Habe ein Thema mit Dir zu besprechen, das wir heute im Café Paradiso diskutiert haben; Paulus war auch dabei, er bestellt meistens eine Granatapfelschorle. Wie kommen bei Euch einige Konfessionen dazu, Frauen predigen zu lassen? Wir verstehen das einfach nicht. Antworte möglichst bald!
Sei herzlich gegrüßt Dein David
P. S.: Lies Deine Bibel bitte genau. Die von Dir erwähnte Stelle stammt nicht aus meinen Gebeten. Aber sie ist trotzdem gut!
Lieber David,
man merkt, dass Du schon längere Zeit in den himmlischen Gefilden logierst. »Nahe am Bibelwort bleiben« oder »die Worte der Schrift betend in sich bewegen«, was meinst Du damit? Wir sollen mehr in der Bibel lesen und Verse auswendig lernen, damit wir sie innerlich wiederholen können, wenn wir gerade den Bus verpasst haben oder sonst warten – am Kopierer bei Papierstau? Meinst Du das?
Ihr versteht nicht, warum bei uns Frauen Pfarrerinnen werden. In der Frage der Ordinierung von Frauen zum Pfarramt bin ich befangen. Meine Nichte, deren Pate ich bin, studiert Theologie. Ich gehöre zu einer Kirche, wo das nicht nur möglich, sondern auch erwünscht ist. Ich meine nicht nur die Ausbildung zur Theologin, sondern auch die Übernahme eines Amtes. Der größere Teil der Christenheit lehnt es jedoch ab, dass Frauen einer Gemeinde vorstehen können. Die größte christliche Kirche verbietet es sogar, dass ein verheirateter Mann Priester wird bzw. dass ein Priester heiratet. Du siehst also, dass da im Laufe der Jahrhunderte in der Entwicklung der Kirchen verschiedene Ausprägungen stattgefunden haben. Sie alle berufen sich dabei auf die biblische Tradition. Die einen auf einzelne Bibelstellen, die anderen mehr auf den Gesamtzusammenhang der Bibel. Bibelstellen (an sich) finde ich nur solche, aus denen man eine Ablehnung der Ordination von Frauen herauslesen könnte. »Die Frau schweige in der Gemeinde. Zu lehren gestatte ich einer Frau nicht«15, so dein Freund Paulus im Originalton. Aber muss man denn alles so wörtlich nehmen? Dann müssten doch konsequenterweise alle Frauen Kopftücher tragen, ohne jeglichen Schmuck einhergehen und einzig als »Gebärmaschinen« ihren Job verrichten. Ich würde einiges darum geben, mit Paulus im Café Paradiso seine Begründung zu diskutieren: »Adam wurde nicht verführt, das Weib wurde vielmehr verführt und ist in Übertretung geraten. Sie wird aber gerettet werden durch das Kindergebären«.16 Gut, es war nicht Adam, der verführt wurde. Aber wo war er gerade in dieser kritischen Zeit. Tummelte er sich mit den Delphinen im Wasser? Jedenfalls war er im entscheidenden Augenblick nicht da.
Ich bin der Meinung, dass viel Unheil gerade daraus hervorgeht, dass Männer äußerlich und innerlich wegtreten. Ich muss Dir vielleicht einmal später von der Arbeitssucht und Fahnenflucht der Väter berichten. Ich bin ja jeden Sonntag zu Hause und rufe nur am Sonntagabend meine Geschäftsmails ab.
Gerade auch bei unserem Thema stellt sich eben die Frage, ob man gestützt auf einzelne, isolierte Bibelstellen in irgendeiner Sache Klarheit bekommen kann. Biblische Aussagen muss man doch in einem Gesamtzusammenhang interpretieren. Sonst müsste man ja einen ungehorsamen Sohn nach biblischen Prinzipien steinigen17 und das Leinen-Wolle-Mischgewebe meines Hemdes wäre Gott nach dem mosaischen Gesetz ein Anstoß.18
David, unsere Gesellschaft verfügt über das Internet. Wir müssen lernen, mit 70 TV-Sendern umzugehen. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Andere Zeiten, andere Sitten, wir haben uns halt entwickelt.
Grüß Paulus von mir. Wenn er das mit der »Gebärmaschine« hört, wird er sich wohl im Café Paradiso gleich einen doppelten Schnaps bestellen.
Dein Reinhold
Lieber Reinhold,
beim Lesen Deiner Zeilen habe ich mich geärgert. Dabei habe ich gemerkt, dass hier oben der Ärger anders ist als bei Euch unten. Irgendwie geläuterter, es fehlt ihm der Stachel, mit dem man sich selbst weh tun oder jemand anders verletzen kann. Aber ehrlich, der Spruch vom »mit der Zeit gehen« ist etwas vom Dümmsten, das ich je gehört habe. Beschäftige Dich ein bisschen mehr mit der Ewigkeit, dann bist Du stets modern. Wechselst Du Deine Überzeugungen wie Kleider, je nach der Mode? Die Grundfrage ist doch in allen Generationen immer die gleiche geblieben: Wie kann man vor Gott ein gelingendes Leben führen? Diese Aufgabe bleibt immer dieselbe. Es ist doch nur die Kulisse unseres Lebens, die wechselt. Die Herausforderungen für die Akteure auf der Bühne des Lebens bleiben durch die Jahrhunderte hindurch dieselben: Kampf ist doch Kampf – ob mit der Steinschleuder oder dem Sturmgewehr. Leiter sein ist doch Leiter sein – ob mit einer Krone oder einer Krawatte ausgezeichnet. Kommunikation ist doch Kommunikation – ob mit Pfeilbogen oder »Phone« (über die Freundschaft mit Jonathan muss ich Dir ein andermal schreiben). Altwerden ist Altwerden – ob mit fünfzig oder fünfundachtzig. Loslassen ist Loslassen – ob durch Krieg oder Krebs erzwungen. In all diesen Herausforderungen bleibt Er, gepriesen sei sein Name, der unerschütterlich treue Gott! Darum lade ich Dich dazu ein, unsere Texte in der Bibel sehr ernsthaft zu lesen. Sie sind geronnene Erfahrung mit Gott! Was Du über die Ordination von Frauen schreibst, habe ich verstanden. Du hast Recht, es geht ja eigentlich darum, wie wir die Bibel verstehen und auslegen sollen. Ich finde das gut, wenn Du nicht einzelne Bibelstellen aus dem Gesamtzusammenhang der Bibel herausbrichst. Jede Stelle in der Bibel muss von der Mitte her, vom Messias, den Ihr den Christus nennt, verstanden werden. Mir ist übrigens erst jetzt, von der Ewigkeit her bewusst, wie auch meine Lieder von Christus her eine neue Bedeutung bekommen haben. Weißt Du, nimm doch die Bibel nicht wie eine Ansammlung toter Buchstaben. Lies sie vor Gott mit der Bitte, dass er Dir selber durch seinen Heiligen Geist das Wort auslege.
Bibellesen mit den Augen ist Beäugen von Papier. Bibellesen mit dem Verstand »schreddert« – nennt Ihr das nicht so? – den Text durch den Apparat der menschlichen Logik. Bibellesen mit dem Herzen ist letztlich der einzige Weg, Gottes Stimme zu vernehmen. Nur noch kurz zwei weitere Bemerkungen zu Deinem letzten Brief: Erstens bitte ich Dich, den verächtlichen Ausdruck »Gebärmaschine« nie wieder zu gebrauchen. Ich mag ihn nicht hören, schon gar nicht von einem Vertreter einer Gesellschaft, die von einer allgemeinen Zeugungs- und Gebärmüdigkeit heimgesucht wird, dass es Gott erbarmt. Ist das wirklich Entwicklung (»wir haben uns halt entwickelt«) oder nicht viel mehr gar gewaltiger Rückschritt?
Zweitens fand ich Deine Ausführungen zum abwesenden Adam echt stark. War der nicht auf seinem (Wacht-)Posten? Mir fällt jedenfalls der Widerspruch zwischen Deiner theoretischen Erkenntnis und Deinem gegenwärtigen Lebensstil auf. Das mit der Arbeitssucht und Fahnenflucht der Väter würde mich näher interessieren. Aber ehrlich gesagt, Du schreibst mir zu locker darüber, so als wäre das einfach ein Naturgesetz, das man hinnehmen müsste. Reinhold, darf ich mal ganz persönlich werden: Was macht Dich so süchtig nach Arbeit? Ist es wirklich Deine Absicht, die Fahne »Vaterschaft« kampflos zu verlassen? Was veranlasst Dich zur Fahnenflucht?
Sei in Verbundenheit herzlich gegrüßt Dein David
6Psalm 131,2
7Psalm 42,6
8Psalm 103,1–2
91.