seines Amtes und seiner Pflicht. Gewaltsam drängte er die auf ihn einstürmenden Gedanken zurück. Ernst und feierlich reichte er dem Herzog den Willkommtrunk der Stadt Bergedorf. Der leerte den Humpen in einem Zug, reichte ihn zurück und sah den Vogt dabei drohend an. Er schien etwas sagen zu wollen, besann sich dann aber und ritt ohne Dank und Gruss mit seinem Gefolge davon. Finster blickte der Alte ihnen nach.
Lärmend, Hüte schwenkend, trottete die Volksmenge neben dem farbenfreudigen, glänzenden Zug her. Gedankenlos jubelte sie jedem grossen Herrn zu. An der alten Kirche vorbei führte der Weg.
Den Augen des Lauenburgers war nichts entgangen. Er schien mit seinen Betrachtungen zufrieden zu sein. Ein seltsames Lächeln spielte um seinen Mund. Hin und wieder richtete er ein paar Worte an seine Begleiter, in deren Mienen sich kaum noch zu bändigende Unternehmungslust widerspiegelte. Eine starke Erregung hatte sich der Ritter bemächtigt, als plötzlich die vor mehr als 200 Jahren vom Grafen Friedrich zu Orlamünde erbaute trutzige Wasserburg, mit ihren Türmen, Toren, festen Mauern, Wällen und breiten Gräben, vor ihnen lag. Hochmütig warf der junge Erich den Kopf in den Nacken, und unwillkürlich legte sein Bruder die Hand ans Schwert.
Die Lauenburger hatten das Vorwerk erreicht. Die Torflügel des Schutzturmes öffneten sich. Rasselnd senkte sich die Zugbrücke über die eilig dahinfliessende Bille. Über den Wall ritten die Ankommenden. Wieder liess der Herzog seine Blicke aufmerksam nach allen Seiten schweifen. Wahrlich, das war ein fester Platz, den so leicht kein Feind mit stürmender Hand nehmen konnte! Jetzt wurde auch ein Übergang über den zweiten Burggraben heruntergelassen. Trutzig lag vor ihnen das Schloss, auf einer Insel erbaut. Gemählich trabte Erich mit seinem Gefolge durch den wuchtigen Torbogen in den Innenhof. Der Edle Ritzerau, angetan mit prächtiger Rüstung, hiess ihn willkommen. Knechte eilten herbei, waren den Rittern beim Absteigen behilflich und führten die Rosse in den Stall.
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Im Landherrenzimmer sassen der Schlosshauptmann und seine Gäste bei fröhlichem Mahl und reichlichem Trunk. Der Herzog befand sich in bester Laune. Er liess sich über die Zustände des Landes eingehend unterrichten und zeigte ein offenes Ohr selbst für die geringfügigsten Dinge.
Ritzerau erhob sich, nahm den vollen Humpen in die Hand und sprach: „Dieser Trunk sei Euch und Euren Söhnen als lieben, willkommenen Gästen gebracht. Unsere Väter haben in treuer Waffenbrüderschaft Schulter an Schulter gekämpft, die Vergangenheit Lauenburgs und Lübecks ist aufs engste und ruhmreichste verknüpft. Gemeinsam wurden Werke des Friedens und der Sicherheit geschaffen, von denen man noch nach Jahrhunderten sprechen wird. Auch mit Eurem seligen Onkel, Herzog Erich III., waren die Beziehungen stets die besten, und ich selbst habe viele Jahre mit ihm in diesen Räumen in treuer Freundschaft verlebt. Nun hoffe ich, Ihr Herren, dass auch zwischen uns für alle Zeiten gute Nachbarschaft und brüderliche Verbundenheit walten möge!“
Erich erwiderte, und ein hässliches Lächeln zuckte um seine Lippen: „Ihr habt uns einen guten Spruch gesagt, Edler von Ritzerau; doch warum schweigt Ihr, Ritter Wulf, und warum musstet Ihr erst geholt werden? Glaubtet Ihr, Ihr seid mir nicht willkommen, oder bin ich es etwa Euch nicht?“
Ernst und würdevoll erhob sich der Gefragte. „Ich reichte Euch den Willkommtrunk der Stadt Bergedorf. Ihr fandet auf meine Worte keine Antwort — — ich finde keine auf Eure!“
Hohnvoll lachte der Herzog. „Gut, so werde ich sie Euch jetzt nicht schuldig bleiben: Ihr seid Eures Dienstes enthoben, Ritter Wulf! — — Otto Schack, hiermit ernenne ich dich zum Stadtvogt von Bergedorf!“
„Ihr scherzt!“ rief Ritzerau erregt.
Wulf aber entgegnete mit fester Stimme: „Ich bin von der Freien und Hansestadt Lübeck auf meinen Posten gestellt. Seit 27 Jahren fülle ich ihn aus, und niemand anders als der Rat zu Lübeck hat ein Recht, ihn mir zu nehmen!“
„Von dieser Stunde an bin ich hier Herr und kein anderer!“
Der Alte stiess den Stuhl zurück und wollte sich entfernen.
„Ob und wann Ihr geht, bestimme ich, der Herzog!“
Der Schlosshauptmann blickte sich im Kreise um. Hohn und Schadenfreude las er aus allen Mienen. Mühsam beherrscht wandte er sich an Erich: „Ich kann es noch immer nicht glauben, dass Ihr im Ernst sprecht!“
Der Herzog klopfte ihn mit einem hohnvollen Lächeln vertraulich auf die Schulter: „Ich sehe, Ihr habt alles in gutem Stand erhalten. Nun habt Ihr mein Erbe lange genug verwahrt, jetzt nehme ich Euch die Sorge ab. Geht, wohin Ihr wollt. Ich werde mein Eigentum schon selbst verwalten.“
Zornbebend entgegnete der Betrogene: „Ihr habt Euch Eurer Väter und Eures Oheims wenig würdig erwiesen. Ihr habt mein Vertrauen und die Euch geschenkte Gastfreundschaft schlecht gelohnt!“
„Ihr irrt, Ritzerau! Mein Oheim hat sich seines Geschlechtes wenig würdig erwiesen, indem er sein Herzogtum nicht durch die Gewalt des Schwertes einbüsste, sondern an Krämer verschacherte und auf meine Kosten ein gutes Leben führte; denn ich, sein Neffe, bin sein alleinberechtigter Erbe und möchte den sehen, der mir mein Erbteil wieder entreissen will! — Nicht ich habe Eure Gastfreundschaft genossen, nein, Ihr seid bei mir zu Gast gewesen!“
„Freundlich und ohne Argwohn wurdet Ihr aufgenommen und bewirtet. Unter heuchlerischer Maske habt Ihr Euch hier eingeschlichen, das Euch geschenkte Vertrauen mit Füssen getreten! Ihr überrumpelt uns mitten im