Die hörige Frau. Robert Heymann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Heymann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711503744
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fragt, was der nächtliche Lärm bedeute, was denn vorgehe. Man sagt ihr, daß Graf Ranzau sie im Namen des Königs sprechen wolle und mit einer Anzahl von Offizieren im Vorzimmer harre.

      „Graf Ranzau? Im Namen des Königs? Ruft eilends den Grafen Struensee!“ —

      „Ach, Majestät, der Herr Minister ist verhaftet —“

      Da schlägt die Königin in der bitteren Gewißheit ihres Unterganges die Hände vor das Gesicht und ruft aus: „Verraten und verloren! Auf ewig verloren!“ Aber rasch wieder Meisterin ihrer selbst, wirft sie einen Pudermantel über ihr Schlafgewand und sagt: „Laßt sie eintreten, die Verräter! Ich bin auf alles gefaßt.“

      Sie geht den Eintretenden entgegen. Ranzau verbeugt sich zeremoniös und liest der Königin den von dem König unterzeichneten Verhaftungsbefehl vor. „Geben Sie her, ich will es mit eigenen Augen lesen.“

      Der Graf reicht ihr das Papier. Sie liest es vom Anfang bis zum Ende durch, wirft es dann zu Boden, setzt den Fuß darauf und sagt, vor Verachtung zitternd: „Daran erkenne ich die Verräter und den König.“

      Darauf Ranzau: „Majestät, ich bitte Sie, die Befehle des Königs zu respektieren.“

      Mathilde wieder: „Die Befehle des Königs? Befehle vielmehr, wovon er nichts weiß, und Welche nur die infamste Verräterei seiner Torheit entrissen hat. Nein, solchen Befehlen gehorcht keine Königin!“ ...

      Man sieht, diese zwanzigjährige Frau benahm sich ebenso mannhaft, wie Struensee sich weibisch benommen hatte. Sie tat noch mehr: sie, die arme schwache, verlassene Frau, versuchte sogar physische Gegenwehr gegen die Gewalt.

      Ranzau erklärt ihr, daß er seinen Auftrag vollziehen müsse, und daß derselbe kein Zögern vertrage. Worauf die Königin: „Ich verweigere Rede und Fügsamkeit, bevor ich den König gesehen und gesprochen habe.“ Und sie eilt der Tür zu.

      Der Graf vertritt ihr den Weg und stößt eine Drohung aus. „Sie sind ein Elender! Wie, ziemt dieser Ton einem Diener gegen seine Königin? Sie sind der verächtlichste Mensch, ein Schmachbeladener, den ich niemals fürchten werde.“ Ranzau murmelt: „Man muß ein Ende machen —“ und winkt einem der Offiziere mit den Augen. Ein Auftritt hebt an, von dessen Schmach alles Wasser der Ostsee die dänische Aristokratie nicht rein waschen kann.

      Der Offizier packt mit roher Faust die Königin. Sie entreißt sich seinem Griff und stößt einen markdurchdringenden Hilferuf aus. Nun umringen alle die Memmen und Verräter die Unglückliche und werfen sich alle auf sie. Sie durchbricht die Kette, springt zum Fenster, reißt es auf und will sich hinausstürzen. Da faßt sie wieder einer der Schurken. Vom Paroxismus der Wut erfüllt, packt sie den Elenden bei den Haaren und schleudert ihn zu Boden, ebenso einen zweiten, bis sie endlich, von allen zugleich angefallen, nach einem schrecklichen Ringen atemlos, mit aufgelösten Haaren, halbnackt und ohnmächtig zu Boden sinkt ...

      Ranzau zwingt die notdürftig wieder zu sich Gekommene sich anzukleiden, während er sie mit wüsten Schimpfreden überschüttet. Dann schleppt man sie in den Hof hinunter, verschließt sie in die Kutsche und fährt sie nach der Festung Kronburg ins Gefängnis. Und doch war diese furchtbare Stunde noch nicht die bitterste ihrer Leidensgeschichte. Diese kam erst dann, als sie erfahren mußte, daß auch der sie verraten habe, dem sie vertraut, dem sie Ehre, Ruf und Krone geopfert hatte.

      Struensee wurde hingerichtet.

      Die arme Mathilde durfte auf Betreiben ihres Bruders, Georg III., nach Deutschland gehen, wo ihr in Celle eine Zufluchtsstätte bereitet wurde. Am 30. Mai 1772 schiffte sie sich zu Kronburg auf einer englischen Fregatte ein und verließ gebrochenen Herzens ein Land, wo ihre Kinder zurückblieben, und wo ihre Jugend durch den grausamsten Schicksalssturm geknickt worden war. In Celle gewann sie die aufrichtigste Bewunderung und Anhänglichkeit aller, welche ihr nahekamen. Ohne Bitterkeit, doch mit inniger Reue blickte sie auf das zurück, was ihr Irrtum, ihre Verschuldung und ihr Verderben gewesen war. Schlicht, sanft und geduldig trug sie ihr Los. Sie hatte es nicht allzu lange zu tragen. Der Tod war milder gegen sie, als das Leben gewesen: schon am 10. Mai 1775 starb sie, noch nicht vierundzwanzig Jahre alt.

      Wurde je ein Mann ähnlich bestraft, der eine unebenbürtige Frau zu seiner Geliebten gemacht hatte? Ludwig XIV.? Ludwig XV. von Frankreich? August der Starke von Sachsen? Ludwig I. von Bayern? Wer zählt die Namen?

      Es ist begreiflich, daß das Weib alles aufgeboten hat, sich aus diesem Zustand zu befreien. Aber es ergeht der „befreiten“ Frau wie jenem Spartakus, der im Alten Rom die Fesseln der Sklaverei abwarf und nun nicht nur frei sein, sondern die beherrschen wollte, die ihn bis dahin beherrschten.

      So mußte er alles, was er errungen hatte, wieder seinen Händen entgleiten sehen.

      Es scheint die Stellung des Weibes nicht sowohl von der Zeit als von dem Charakter des Volkes, der natürlich den Charakter beider Geschlechter umschließt, abzuhängen. Manche, die davon gehört haben, daß für die Artentwicklung sehr lange Zeit in Anspruch genommen wird, mögen erwidern, was sollen uns ein paar tausend Jahre, die bisherige Geschichte beweist gar nicht, daß die Entwicklung nicht doch noch kommt. Solche mögen ihres Glaubens leben, aber sie müssen uns auch gestatten, anzunehmen, daß in den nächsten Jahrtausenden keine wesentliche Veränderung zu erwarten sei. — —

      Sklavinnen

      Wir haben gezeigt, daß Frauen zu allen Zeiten gehandelt wurden. Wir werden noch beweisen, daß das Weib auch heute in den zivilisierten Staaten Europas trotz seiner „Befreiung“ vielfach gehandelt wird. Die Form entscheidet nicht, sondern die Tatsache. Daß schwarze Frauen in der barbarischsten Weise wie Vieh eingefangen und verkauft wurden, daß weibliche „Kriegsgefangene“ zu allen Zeiten ein ähnliches Schicksal hatten, daß die Bordelle aller Länder noch immer auf teilweise illegalem und unmenschlichem Wege mit „Ware“ versorgt werden, wollen wir nur kurz erwähnen. In einem Werk des Amerikaners John R. Spears über den Mädchenhandel im 18. Jahrhundert heißt es u. a.:

      „Es ist eine erwiesene Tatsache, daß der Liverpooler Sklavenhändler Fortune mit Kapitän Green 343 Sklaven auf einer Reise zu Markt brachte. Die Ursache dieser rapiden Zunahme an Zahl und Leistungsfähigkeit der Sklavenhändler ist leicht ergründbar. Die Pflanzer in Westindien fanden es vorteilhafter, die Sklaven und Sklavinnen in jungen Jahren zu Tode arbeiten zu lassen, als sie im Alter erhalten zu müssen. Der Mangel an Arbeitskräften konnte ja fortgesetzt durch den Import aus Afrika ersetzt werden. Überdies erlaubte die Moral der damaligen Zeit, auf den Profit die allergrößte Rücksicht zu nehmen. So stieg der Preis der Sklavinnen, je mehr gesucht wurden. Eine Sklavin kostete 35 Pfennige. 25 Jahre später wurde der Preis bis auf 70 Pfund erhöht, und das Liverpooler Schiffsunternehmen, das in Händen T. Leylands & Co. war, verrechnete eine Reise mit 24,430 Pfund 8 S. 11 d., wobei die Fracht aus 392 Sklavinnen bestand, d. h. 52 Pfund pro Kopf, ohne Rücksicht auf alt und jung.“

      Von dem Augenblick an, da die Kapitäne ohne weiteres Sklavinnen, die offenbar gestohlen waren, kauften, wurde diese Art Handel bald gewohnheitsmäßig betrieben. Alexander Falconbridge, ein aus dem Sklavenhandel zu Ende des 18. Jahrhunderts bekannter Wundarzt, berichtete vor einem Komitee des britischen Parlaments Einzelheiten aus seinen eigenen Erlebnissen: „Eine Frau war bei einer Nachbarin eingeladen. Sie hatte die Hütte derselben kaum betreten, so fielen zwei Männer über sie her, knebelten sie und brachten sie an Bord des Sklavenschiffes.“

      In der Nähe von Piccaninni Sestus an der Windseite sah William Dowe, wie ein bekannter Sklavenhändler Namens Ben Johnson ein geraubtes Mädchen an Bord brachte. Eben, als Johnson das Schiff auf der einen Seite verließ, legten zwei aufgeregte Männer auf der andern Seite an, um sich nach dem Mädchen zu erkundigen. Als sie ihr Schicksal erfuhren, jagten sie Johnson nach, erreichten und banden ihn, brachten ihn auf das Schiff zurück und boten ihn zum Verkauf an. „Ihr werdet mich nicht kaufen, Kapitän,“ protestierte Johnson, „denn Ihr wißt, daß ich ein bekannter Handelsmann bin!“

      „Warum? Wenn sie dich feilbieten, werde ich dich kaufen, magst du sein, wer immer du willst“, antwortete der Kapitän, und Ben Johnson wurde selbst ein Sklave.

       Man müßte Bände füllen, um