11Psalm 116,7
12Offenbarung 21,4
132. Samuel 6,16
14Apostelgeschichte 5,29
151. Timotheus 2,12
161. Timotheus 2,14–15
175. Mose 21,21
185. Mose 22,11
Lieber David,
ich fliehe doch gar nicht, ich habe Dir ja schon geschrieben, dass ich jeden Sonntag zu Hause bin, an diesem Tag nur meine Mails checke und manchmal auf meinem Laptop ein wenig grafisch arbeite, als Spielerei sozusagen. Ich bin im Moment gestresst – beruflich und familiär. Es ist wie ein Teufelskreis: Je mehr ich mich im Geschäft reinhänge, desto frostiger wird es zu Hause. Je frostiger es zu Hause ist, desto mehr Zeit verbringe ich in unserem kleinen, kreativen Team. Wir sind dort fast wie eine Familie. Wir haben gestern eine geniale neue Grafikerin bekommen, der ich viel beibringen kann. »Reinhold«, hat kürzlich einer gesagt, »mit dir und für dich zu arbeiten, ist eine Lust!« Wir haben viel Spaß zusammen. Meine Frau glaubt mir zwar nicht, dass diese Leute gerne mit mir zusammenarbeiten. Sie täuscht sich, wir nehmen es zwar locker, streben dabei jedoch nach absoluter Perfektion. Dort bekomme ich Anerkennung, zu Hause bin ich der Trottel vom Dienst.
Meine Frau teilte mir gestern mit, sie wolle eine der beiden Sommerferienwochen mit den Freundinnen vom Lesezirkel ohne unsere Familie verbringen. Sie brauche Distanz. Sie hätte die Reise nach Prag schon gebucht. »Die bezahle ich dir aber nicht!«, entgegnete ich feindselig. »Ich habe sie bereits von meinem Lohn bezahlt!«, meinte sie triumphierend. Dann schob sie boshaft nach: »Es ist doch für dich und die Kinder eine Chance, einmal eine Ferienwoche allein zu verbringen. Im Hotel seid ihr gut versorgt.« Eigentlich fand ich die Sache gar nicht so schlecht. Trotzdem wurde ich wütend, weil sie mich vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Mein Stolz war verletzt und ich hatte plötzlich auch Angst: »Wenn das so weitergeht, verliere ich jede Kontrolle über sie. Ich glaube, die achtet mich nicht mehr und macht mit mir, was sie will«, ging es mir durch den Kopf.
Es ist schon reichlich spät. Morgen werde ich sehr früh zur Arbeit fahren. Das Frühstück mache ich mir ja seit Jahren selbst. (Die Frau meines Chefs wartet am Morgen mit dampfender Teetasse und Toast auf ihren Gatten, bis er frisch geduscht und rasiert herunterkommt, um sich für den bevorstehenden Tag zu stärken.) Ich sorge selbst für mich und fahre zur Arbeit, wenn sonst alle im Hause noch schlafen. Ich werde einen wichtigen Tag haben: die nochmalige Präsentation unserer Kampagne. Ich habe ein wirklich gutes Gefühl!
Du hast im letzten Brief Lob (über die Bemerkung vom abwesenden Adam) und auch Tadel verteilt. Entschuldige, das mit der »Gebärmaschine« war wirklich daneben. Ich hoffe, dass mein Zynismus in Zukunft weniger durchschlägt. In meinem Business wird man eben hart. Du hast mir übrigens nicht berichtet, ob Paulus einen Schnaps bestellt hat. Was mir letzthin auffiel: Paulus hat Deine Lieder in seinen Briefen recht frei verwendet. Wo ist da die Ehrfurcht vor dem Text?
Sei gegrüßt
Reinhold
Lieber Reinhold,
was den Schnaps betrifft: Fäulnis- und Gärungsprozesse gibt es bei uns nicht, ergo auch keinen Alkohol. Auch brauchen wir hier oben keine künstlichen Stimmungsheber. »Freude herrscht« – das ist bei uns mehr als ein Spruch. Freude ist einfach da, wie die Luft, die wir einatmen. Wir leben am Lebensstrom.
Ich diskutierte kürzlich mit Paulus darüber, mit welcher Freiheit er meine Liedverse zitierte. »Du hast«, sagte ich ihm, »Verse meiner Lieder in deinen Briefen frei und kreativ zitiert und sie damit in einen neuen Zusammenhang gestellt.« »Kannst du mir ein Beispiel geben«, sagte er und bestellte ein zweites Getränk. Als die Granatapfelschorle mit Feigenzucker gesüßt und Eis durchmengt auf den Tisch kam, sagte ich ihm: »Am Anfang deines Briefes an die Römer hast du Verse aus meinen Liedern aus dem Zusammenhang gerissen und neu aufgemischt, wie dieser Trank, der vor dir steht, es ist.« »Und«, sagte er, »du warst doch auch von Gott inspiriert, als du sangest. Ich war es, als ich an die Römer schrieb. Gleich und gleich gesellt sich gern.« Und dann sprach er davon, wie der »Buchstabe tötet«19, der Geist hingegen lebendig mache, und dass wir in dieser Haltung mit den Heiligen Schriften umzugehen hätten.
Warum ich Dir das schreibe: Ihr müsst beim Lesen unserer von Gott inspirierten Worte um Gottes Geist bitten. Wenn der Zeitgeist Euer Herz erfüllt, gibt’s nichts als plumpen Spott. Das »gerettet werden durch Kinderkriegen« war übrigens gegen die leibfeindlichen Gnostiker gerichtet, welche das Heil in der Abkehr von aller leiblichen Natürlichkeit sahen. Paulus sagte mir, dass er darauf abzielte, dass das Heil in der Natürlichkeit des Alltags wie dem Weitergeben von Leben, und nicht im esoterischen Ausweichen ins Feinstoffliche, Übersinnliche gefunden werden soll. Gar nicht so blöd, und ziemlich aktuell – oder nicht? Wenn Ihr die Bibel mit dem Verstand allein lest, löst sich alles Wunderbare auf, wie wenn man Salzsäure darüber gegossen hätte. (Ich weiß, dass ich Ähnliches schon im letzten Brief schrieb.) Wenn ihr jedoch die Bibel inspiriert durch den göttlichen Geist lest, werdet Ihr den tiefen Sinn hinter den vordergründigen Aussagen entdecken. Ihr werdet vom Messias her, der ja die Mitte der Bibel ist und von dem der Geist ausgeht, die richtigen Antworten auf Eure Zeitfragen entdecken.
Würde mich noch interessieren, wie Deine Nichte Theologie »studiert«. Wie sieht ihr »Vorlesungs- und Studierstubengott« aus? Gottes Geist ist es doch, der Euch lehrt und Euch in alle Wahrheit führt. Ich bin überzeugt, wenn ihr so zusammen vor Gott um den wahren Sinn seines Wortes ringt, findet Ihr die richtigen Antworten, auch auf Fragen, die sich uns noch nicht stellten.
Sei herzlich gegrüßt Dein David
192. Korinther 3,6
Lieber David,
das mit dem »Vorlesungs- und Studierstubengott« meiner Nichte hat mich getroffen. Als ich mein Theologiestudium begann, war ich echt begierig darauf, mehr über Gott zu erfahren. Und ich interessiere mich immer noch für theologische Literatur. Es ist für mich so etwas wie ein Ausgleich, nur bin ich in letzter Zeit nicht mehr dazu gekommen. Auch Sport treibe ich kaum mehr. Ich weiß, dass wir bei Kritik an unseren Nächsten überempfindlich reagieren. Aber es hat mich einfach verletzt, wie Du das ehrliche intellektuelle Ringen meiner Nichte in der Frage nach Gott lächerlich machst. Wie kannst Du Dir anmaßen, den Glauben meiner Nichte zu beurteilen? Ich erwarte von Dir eine Entschuldigung, Dave! Offenbar hat der himmlische Verfasser bei der zweiten, verbesserten Auflage Deines Wesens einen Fehler übersehen, dass Du immer noch so unbarmherzig richten kannst. Entschuldige den Ton, ich bin echt schlecht drauf!
Dabei hatte der Tag doch so gut begonnen: Ich stand wie geplant sehr früh auf und war bei der Präsentation des überarbeiteten Marketingkonzeptes toppräsent. Es ist durchgekommen, mit viel Lob sogar. Durfte mit dem Verwaltungsrat zum Mittagessen und der Präsident hat mir das Du angeboten. Alle Mitglieder der Geschäftsleitung gratulierten mir und Müller fragte mich beim Dessert, ob ich nicht Mitglied der Volkspartei werden wolle. »Es gibt nichts Besseres, um sich seine Netzwerke aufzubauen, als die Politik«, sagte er. Es gibt niemanden, den Müller nicht kennt. Nun ist mir die Volkspartei etwas zu »völkisch«, aber mit dem Stichwort der Politik hat er mir einen Floh ins Ohr gesetzt; die Wirtschaftspartei wäre auf mich zugeschnitten. Der Verwaltungsratspräsident fuhr mich nach dem Essen in seinem Wagen zum Firmensitz zurück, mit Genugtuung teilte ich ihm mit, dass ich dieselbe Automarke wie er fahre. Er sprach wie ein Kenner