Die Mutter hieß Kari und war aus Romedal, während der Vater aus dem Gudbrandsdal stammte, er hieß Johannes Larsen.
Und Mutter Kari hatte eine Schwester, Hildur.
Hildur war trotz ihrer Jugend, sie war eben erst konfirmiert, ein starkes und resolutes Mädchen. Vergeblich suchte sie eine Dienstmagdstelle in nächster Umgebung, Abend für Abend kam sie erfolglos heim. Die Eltern waren vielleicht verstorben, oder sie waren alt und gebrechlich. Vielleicht wohnte Hildur gar bei ihrer älteren Schwester und deren Familie in dem bereits gedrängt vollen Zimmer.
Eines Morgens im Herbst, als Eli erwachte, war alles verändert, etwas war geschehen, was auch sie betraf. Es herrschte eine gedrückte Stimmung! Hildur stand mit dem Rücken zu ihr und knotete einen Sack zu.
Bestimmt war es ein Sonntagmorgen nach der Heuernte. Alle Arbeiten, bei denen Hildur auf den Höfen ein paar Öre verdienen konnte, waren abgeschlossen.
Also musste sie weit weg von hier gehen, um andernorts ihr Leben zu fristen, in Romedal gab es keinen Platz für sie. Sie wagte nicht länger zu warten, um nicht vom Winter überrascht zu werden. So jung und stark wie sie war, konnte sie nicht verlangen, dass die Alten oder gar ihre Schwester Kari sie versorgten, also blieb ihr nichts anderes übrig als aufzubrechen.
Hildur redete demonstrativ laut, als gäbe es da noch mehr Zuhörer als Kari und Johannes und ein paar eben erst aufgewachte Kinder.
Alle sahen Eli an.
Ja, da war noch mehr. Nie zuvor hatten Vater und Mutter Eli gleichzeitig und auf diese Weise angesehen.
Sie sollte mitgehen! Der Beschluss war spät nachts gefasst worden. So hätte man einen Mund weniger zu stopfen, und sie eignete sich nun mal am besten dafür, in dieser Lage das Zuhause zu verlassen. Die Ältesten gingen in die Lehre oder packten daheim ordentlich mit an, und die Jüngsten waren zu klein. Ich hoffe, du verstehst, sagte die Mutter mit einem Blick so voller Wärme wie noch nie zuvor. Und vielleicht würde es Eli ja sogar gelingen bei der neuen Stelle so viel auszurichten, dass sie etwas heimschicken konnte.
Die Mutter lächelte ihr mit diesem neuen, warmen Blick zu, und Klein-Eli wollte am liebsten sterben. Sie fühlte jetzt, wie selten – oder gar nie? – ihr diese Mutterliebe zugeströmt war, sie wollte einfach darin verweilen, sich in dieser Mutterwärme sonnen, was für eine Freude, ach könnte sie doch auf der Stelle sterben und somit alles zum Stoppen bringen.
Man wollte sie loswerden. Warum?
Es war eine Strafe für irgendetwas, natürlich. Doch was hatte sie getan?
Ja, was hatte sie getan. Ihr innerer Richter grinste höhnisch, setzte sich in Positur und legte los, es gab vieles, wollte er sagen.
Trotz Mutters Lächeln, so ungewohnt freundlich und liebevoll, senkte Eli den Blick, schämte sich entsetzlich. Was hatte sie nicht alles getan – war den jüngeren Geschwistern davongelaufen, bis sie weinten, hatte aufgegessen, was ihnen gehörte, sie waren zu klein und konnten nichts sagen, und sie hatte sie auch geschlagen, wenn es keiner sah, ja, hatte sie ganz allgemein gequält, sie hingen schließlich ständig an ihr, und sie wollte doch spielen, wollte in Ruhe gelassen werden. Zwar trug sie die Kleinen auch umher, schleppte und zog sie, doch das war nicht genug, sie schämte sich ungemein. Hätte sie das hier doch nur gewusst! Und dieses Gebet zu Gott im Himmel, er solle den Jüngsten zu sich nehmen, ihr war doch klar gewesen, dass das Sünde war, schwere Sünde, und Gott wusste, was sie getan hatte. Jetzt kam die Strafe dafür.
Etwas für ihr ganzes Leben Entscheidendes geschah an jenem Morgen in diesem Haus in Romedal. Eli wurde fortgestoßen und durfte nie wieder zurückkehren. Es wird behauptet, sie hätte drei Jahre später, im Alter von elf Jahren, einen Besuch daheim gemacht, doch zu diesem Zeitpunkt war sie gewiss völlig verändert. Von anderer Seite habe ich erfahren, dass sie nie mehr heimgekommen ist. Das klingt fast aggressiv – durfte sie nicht, oder wollte sie womöglich nicht?
Etwas war damals geschehen. Das kleine Mädchen Eli, das in Kürze acht Jahre alt werden sollte, musste einen Schock erlitten haben, der alles ausgelöscht hatte, was sie bis dahin erlebt hatte. Und schlimmstenfalls wurde hier tatsächlich eine Strafe vollzogen. Als Erwachsene war Eli eine aufgeweckte Person, wirklich nicht auf den Mund gefallen, wie wir sagen, also schlagfertig und scharfzüngig, vielleicht hatte sie eine Grenze überschritten, hatte jemanden gekränkt? Aber dennoch, sie war schließlich ein Kind, egal, was sie von sich gegeben haben mochte.
Doch damals herrschten andere Zeiten. Kinder waren selten besonders willkommen, sie kamen einfach, das war alles. Selbstverständlich hatte die Natur es so eingerichtet, und ohne Mutterliebe hätte die Familie schon lange nicht mehr existiert, sie ist einfach lebensnotwendig. Vermutlich war ihre Mama traurig, vielleicht hat sie sich sogar widersetzt, und lediglich der Mann hat gesagt, dass Eli nicht bleiben dürfe. Oder es war genau umgekehrt. Auf jeden Fall war das damals ein dramatischer Augenblick, und dass Eli die Sache nicht selbst gewollt hat, davon können wir wohl ausgehen.
Eine Bahnlinie führte nicht sehr weit entfernt in Richtung Hamar vorbei, aber für die Mädchen hieß es natürlich zu Fuß zu gehen.
Nachdem der erste Schock überwunden war, gestaltete sich der Morgen so feiertäglich wie ein Sonntag überhaupt sein konnte, und Eli stand die ganze Zeit im Mittelpunkt. Sie war froh, dass die Eltern es vorzogen, die wahren Gründe für ihre Deportation nicht zu nennen – sie wollte sie nicht hören, ahnte gleichwohl, dass es um ihre Versäumnisse gegenüber den Kleinen ging. Dennoch wirkte das Ganze nun nicht mehr wie eine Strafe, nein, eher wie ein Fest. Das Beste an Kleidung, was die Mutter finden konnte, wurde in Elis Ränzel gepackt. Und alles Essen, was man im Haus entbehren konnte, gab man ihr mit, sogar ein Stück vom Zuckerhut und nicht mal ein besonders kleines, und man ermahnte sie, darauf zu achten, dass es nicht zerbrach oder feucht wurde.
Als sie los sollten, reichten ihnen alle die Hand. Umarmungen, nein, die nicht, das wäre viel zu zudringlich gewesen. Eli knickste vor ihrer Mutter zum ersten und vielleicht letzten Mal, und die Mutter ersparte ihr viel Kummer, indem sie wegsah, so dass Eli nicht erfuhr, dass sie über das eigene Versagen weinte, weil sie die Tochter fortschicken musste, obwohl sie noch nicht einmal acht Jahre alt war.
Der Vater befand sich bereits vor der Tür, er ertrug diese gefühlsstickige Stimmung nicht. Um seinen guten Willen zu zeigen, begleitete er die Mädchen durchs Dorf, vorbei an der Kirche, in der ein paar Stunden später der Sonntagsgottesdienst stattfinden würde.
Ein Herbstmorgen, so aromatisch, freundlich und mild – dort lag der Wald.
Der Vater verneigte sich vor Hildur, obwohl sie gerade erst konfirmiert war, er tat es, um seinen Respekt und seine Wertschätzung zu bezeugen, weil Hildur sich jetzt ihrer Eli annahm, die plötzlich so klein geworden war: Taten sie wirklich das Richtige?
Sie hatten wohl keine Wahl. Man gab sich die Hand, und Eli knickste schüchtern vor ihrem Vater, den sie trotz der heimischen Enge nie wirklich kennengelernt hatte. Er fehlte ihr nicht im gleichen Maße wie die Mutter. Der Weg schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch, er führte in die Zukunft. Jetzt entschied sie sich. Die Gedanken an die Mutter musste sie unterdrücken.
Der Vater blieb stehen und winkte. Als Eli sich umdrehte, kurz bevor sie hinter einer Biegung verschwanden, stand er noch immer am gleichen Fleck. Sie hob den Arm. Und er winkte zurück.
Ein solches Bild verschwindet nicht, falls es sich so ereignet hatte.
Aber warum wanderten sie nach Osten und später dann nach Norden? Logischer wäre doch gewesen, die westliche Richtung nach Stange, zum Mjøsa-See oder gar nach Hamar einzuschlagen? Zumal das auch näher lag. Diese Gegenden waren von alters her wohlhabend, dort gab es gute Ackerböden, große Höfe, und der große See hatte Handel und Verkehr befördert.