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»Da seid ihr ja.« Evelin empfing die beiden in scheinbar bester Stimmung und schlug vor, das schöne Wetter zu nutzen und den Zoo zu besuchen, anschließend irgendwo zu Mittag zu essen und am Nachmittag ins Kino zu gehen.
Henrik sagte zuerst einmal nichts. Es war besser, wenn Reni sich dazu äußerte. Doch die Kleine schwieg ebenfalls und schaute verunsichert auf ihre Schuhe.
»Na, was meinst du?«, ermunterte er sie, worauf sie schließlich wisperte: »Kommt Tante Gitta auch mit?«
»Das möchtest du gern, nicht wahr?«, stellte Evelin lakonisch fest.
»Ja, dann ist sie nicht so allein.«
Ich komme mir mittlerweile vor, wie der Esel zwischen den beiden Heubündeln, dachte Henrik missmutig. Evelin ist eine Frau, bei der man für Stunden Gott und die Welt vergessen kann, während man sich auf Gitta voll und ganz verlassen kann. Die Liebesglut einer Nacht war im Alltag schnell erloschen, Geborgenheit und Beständigkeit aber blieben. Evelin passte nicht zu ihm, aber auf irgendeine Weise liebte er sie wohl noch, auch wenn er ihr nicht verzeihen konnte, dass sie ihn damals, ohne ein Wort zu sagen, verlassen hatte.
»Natürlich kann deine Tante mitkommen«, antwortete die Frau Doktor scheinbar gut gelaunt, was Henrik unbehaglich die Schultern zucken ließ. Gitta würde auf dieses Treffen sicher gern verzichten, würde sich aber andererseits damit abfinden müssen, dass er Renis Mutter nicht einfach so abservieren konnte. Ohne weiter nachzudenken, meinte er daher: »Du kannst auch bei uns zu Mittag essen. Gitta ist eine gute Köchin. Ich rufe sie an, dann kann sie sich schon darauf einstellen. Na, was meinst du?«
Evelin nagte überlegend an ihrer Unterlippe, ihre Tochter stieß jedoch gönnerhaft hervor: »Na ja, kannst ja mitkommen. Bei uns gibt es heute Spinat mit Ei, hat Tante Gitta gesagt. Das schmeckt ganz prima.«
Spinat mit Ei?! Die Frau Doktor hätte beinahe »igitt« gesagt, beherrschte sich jedoch gerade noch rechtzeitig und erwiderte: »Wenn deine Tante Gitta nichts dagegen hat, dann werde ich euch gern begleiten. Dann kannst du mir auch dein Zimmer und deine Spielsachen zeigen.«
»Ja, mache ich.« Reni fand sich nun offensichtlich mit der ›Muttitante‹ ab. Vielleicht freute sie sich aber auch, bald wieder nach Hause zu kommen.
Henrik atmete erleichtert auf. Möglicherweise war es doch gut, wenn sich seine ›beiden Frauen‹ kennenlernten.
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»Wir haben Evelin unterwegs getroffen und bringen sie zum Mittagessen mit. Du hast doch sicher nichts dagegen?«
Gitta hätte nach Henriks Worten am liebsten den Hörer vor Wut an die Wand geworfen. Was dachte dieser Kerl sich eigentlich? Kaum war die Dame wieder hier, tanzte er nach ihrer Pfeife und konnte sich anscheinend gar nicht mehr daran erinnern, dass sie ihn seinerzeit sozusagen bei Nacht und Nebel verlassen hatte – ihn und ihr Kind. Vielleicht hatte er ihr inzwischen verziehen, vielleicht suchte er aber auch nur wegen Reni eine Versöhnung auf freundschaftlicher Basis. Doch ob nun so oder anders, sie musste diese Frau akzeptieren und eventuell ihre Konsequenzen ziehen.
Eine halbe Stunde später waren sie da, Henrik, Reni und die schicke Frau Doktor, und schienen prächtig miteinander auszukommen. Dann brauchte man Gitta Wenzel wohl nicht mehr, dann war es sicher nur noch eine Frage der Zeit, wann Henrik und Reni nach München zogen. Dann war sie wieder einmal überflüssig.
Es gelang ihr jedoch, gute Miene zu diesem Spiel zu machen, sie war darin ja nicht ungeübt. Sie versorgte die drei und verbrachte den größten Teil des Nachmittages in der Küche. Und wenn Reni nicht ab und zu bei ihr gesessen und von ihren kleinen Erlebnissen erzählt hätte, wäre sie dort auch allein gewesen.
Nach dem Abendessen brachte Henrik seine Verflossene mit dem Auto zu ihrer Pension. Und das dauerte trotz der kurzen Strecke ziemlich lange.
Gitta und die Kleine schliefen jedenfalls schon, als er nach Hause kam. Das glaubte er jedenfalls – und freute sich, nun keine Erklärung für sein langes Ausbleiben abgeben zu müssen.
Am anderen Morgen, nach einer fast schlaflosen Nacht, erkundigte sich Gitta während des Frühstücks: »Ich nehme an, dass du heute und morgen wieder mit Reni und ihrer Mutter etwas unternehmen möchtest?«
»Na ja, wir haben darüber zwar noch nicht gesprochen«, entgegnete Henrik betont gleichmütig. »Aber ich denke, ein Ausflug nach Brinkenau zum Wellenbad wird uns allen Spaß machen. Und dort bekommt man auch etwas zum Essen und Trinken. Na, was meint ihr dazu?«
Da Gitta gerade in ihr Brötchen gebissen hatte, konnte sie natürlich nicht sofort antworten. Reni, die schon ein wenig schwimmen konnte und für ihr Leben gern im Wasser planschte, rief jedoch begeistert: »Au ja, ich hole sofort meinen Badeanzug und meine Schwimmflügel.«
Während sie zu ihrem Zimmer rannte, fragte Henrik erneut: »Und du? Freust du dich auch?«
»Ja, über einen freien Tag freut man sich ja immer. Ich werde mich mit Elsie verabreden. Sie hat erst gestern angerufen und mich zu einer Wandertour durch den Spreewald eingeladen. Dort werden wir auch übernachten.«
»Hat deine Freundin zu Ostern nichts anderes zu tun?«
Gitta zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Du weißt doch, dass Wandern und Radfahren ihre großen Hobbys sind. Und mir würde ein bisschen frische Luft auch ganz guttun.«
»Und die Kleine? Die will doch Ostereier suchen.«
»Kann sie doch. Der Karton mit Süßigkeiten, Buntstiften und so weiter steht in meinem Kleiderschrank. Und da ihr zwei ›Osterhasen‹ seid, werdet ihr mit dem Verstecken wohl keine Schwierigkeiten haben. Außerdem bin ich am Sonntagabend ja wieder da und bringe ihr noch eine kleine Überraschung mit.«
»Trotzdem wird sie traurig sein, wenn du sie allein lässt.«
»Ja, aber nur kurzzeitig. Der Spaß im Wellenbad und beim Eiersuchen wird sie trösten.«
Henrik nickte nur und gab sich den Anschein, überstimmt worden zu sein. In Wirklichkeit sehnte er sich nach dem aufregenden Gefühl, das ihm Evelin vermittelte. Es war beinahe so wie damals.
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Es ist beinahe so wie damals, dachte Gitta ebenfalls.
Henrik war mit der Kleinen vor ein paar Minuten losgefahren, hatte ihr natürlich vorher noch schöne und erholsame Tage gewünscht und seine Tochter etwas barsch ermahnt, endlich den Mund zu halten. Die Tante Gitta hätte sich auch etwas Ruhe verdient.
Ja, die würde sie ganz sicher haben, und zwar in ihrer Wohnung. Nur gut, dass sie die noch hatte und ihre Untermieterin über die Feiertage zu den Eltern gefahren war. So brauchte sie nur noch ihre Freundin anzurufen, damit diese sie nicht verriet, und im nächsten Supermarkt ein paar Vorräte zu kaufen.
Ob sie letztere überhaupt brauchte, wusste sie nicht so genau. Hunger hatte sie jedenfalls nicht, nur das Bedürfnis, nicht mehr denken zu müssen – oder zu weinen, bis die Tränen endlich versiegten.
Henrik versuchte unterdessen, sein schlechtes Gewissen zu beschwichtigen, und redete sich ein, dass es durchaus von Vorteil war, wenn Gitta bei diesem Osterausflug nicht dabei war. Nur so würde er Mutter und Tochter einander näherbringen können. Oder gab es noch einen anderen Grund, einen, den er sich nach der ›Nacht des Wiedersehens‹ selbst verboten hatte?
Evelin hatte diese Probleme nicht. Für sie war er ein freier Mann, der zwar mit einer Frau zusammenlebte, die aber eigentlich doch nur die Betreuerin des Kindes und seine Haushälterin war und nach nichts aussah. Warum sollten sie nicht die alten Gefühle aufwärmen? Und vielleicht vertrugen sie sich jetzt besser als je zuvor, jetzt, da sie älter und reifer waren – und Reni schon ein verständiges Mädchen war. Außerdem war er nicht mehr der ein wenig linkische, naive Jüngling, sondern ein weltgewandter, kluger und attraktiver Mann geworden, ein Mann in einer guten Position, der ebensolches Geld verdiente. Er würde auch in München eine annehmbare Stellung finden, vielleicht sogar eine besser bezahlte als hier