In dieser Weise untersucht Hume mehrere zentrale Begriffe aus verschiedenen Bereichen der Philosophie wie »Kausalität«, »Freiheit«, »Schönheit«, »Tugend« oder »Gott«. Seine Ausführungen hierzu lassen sich stets als Antwort auf die Frage verstehen, welche konkreten Vorstellungen mit diesen allgemeinen Begriffen verbunden sind und auf welchen Eindrücken diese Vorstellungen letztlich beruhen.
So viel zunächst zum Bereich der Vorstellungen. Um Humes Testverfahren zur Rückführbarkeit von Begriffen auf die ihnen zugrunde liegenden Eindrücke richtig zu verstehen und sicher [29]anwenden zu können, ist es allerdings unabdingbar, sich vor der Auseinandersetzung mit konkreten Anwendungsbeispielen auch über die verschiedenen Arten von Eindrücken klar zu werden.
Eindrücke werden von Hume in primäre und sekundäre unterteilt. (Vgl. T 2.1.1.1; SBN 275.) Die primären Eindrücke (original impressions or impressions of sensation) entstehen, ohne dass ihnen andere Perzeptionen vorausgehen müssen. Zu den primären Eindrücken gehören Sinneswahrnehmungen (sensations), körperliche Lust- und Schmerzempfindungen, aber auch Gefühle wie Hunger oder Müdigkeit. All diese Eindrücke entstehen nicht aus Reflexion, sondern aus der Beschaffenheit unserer Natur. Die sekundären Eindrücke oder Eindrücke der Selbstwahrnehmung (secondary or reflective impressions) gehen hingegen entweder aus primären Eindrücken oder aus deren Vorstellung hervor. Zu ihnen gehören alle Affekte (passions).
Für die Affekte interessiert sich Hume in besonderem Maße. Er sieht in ihnen den Schlüssel zum Verständnis unseres Handelns und unserer Werturteile. Hume teilt sie hinsichtlich ihrer Intensität in ruhige (calm) und heftige (violent) ein. (Vgl. T 2.1.1.3; SBN 276.) Ruhige Affekte werden im Gegensatz zu heftigen eher an ihrer Wirkung als an ihrer Empfindungsqualität erkannt. Zu ihnen gehören zum Beispiel ästhetische und moralische Empfindungen, die Liebe zum Leben oder die allgemeine Bevorzugung des Guten gegenüber dem Schlechten. (Vgl. T 2.3.3.8; SBN 417.) Die Intensität eines Affekts darf nicht mit seiner Stärke verwechselt werden. (Vgl. T 2.3.4.1; SBN 419.) Wenn es zu einem Widerstreit zwischen ruhigen und heftigen Affekten kommt, können sich auch die ruhigen Affekte durchsetzen.
Das zweite Kriterium zur Unterscheidung der Affekte ist die Art und Weise ihrer Entstehung. Hier differenziert Hume [30]zwischen direkten (direct) und indirekten (indirect) Affekten. (Vgl. T 2.1.1.4; SBN 276 f.) Direkte Affekte wie Verlangen und Abneigung oder Hoffnung und Furcht entstehen unmittelbar aus Lust bzw. Unlust oder aus einem natürlichen, nicht näher erläuterbaren Instinkt. Nach Hume gibt es auch zwischen Eindrücken so etwas wie eine natürliche Assoziation, die anders als im Bereich der Vorstellungen allerdings nur auf dem Prinzip der Ähnlichkeit beruht.24 Diese Ähnlichkeit kann die Empfindungsqualität oder auch die Intensität betreffen. Der Geruch einer leckeren Speise weckt den Affekt des Verlangens, weil sich beide Eindrücke hinsichtlich ihrer positiven Empfindungsqualität ähneln. Andererseits wird heftige Liebe eher in heftigen Hass umschlagen als in Gleichgültigkeit.
Indirekte Affekte wie Stolz und Scham, Liebe und Hass oder Mitleid und Schadenfreude erfordern neben einem ihnen ähnlichen Affekt, der ihnen vorangeht, zusätzlich einen gedanklichen Gegenstand besonderer Art. (Vgl. T 2.1.2.4; SBN 278.) Die Entstehung dieser Affekte beruht nach Hume auf einem doppelten Impuls (double impulse; vgl. T 2.1.4.4; SBN 284.), nämlich einerseits auf einer Assoziation von Vorstellungen (association of ideas) und andererseits – wie die direkten Affekte – auf einer Assoziation der Gefühle (association of impressions or emotions). Wenn das Essen gut schmeckt, so reicht diese Tatsache allein noch nicht aus, um Stolz (in Humes Sinne) zu empfinden. Wenn Sie das Essen jedoch selbst gekocht haben, so werden Ihre Gedanken vom angenehmen Geschmack des Essens auf Sie selbst als dessen Ursache gelenkt. Erst aus diesem doppelten Impuls entsteht der Affekt des Stolzes. Überlegungen dieser Art werden insbesondere im Zusammenhang mit Humes Konzeption des moralischen Gefühls wichtig werden.
[31]Die Vernunft und ihre Grenzen
Ein wiederkehrendes Thema in Humes Philosophie ist die Frage nach der Art des Zusammenspiels zwischen Vernunft und Gefühl. Hume versucht zu zeigen, dass viele Prozesse, die wir traditionell auf das Wirken der Vernunft zurückführen, erst durch die Mitwirkung oder sogar unter Leitung des Gefühls zustande kommen. Sein schwacher Vernunftbegriff hat Hume vonseiten seiner Kritiker seit jeher den Ruf eines Skeptikers eingebracht. Diese Einschätzung entspricht durchaus seinem Selbstbild. Wer Hume allerdings auf diesen Aspekt seiner Philosophie reduziert, wie dies bei vielen Interpreten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein üblich war, tut ihm Unrecht. Die Vernunft ist für ihn zwar tatsächlich die »Sklavin der Affekte« (slave of the passions; vgl. T 2.3.3.4; SBN 415). Als Historiker wusste Hume jedoch nur zu gut, dass Sklaven in der antiken Gesellschaft durchaus wichtige Arbeiten zu verrichten hatten. Seine Sklaven-Metapher soll lediglich verdeutlichen, dass die zentralen Entscheidungen nicht von der Vernunft, sondern vom Gefühl getroffen werden.
Abgesehen davon betrachtet Hume die Vernunft durchaus als ein wichtiges und sowohl in der Philosophie als auch im Alltag hoch geschätztes Werkzeug. Die Vernunft arbeitet den Affekten zu, indem sie möglichst korrekte und vollständige Informationen über die Situation liefert, in der wir uns befinden. Diese Informationen rufen ihrerseits bestimmte Affekte hervor oder weisen ihnen die Richtung, zeigen also die Mittel zum Erreichen eines durch die Affekte vorgegebenen Zwecks auf. (Vgl. T 3.1.1.12; SBN 459.)
In erster Linie ist die Vernunft für Hume jedoch einfach das Vermögen, zwischen Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden. Dies gelingt ihr, indem sie Urteile daraufhin überprüft, ob sie mit den realen Vorstellungsbeziehungen (relations of ideas) [32]bzw. den realen Tatsachen (matters of fact) übereinstimmen.25 Die Unterscheidung zwischen Vorstellungsbeziehungen und Tatsachen (vgl. EHU 4.1; SBN 25.) wird oft als »Humes Gabelung« (Hume’s fork) bezeichnet. Was ist mit diesen Ausdrücken gemeint?
Mit Vorstellungsbeziehungen haben wir es vorwiegend im Bereich der Mathematik zu tun. Eine Aussage drückt eine Vorstellungsbeziehung aus, wenn ihre Wahrheit oder Falschheit intuitiv oder demonstrativ erkannt werden kann. Die Aussage »1 = 1« kann intuitiv als wahr erkannt werden. Der Satz des Pythagoras ist zwar nicht intuitiv als wahr erkennbar, seine Wahrheit kann jedoch demonstriert werden, indem man eine lückenlose Kette von Beweisschritten bildet, die jeder für sich genommen intuitiv als wahr erkannt werden. Sätze, die Vorstellungsbeziehungen ausdrücken, liefern uns keine neuen Erkenntnisse über ihr Subjekt, sondern stellen lediglich eine erläuternde Analyse der verwendeten Begriffe dar. In der Philosophie werden solche Sätze daher als analytisch26 bezeichnet. Die Wahrheit einer analytischen Aussage hängt nicht von der Erfahrung ab. Dass die Winkelsumme eines Dreiecks 180 Grad beträgt oder dass ein Junggeselle ein unverheirateter Mann ist, sind a priori wahre Aussagen, ganz unabhängig davon, ob Dreiecke oder Junggesellen tatsächlich existieren. Das Gegenteil dieser Aussagen lässt sich zwar in Worte fassen, kann jedoch nicht klar vorgestellt werden, da eine solche Vorstellung einen Widerspruch enthalten würde. Wer ernsthaft behauptet, die Vorstellung eines verheirateten Junggesellen bilden zu können, hat nicht verstanden, was ein Junggeselle ist.
Sobald wir behaupten, dass etwas existiert oder in der Welt der Fall ist, reden wir nach Hume jedoch nicht mehr über Vorstellungsbeziehungen, sondern über Tatsachen. Die Wahrheit einer Aussage, die eine Tatsache ausdrückt, kann nur durch Rückgriff auf die Erfahrung, also a posteriori überprüft werden. [33]Um zu entscheiden, ob ein Satz wie »Morgen wird es regnen« wahr ist, genügt es nicht, die Bedeutung der verwendeten Begriffe zu kennen. Die Vorstellung des morgigen Tages lässt sich ebenso widerspruchsfrei mit der Vorstellung von Regen wie ohne sie denken. Derartige Sätze werden daher auch als synthetisch bezeichnet, weil in ihnen zwei Vorstellungen miteinander verknüpft werden, die nicht notwendigerweise zusammengehören. Anders als im Fall von Vorstellungsbeziehungen ist das Gegenteil einer Tatsache stets vorstellbar und damit möglich. Eine Tatsache lässt sich daher niemals intuitiv