Wilhelm Ernst Asbeck
Schloß Bergedorf in sturmbewegter Zeit
Wibe Balje
eine Erzählung aus Alt-Brunsbüttel
Saga
Schloß Bergedorf in sturmbewegter Zeit
© 1938 Wilhelm Ernst Asbeck
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711517826
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Ein gewalttätiger Gast
In den stillen Räumen des Schlosses Bergedorf war vor wenigen Minuten Erich III., Herzog von Sachsen-Bergedorf-Mölln, sanft entschlafen. Der Schlosshauptmann Ritter Otto von Ritzerau drückte ihm die Augen zu und sprach ein stilles Gebet. Eine Träne rann ihm dabei über die Wange. Er war des Verstorbenen einziger Freund. Nicht Weib noch Kind würden an dessen Bahre stehen, niemand würde um ihn trauern. Aber in Lübeck würden die hohen Herren vom Rat aufatmen. Endlich! Ihnen war er ein Dorn im Auge gewesen, dieser Herzog ohne Land, der, so lange er lebte, eine Belastung ihres Stadtsäckels bedeutete.
Erich III. hatte einst ein trauriges, überschuldetes Erbe antreten müssen. Schon im Jahre 1359 sah er sich schweren Herzens genötigt, gemeinsam mit seinem Bruder Albrecht V. die Stadt und Herrschaft Mölln an Lübeck — das reiche Haupt der Hanse — gegen ein Darlehen von 9737 ½ Mark zu verpfänden. Bald darauf wurde er wegen der vor Bergedorf gelegenen Kapelle zum heiligen Kreuz in böse Händel mit dem Stift Ratzeburg verwickelt. Der Grund hierfür waren Geldsorgen gewesen; denn er hatte aus geistlichem Besitz stammende Einnahmen widerrechtlich verpfändet. Zwei Jahre blieb er mit dem Kirchenbann belegt, bis es ihm endlich gelang, sich auf gütlichem Wege zu einigen.
Kurz nach dem Ableben seines Bruders war dann seine wirtschaftliche Lage so misslich geworden, dass er seinen letzten Besitz veräussern musste. Wieder sprang Lübeck ein und zeigte sich wahrhaft grosszügig. Es übernahm den Rest des Herzogtums, darunter Schloss und Stadt Bergedorf, den Hachter Zoll, die Dörfer Nusse, Kurslack, Altengamme und den halben Sachsenwald und zahlte hierfür 26 262 ½ Mark, eine für damalige Zeit ausserordentlich hohe Summe, denn sie entsprach einem heutigen Geldwert von annähernd 2 Millionen. Ausserdem wurde dem Herzog noch auf Lebenszeit die Nutzniessung seiner Besitztümer zugesprochen. Aber die Verwaltung hielt die Hansestadt selbst in Händen. Auch mussten ihr die Männer im Lande und der Rat der Städte Mölln und Bergedorf den Treueid schwören. Von allen Türmen flatterten seitdem die Fahnen mit dem zweiköpfigen Adler mit einem weiss und rot wagerecht geteilten Brustschild, den Landesfarben Lübecks.
Dreissig Jahre waren seitdem verflossen. Mit Gott, der Kirche und aller Welt hatte Erich III. in Frieden und Eintracht gelebt.
*
Wenige Tage nach der Beisetzung Erich III. in der Domkirche zu Ratzeburg — der Bischof Gerhard ehrte sein Andenken durch eine Stiftung — sassen sich im Bergedorfer Schloss die beiden Freunde, der Schlosshauptmann Otto von Ritzerau und der Stadtvogt Johann Wulf, gegenüber. Ihre Mienen zeigten ernste Besorgnis, und ihre Gedanken gingen weite Wege.
Der Stadtvogt nahm noch einmal das Schreiben, das auf dem schweren Tisch zwischen ihnen lag, in die Hand, wiegte sein graues mächtiges Haupt und sah seinen Freund an:
„Gibt es Euch nicht zu denken, dass Erichs Neffe, Erich der Vierte, plötzlich den Wunsch hat, das Schloss seines Oheims kennen zu lernen, wonach er zu seinen Lebzeiten niemals Verlangen gespürt?“
„Ihr seht Gespenster, Wulf! Wie oft hat mein seliger Vater mir erzählt, wie er mit Erichs Vater vor gut einem halben Jahrhundert, Lauenburger und Lübecker Schulter an Schulter, in den Kampf gezogen ist. Wie sie gemeinsam das Raubnest in Linow den Rittern Heine von Brockdorf und Ludeke von Scharfenberg abnahmen und dem Erdboden gleichmachten. Wie sie die Burgen zu Lassau und Bernstorf zerstörten, wie sie innerhalb von zehn Tagen die neun festen Plätze Zechere, Meydorpe, Borcherdestorf, Lanken, Nonnendorf, Culpin und Rehburg mit stürmender Hand gewannen und einäscherten. Vier Tage brauchten sie, um Gudow zu brechen. Es muss ein lustiger Tanz gewesen sein, als Herzog und Hansestadt dem adligen Raubgesindel ihr Handwerk legten! Ja, Wulf, das war Waffenbrüderschaft und Freundschaft, die Lübeck und Lauenburg verband. So ein aus Blut und Eisen geschmiedeter Bund hält stand!“
Wulf hob seinen Humpen: „Kommt, stossen wir an auf das Andenken Eures seligen Vaters, des Ritters Hartwich von Ritzerau und auf das Andenken Erichs des Zweiten!“
Nachdem der Schlosshauptmann einen tiefen Trunk getan hatte, fuhr er fort: „Es muss damals eine seltsame Zeit gewesen sein. Flagellantenbanden zogen, die Geisel schwingend, durch die Lande, und der schwarze Tod ging um. Er fand reiche Ernte. Ganze Ortschaften verödeten. Damals holte er auch den grössten Schalksnarren aller Zeiten, Tyll Eulenspiegel, und als er ihn gepackt hatte, erstarb das Lachen auf seinen Lippen.“
Eine Zeitlang sassen die beiden Männer stumm, in Erinnerungen verloren. Dann begann Wulf wieder: „Ich muss nochmals darauf zurückkommen. Seid auf der Hut, Schlosshauptmann. Erichs des Zweiten Sohn, Erich der Vierte, der sich jetzt selbst zu Gaste ladet, blickt längst mit begehrlichen Augen auf das Erbe seines Onkels. Er trachtet danach, es dem Hause Lauenburg wieder einzuverleiben!“
„Gerede! der Sohn ist Lübeck allezeit genau so gewogen gewesen, wie es der Vater war!“
„Gewesen! Solange sein Interesse sich mit dem unsrigen deckte. Jetzt, wo Erich der Dritte nicht mehr unter den Lebenden weilt, wird er anders denken!“
„Wird! — Woraus schliesst Ihr das? Als er, ein blutjunges Kerlchen, vor mehr als dreissig Jahren mutig für seinen Schwiegervater, Magnus mit der Kette von Braunschweig, eintrat, und in der Schlacht bei Roggendorf von Albrecht von Mecklenburg und Graf Heinrich von Holstein vernichtend geschlagen wurde, wäre er seinen Feinden in die Hände gefallen, wenn nicht Lübeck ihm hinter seinen Mauern Zuflucht und Schutz gewährt hätte. Meint Ihr, so etwas könne vergessen werden?“
„Es sind von hohen Herren schon andere Dinge vergessen worden. Erich der Vierte ist ein herrschsüchtiger, gewalttätiger Fürst. In ihm lebt das unruhige Blut der Mutter, der Gräfin Agnes von Holstein, die, als ihr Mann ausser Lande weilte, selbst zu Feld zog und stets dabei war, wo geraubt, gebrannt und geplündert wurde!“
„Ihr seht Gespenster, Wulf. Sagt selbst, was könnt Ihr an Tatsachen gegen Erich IV. vorbringen?
Nichts! Kaum 15 Jahre sind es her, als er, in die Fusstapfen seines Vaters tretend, den räuberischen Ritter von Lützow anfiel. In neun Tagen nahm er mit starker Hand dessen Festungen Pressyn, Niendorf, Crempse, Swechow, Thurow, brannte sie nieder und sorgte, dass der Lübecker Kaufmann in seinem Lande sicher des Weges ziehen konnte. Und denkt an den Jubel und die Freude, Wulf, als vor knapp vier Jahren in unserer Vaterstadt die ersten mit Salz beladenen Schiffe aus Lüneburg einliefen! Wem haben wir es zu danken? Erich, der selbst die Leute stellte, den Kanal zu bauen. Der die Schleusen anlegen liess, die die flachen Gewässer der Stecknitz und Delvenau schwellten und schiffbar machten. Wieder arbeitete ein Herzog von Lauenburg mit uns Hand in Hand. Er nahm sogar die Feindschaft seiner neidischen, mecklenburgischen Vettern in Kauf!“
„Es ist für ihn und uns ein einträgliches Geschäft gewesen, den Lüneburger Salzhandel, den Wismar bisher über Boizenburg leitete, auf dem Wasserwege an uns zu reissen. Er würde es ebenso unbedenklich mit jedem unserer Feinde getan haben, wenn er Vorteil darin gesehen hätte. Übrigens ist es für uns erst einmal eine recht kostspielige Angelegenheit geworden, die seine Taschen aber sofort füllte, und die Zeche mit dem Mecklenburger liess er uns allein zahlen. Doch