Er war schon fast zehn Jahre alt, als er anfing, zu erkennen, dass ein Unterschied zwischen ihm und seinen Kameraden bestand. Sein kleiner, von der Sonne gebräunter Körper verursachte ihm plötzlich ein tiefes Schamgefühl, denn er erkannte, dass er vollständig unbehaart war, wie eine Schnecke oder ein Reptil.
Er versuchte diesem Übelstand abzuhelfen, indem er sich von Kopf bis zu den Füßen mit Lehm bekleidete, aber dieser trocknete und fiel ab. Außerdem fühlte er sich so unbehaglich dabei, dass er sich lieber schämte, als die Unbequemlichkeit weiter auf sich zu nehmen.
In dem höher gelegenen Landstrich, in dem sich sein Stamm aufhielt, war ein kleiner See und in dessen klaren stillen Wasser sah Tarzan zuerst sein Spiegelbild.
An einem schwülen Tag der trockenen Jahreszeit ging er mit einem seiner Vettern an das Ufer, um zu trinken. Als sie sich hinüberbeugten, spiegelte die ruhige Fläche beider Gesichter wieder: die wilden, schrecklichen Gesichtszüge des Affen, neben denen des aristokratischen Sprösslings eines alten englischen Hauses.
Tarzan war entsetzt. Es war schon schlimm genug, unbehaart zu sein, aber wie konnte er nur eine solche Gesichtsbildung haben! Er wunderte sich, dass die anderen Affen ihn überhaupt noch ansahen.
Dieser kleine Schlitz von einem Mund und diese winzigen, kleinen Zähne! Wie kümmerlich sahen diese aus neben den mächtigen Lippen und den gewaltigen Fängen seiner glücklicheren Brüder! Und diese kleine, schmale Nase, so dünn, dass sie halb verkümmert aussah. Er errötete, als er sie mit den schönen, breiten Nüstern seines Gefährten verglich. Welche großartige Nase! Sie bedeckte ja das halbe Gesicht. Es muss doch gewiss schön sein, so stattlich auszusehen, dachte der arme kleine Tarzan.
Aber als er in seine eigenen Augen sah, da war er noch mehr entsetzt: ein brauner Fleck, ein grauer Kreis, und dann reines Weiß! Fürchterlich! Die Schlangen hatten nicht einmal so hässliche Augen wie er.
Er war so sehr in die Betrachtung seiner Gesichtszüge vertieft, dass er nicht hörte, wie das hohe Gras sich hinter ihm teilte und ein großer Körper sich verstohlen durch den Dschungel schlich. Auch sein Kamerad, der Affe, hörte nichts, denn er trank, und das Geräusch seiner saugenden Lippen und das Gurgeln übertönten die leisen Schritte des Eindringlings.
Keine dreißig Schritte hinter den beiden duckte sich Sabor, die Riesen-Löwin, indem sie den Schwanz hin und her warf. Vorsichtig bewegte sie ihre große Tatze vorwärts, und sie setzte sie geräuschlos nieder, ehe sie die andere hob. So schlich sie näher. Ihr Bauch berührte fast den Boden. Sie glich ganz einer großen Katze, die den Sprung auf ihre Beute vorbereitet.
Jetzt war sie bis auf etwa zehn Fuß an die zwei kleinen, ahnungslosen Spielkameraden herangekommen. Sorgfältig zog sie ihre Hinterfüße unter ihren Körper, während die starken Muskeln sich sichtlich unter dem herrlichen Fell bewegten.
Sie lag fast flach auf der Erde. Nur die obere Krümmung des glänzenden Rückens war sichtbar, als sie sich zum Sprunge anschickte.
Nun wedelte sie nicht mehr mit dem Schweife; ruhig und gerade lag er hinter ihr.
Einen Augenblick hielt sie inne, als ob sie in Stein verwandelt wäre, und dann sprang sie mit einem schrecklichen Schrei auf. Nun hätte man denken können, das wäre von ihr unklug gehandelt, denn ohne diesen Schrei hätte sie sicherer über ihre Opfer herfallen können. Aber Sabor, die Löwin, war eine kluge Jägerin. Sie kannte das unglaublich feine Gehör und die erstaunliche Schnelligkeit des jungen Dschungelvolkes, und sie wusste, dass sie den mächtigen Sprung nicht ohne Geräusch ausführen konnte. Der wilde Schrei aber sollte nicht eine Warnung sein, sondern die armen Opfer vor Schrecken lähmen, wenn auch nur für eine Sekunde, die ihr genügte, um ihre gewaltigen Krallen in das weiche Fleisch zu schlagen und sie am Entfliehen zu verhindern.
Was den Affen betraf, so war ihr Kunstgriff richtig. Der kleine Kerl duckte sich einen Augenblick zitternd, und dieser Augenblick wurde zu seinem Verderben.
Anders war es mit Tarzan, dem Menschenkind. Sein Leben inmitten der Gefahren des Dschungels hatte ihn gelehrt, unerwarteten Vorfällen mit Selbstvertrauen zu begegnen, und die Folge seiner höheren Geisteskräfte war ein schnelles Denken, das weit über den Fähigkeiten der Affen stand.
So regte der Schrei der Löwin das Hirn und die Muskeln des kleinen Tarzan zum augenblicklichen Handeln an.
Vor ihm lag das tiefe Wasser des Sees, hinter ihm der sichere Tod, ein grausamer Tod unter den Klauen und zwischen den Fängen der Löwin.
Tarzan hatte einen Abscheu vor dem Wasser, soweit es nicht dazu diente, seinen Durst zu stillen. Seine wilde Mutter hatte ihn auch gelehrt, das tiefe Wasser des Sees zu meiden, und hatte er nicht erst vor einigen Wochen die kleine Reeta unter der glatten Fläche versinken sehen, sodass sie nie wieder zu ihrem Stamm zurückkehrte?
Aber von zwei Übeln wählte Tarzan rasch entschlossen das kleinere, und noch ehe Sabors Schrei an das Ende des stillen Dschungels gedrungen war und noch bevor das Tier seinen Sprung halb ausgeführt hatte, war Tarzan in das kalte Wasser gesprungen, das über seinem Kopfe zusammenschlug. Er konnte nicht schwimmen, und das Wasser war sehr tief, aber er verlor auch nicht einen Augenblick das Selbstvertrauen und seine Findigkeit, die Kennzeichen eines höheren Wesens waren.
Bei dem Versuch, auf die Oberfläche zu gelangen, bewegte er schnell Hände und Beine, und wahrscheinlich mehr durch Zufall als durch Absicht ahmte er die Stöße eines schwimmenden Hundes nach, sodass er in ein paar Sekunden die Nase über Wasser hatte. So fand er, dass, wenn er sich weiter so bewegte, er weiter im Wasser fortkam.
Er war freudig überrascht über diese neue Fähigkeit, die er sich so schnell angeeignet hatte, wenn er auch keine Zeit hatte, weiter darüber nachzudenken.
Jetzt schwamm er am Ufer entlang, und dort sah er das wilde Tier, das ihm nachstellte, über den leblosen Körper seines kleinen Spielgenossen geduckt.
Die Löwin beobachtete Tarzan gespannt; sie erwartete offenbar, dass er ans Land zurückkehrte.
Der Knabe hütete sich aber wohl davor. Er erhob vielmehr seine Stimme zu dem Hilfe- und Warnruf, der bei den Affen üblich war.
Gleich darauf kam eine Antwort aus der Ferne, und in wenigen Minuten schwangen sich vierzig bis fünfzig große Affen schnell und majestätisch durch die Bäume, dem tragischen Schauplatz entgegen.
Allen voran war Kala, denn sie hatte die Stimme ihres lieben Kindes erkannt, und bei ihr war die Mutter des kleinen Affen, der jetzt tot unter der