Unterhalb des Bambuswaldes läuft ein Bach. Manchmal ist er ein Rinnsal, manchmal ist er ein klares Wässerchen, in dem man am liebsten baden würde. Wir lieben ihn, er ist unser Bach. Im Sommer trocknet er manchmal aus, was uns traurig macht. Neben einer kleinen Brücke, die wir mit Mühe gebaut haben, gibt es einen kleinen Teich. Auch der Teich ändert sich ständig. Mitunter scheint er ganz ausgetrocknet, manchmal quillt er über. Im Frühjahr siedeln sich hier Frösche an. Und in dieser seit Jahrhunderten bebauten Gegend, wo der Mensch die Vorherrschaft hat, ist jedes Lebewesen eine Freude.
Gleich oberhalb des Teiches beginnt ein Haselnusswald. Es ist kein Hain, es ist auch kein Buschwerk, es ist ein echter Wald, denn die Haselnussstämme erreichen hier eine Höhe wie bei uns Buchen und Birken. In diesem Wald hausen unsere Mitbewohner, die Haselmäuse. Wenn wir nicht durch Zufall einmal dazugekommen wären, wie eine Schlange eben dabei war, eines dieser lustigen Tierchen zu schlucken, wüssten wir wahrscheinlich gar nicht, dass es welche gibt, es sei denn, man sieht sich die angenagten und leer gefressenen Haselnüsse genauer an. Die Haselmaus hat jedoch einen argen Konkurrenten beim Verzehr der Haselnüsse, nämlich einen Käfer, der ein so perfektes Schneidewerkzeug besitzt, dass er kreisrunde Löcher in eine Nuss schneiden kann.
Die Schlange ließ ihr Opfer aus dem Maul fallen, und die Haselmaus war vor Schreck so gelähmt, dass sie sich in die Hand nehmen ließ. Sie sah uns mit ihren großen braunen Augen an und hatte nicht begriffen, was mit ihr geschehen war. Wir ließen sie im Haselnusswald aus, wo sie mit ihren Artgenossen zwar für eine merkliche Reduzierung unserer Haselnussernte sorgt, aber es ist genug für uns alle da.
Einmal haben wir auch zwei Haselmaus-Nester gefunden. Manche afrikanische Vögel bauen ähnliche Nester. Sie sind oval, wie ein großes Ei und aus Grashalmen gewoben. An einer Seite im oberen Drittel befindet sich ein Loch, in dem wir einmal den Kopf einer Haselmaus entdeckten. Sie sah uns mit verängstigten Augen an. Wir entfernten uns leise. Seither haben wir im Winter immer wieder solche Nester auf dem Boden gefunden. Wo sich die Haselmäuse aber im Winter verstecken, wissen wir nicht.
Im Haselnusswald haben wir vor ein paar Jahren kleine Haselnusssträucher neu gesetzt, die mit Trüffelmyzel geimpft waren. Jedenfalls werden sie als solche angeboten und man kann sie kaufen. Wir hatten die Plätze zwar mit Stöcken markiert, aber ein, zwei Jahre später standen rund um die Stöcke ein Dutzend frischer Haselnusssträucher, die auf mysteriöse Weise gerade dort aus dem Boden geschossen waren, sodass wir nun nicht mehr wussten, wo wir graben sollten, um herauszufinden, ob die Trüffeln gediehen waren. Leider wachsen die Trüffeln unter der Erde, und darum werden wir nie erfahren, ob es bei uns Trüffeln gibt oder nicht, es sei denn, wir borgen uns ein Trüffelschwein oder einen Trüffelhund aus, die abgerichtet sind, Trüffeln auch unter der Erde zu wittern und nach ihnen zu graben. Immerhin können wir behaupten, dass in unserem Haselnusswald vermutlich Trüffeln wachsen.
Dass es Pilze auf unserem Grundstück gibt, wussten wir von Anfang an, und ich bin heute noch davon überzeugt, dass die Parasole, die wir vor dem Haus fanden, als wir es zum ersten Mal besichtigten, ausschlaggebend waren, das Haus zu kaufen. Auch sonst wachsen immer wieder Pilze auf unserem Grund, von Parasolen, Wiesenchampignons und Bovisten bis zu dem sensationellsten Fund des letzten Jahres, nämlich eines Kornblumenröhrlings, ein sehr seltener Pilz, der zu den besten Speisepilzen zählt. Seit wir wissen, wie selten sie sind, lassen wir sie stehen. Semmelstoppelpilze haben sich inzwischen auch im Haselnusswald angesiedelt. Unserer eigenen Züchtung von kultivierten Träuschlingen folgten wilde Träuschlingskolonien in unserem Bambuswald.
Zunächst konnten wir es gar nicht fassen, da gibt es tatsächlich einen Bambuswald auf unserem Grund. Wie in China, nur ohne Pandabären. Doch unsere Nachbarn klärten uns bald auf: Der junge Bambus wird von den Bauern dazu benützt, die Zweige ihrer in großen Töpfen gezogenen Zitronenpflanzen zu stützen, nichts eigne sich da besser als Bambus.
Alles hier hat seinen Sinn und Zweck.
Das hätten wir oft bedenken sollen! So gab es da eine Steinmauer, über die unser Bach in einem beachtlich hohen Wasserfall stürzte. Sicher war sie schon Hunderte Jahre alt. Auch das Bachbett war in seiner ganzen Länge mit Steinen ausgelegt. Die Mauer war mit wilden Brombeersträuchern überwuchert. Wir fanden es schade – außerdem wollten wir den Wasserfall in seiner ganzen Schönheit sehen! Also rissen wir die Brombeersträucher aus. Nun rauschte der Bach ungehindert über die Mauer. Wir waren stolz darauf. Aber dann kam der Regen, ein schweres Gewitter, der Bach schwoll an und das Wasser schoss ungehindert die Mauer hinunter. Die Mauer hielt diesem Wasserschwall nicht stand und brach in sich zusammen. Seither sind wir sehr vorsichtig geworden, wenn wir der Natur unsere Ordnung aufzwingen wollen. Die kleinste Veränderung einer Terrasse, die Anlage eines neuen Weges, ja sogar das Fällen eines morschen Baumes kann schlimme Folgen haben.
Die Terrassen sind Jahrhunderte alt und haben ihre eigene Art, mit dem Herbst- und Winterregen fertig zu werden.
Wir mussten, um einen neuen Weingarten anzulegen, den Bach umleiten, sonst hätte er den Weingarten jährlich mehrere Male überschwemmt. Die Folge waren unglaubliche Erdrutsche, die Jahr für Jahr stattfanden, bis sich die Landschaft an den neuen Wasserlauf gewöhnt hatte. Das alles mussten wir erst lernen.
Unter dem Haselnusswald, den kleinen Bach entlang, kommt man über mehrere kleine Brücken in den großen Weingarten. Hier standen immer schon Reben, aber die alten waren seit Langem verdorrt und nicht mehr zu beleben. Also legten wir, nach einer sehr schwierigen Rodung, einen neuen Weingarten an. Eigentlich wollten wir gar nicht noch mehr Wein produzieren, aber was sollte man mit diesem Stück Grund machen? Es war leicht zu bearbeiten.
Vielleicht hätten wir Obstbäume pflanzen sollen, aber da die anderen Weinstöcke verstreut im Grund standen und auch schon sehr alt waren, hörten wir auf den Rat der Nachbarbauern. Jetzt haben wir mehr Wein, als wir je verbrauchen können, und ein Verkauf bringt sehr wenig. Aber die Bauern sagen: „Öl und Wein, das muss sein.“ Unsere Landwirtschaft beherrscht uns und nicht wir sie, das ist sicher, und vielleicht ist es auch gut so.
Oberhalb des Weingartens führt ein kleiner Weg in einen größeren Wald, den wir einfach Dschungel nennen. Er ist von Erlen und Buchen bewachsen, und auf unserer Seite des Weges steht auch ein Kastanienbaum, der jedes Jahr Früchte trägt. Oberhalb des Weges standen, als wir das Haus kauften, mehrere riesige Mimosenbäume, die zu Weihnachten prachtvoll blühten. Als Schachtelhalme wachsen diese Riesen so lange, bis sie durch ihr eigenes Gewicht zu Fall kommen. Auf diese Weise bildeten sich einst die Kohlenflöze. Es war ein trauriger Anblick, als wir eines Tages zwei dieser Riesen quer über den Weg liegen sahen. Die Blüten waren gerade knapp vor dem Aufspringen, und wir holten noch Tage danach immer wieder Äste ins Haus, um sie zum Aufblühen zu bringen. Ein Trost war nur, dass neben diesen Riesen sich schon eine Unzahl kleiner Mimosenpflanzen angesiedelt hatte, und dass wir uns daher um Nachwuchs nicht zu sorgen brauchten.
Der Dschungel wurde von uns deshalb so genannt, weil sich auf jeden der hohen Bäume Efeu und andere Schlingpflanzen hinaufranken. Von den Wipfeln hängen Lianen herunter in das dichte Unterholz, sodass der Wald wirklich wie ein asiatischer oder afrikanischer Dschungel wirkt. Durch diesen Dschungel fließt ein größerer Bach, der das ganze Jahr über Wasser führt, aber nur auf einer Seite zu uns gehört. An diesem Bach wachsen seltene Pflanzen, manche sind bei uns in Blumenhandlungen zu haben. Es gibt auch Calla und Schneerosen, Seite an Seite! Die Blüten beider werden seltsamerweise nicht weiß, wie bei uns, sondern bleiben grün. Besonders die Schneerose sieht sehr hübsch aus, selbst im grünen Zustand, ist viel höher und ihre Blätter sind viel größer. Aber auch der Dschungel verändert sich jährlich. Der Bauer, dessen Grund sich auf der anderen Seite des Baches befindet, hat schon einige Bäume herausgeschlagen und den Wald gelichtet. Uns tut es um jeden Baum leid, aber er