Die Olive und wir. Hugo Portisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hugo Portisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783711053053
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Geschichten gehört und gemeint, es wäre doch vergnüglich, unsere Notizen als Ecowin-Buch zu veröffentlichen. Ein Buch ohne politische Analysen, ohne Blick auf die Krisen dieser Welt und ohne Rückblick auf die österreichische Geschichte. Auch kein Buch im Alleingang. So manches, wovon wir beide hier erzählen, haben wir gemeinsam erlebt, doch jeder von uns hatte auch seine eigenen Erlebnisse und hatte sie niedergeschrieben, allerdings nicht mit der Absicht, sie zu veröffentlichen.

      Nun tun wir es doch. Und sogar mit großem Vergnügen. In der Hoffnung, dass auch die Leserinnen und Leser unsere Erzählungen vergnüglich finden.

       Traudi und Hugo Portisch

      Wie das Haus uns gefunden hat

      Le meraviglie nascono senza seminarle. Die Wunder wachsen, ohne dass man sie säen muss.

      Zugegeben, es gehört auch Glück dazu. Aber Glück ist nicht so selten, wie man glaubt. Die meisten Menschen merken nur nicht, wenn es sich ihnen anbietet. Genau genommen muss man Glück haben, um Glück zu erkennen. Das ist dann eine Sternstunde. Uns schlug eine auf der Autobahn zwischen Florenz und Pisa. Da ging uns das Benzin aus. Das heißt, der Benzinanzeiger stand schon geraume Zeit auf null, aber keine der Tankstellen auf dem Weg war offen: Streik. Also nichts wie runter von der Autobahn.

      Gleich nach der Abfahrt fanden wir auch eine Tankstelle, die nicht bestreikt, aber zur Stunde wegen Siesta geschlossen war. Dafür war das Espresso daneben offen. Dankbar schlürften wir unseren Cappuccino und freuten uns, da zu sein. Vor uns lag eine Pinienallee, die allmählich im leichten Bodennebel verschwand, dennoch ein strahlend blauer Himmel und dazwischen, sanft aus dem Nebel aufsteigend, Weingärten, Olivenhaine, darüber wie eine Krone aus grauem Stein und roten Dachziegeln, Campanile zwischen Zypressen, ein toskanisches Dorf auf der Kuppe eines Hügels. Es war November, und doch hatten die Weinstöcke noch ihre Blätter, in Farben, als hätte Gucci sie aufeinander abgestimmt, Gelb, Ocker, Braun in allen Nuancen. Die Olivenhaine blinkten in Grün und Silber im Wind, der aus dem Apennin kam. Er roch nach Frost.

      Dass wir das nun alles sahen, rochen und schmeckten, war nichts als Zufall oder Glück, was in Sternstunden auf das Gleiche kommt. Die Fahrt war nicht beabsichtigt gewesen. Sie war ein Akt der Selbstbefreiung, Ausbruch aus Arbeit, Hektik, Verdruss. Nichts wie weg, so weit es eben geht in den vier Tagen zwischen Allerseelen und dem nächsten Sonntag.

      Jemand sagte Italien. Im Herbst? Jemand sagte Toskana. Vielleicht. Falls aber doch, dann sind wir auch dort, hier ist die Telefonnummer: Ruft uns an, kommt auf eine Jause. Wo seid ihr? In Benevento. – Das herausgerissene Notizblatt mit der Telefonnummer steckt noch in der äußeren Tasche meines Rockes. Ein Zufall – der Rock sollte gar nicht mit auf diese Reise. Und wer weiß schon, wo Benevento liegt. Wir wussten es nicht und hatten auch nicht nachgesehen. Hätte das Benzin gereicht, säßen wir jetzt nicht in dem Espresso, würden den Kellner nicht nach Benevento fragen. Benevento war der Ort über uns, aus grauem Stein, roten Dachziegeln, Campanile zwischen Zypressen. Zufall. Wir riefen an. Sie kamen, uns zu holen. Sie waren Gäste bei jemandem, der ein Haus hatte, gleich unterhalb der Stadtmauer von Benevento, mit einer traumhaften Sicht über die toskanischen Hügel bis hinüber zu den Pisaner Bergen. Als Gäste der Gäste erhielten wir die in Wien versprochene Jause und wunderten uns über die Zufälle, die uns bis hierher und da herauf geführt hatten.

      Schließlich verabschiedeten wir uns, standen schon vor der Türe, da läutete das Telefon. Erwartete Gäste, die sich entschuldigten, sie seien noch in Bozen mit Motorschaden, kämen heute nicht mehr und wahrscheinlich auch nicht morgen. Das zweite Gästezimmer wäre nun frei, ob wir nicht bleiben wollten? Es sei ohnedies schon dunkel, die Weiterfahrt würde nichts mehr bringen. Wir blieben, kosteten den Wein des Hauses, saßen vor dem offenen Kaminfeuer, diskutierten fröhlich in die Nacht hinein und schliefen herrlich.

      Am nächsten Tag hätte es regnen können, oder der Nebel hätte, wie hier so oft in dieser Jahreszeit, die Hügel hochsteigen und die Sicht verschlingen können. Aber als wir die Fensterläden öffneten, war es, als hätte Botticelli eine Landschaft ohne Vordergrund gemalt. Aus dem Morgennebel in den Tälern ragten, in goldgelbes Licht getaucht, die toskanischen Hügel mit Dörfern, die wie Schwalbennester an ihnen klebten oder wie Adlerhorste ihre Gipfel beherrschten. Entlang der sanften Rücken aber standen Pinien und Zypressen wie Morsezeichen aneinandergereiht – Punkt, Punkt, Strich, Strich, Punkt, Strich –, als wollten jene, die sie gepflanzt haben, uns Nachricht geben. Beugte man sich aber aus dem Fenster, gab es auch einen Vordergrund: An der Wand des Hauses wuchsen Orangenbäume als Spalier hinauf und an den Fenstern seitlich vorbei und boten ihre goldgelben Früchte an, als wären sie ein lebender Korb. Wir sogen alles ein, Landschaft, Vordergrund, Licht, Luft, Farben, und kamen berauscht zum Frühstück. Wir sprachen von Traum, von Pracht, von Paradies, von einem Haus, das man hier haben müsste. – Ein Haus? In den Hügeln gäbe es noch immer verlassene Bauernhäuser. Man brauche sich nur eines auszusuchen.

      „Wenn man von Traum und Paradies spricht, sollte man nicht so wörtlich genommen werden“, meinte ich. „Weshalb eigentlich nicht?“, meinte meine Frau. Eine Stunde später fuhren wir in einer kleinen Wagenkolonne durch die benachbarten Hügel, von Bauernhaus zu Bauernhaus. Das erste war unbewohnt, aber niemand kannte den Besitzer. Im zweiten wohnte ein Bauer, der sofort bereit war, es uns zu verkaufen, nur müsste er danach weiter darin wohnen dürfen, denn wohin sonst sollten er, seine Frau und seine Kinder ziehen? Das dritte stellte uns auf die Probe.

      Trotzig lag es da, auf einer vorspringenden Terrasse inmitten eines großen Olivenhains. Der Einfahrt in den Hof wandte es eine graue, abweisende Steinmauer zu, die nur oben im ersten Stock von einer Reihe von Fensterhöhlen durchbrochen war, und von einer Schießscharte, die auf die Einfahrt zielte. An der türlosen Wand darunter klebte ein halb zusammengebrochener Stall. Auf dem Hof türmte sich ein längst zu Humus gewordener Misthaufen, übersät mit Brennnesseln. Links davon eine lang gezogene Scheune, oben offen, darunter ein paar Ställe für Schweine, Hasen und Hühner.

      Das war das Haus, wie ich es sah. Meine Frau sah es anders. Nicht von der Einfahrt her, sondern von vorne, von der Terrasse aus. Und da umarmte es uns mit zwei gewaltigen Zitronenbäumen, die die Wände des Hauses hochwuchsen, die gesamte Mauer bedeckten und die auch noch die Türen und Fenster zugewachsen hatten. Eine der Türen gab nach, und wir betraten den wichtigsten Raum jedes toskanischen Bauernhauses, die Cantina, den Weinkeller. Ein Keller zu ebener Erde, ein fensterloser Saal, in dem auf mächtigen Balken die Bottiche stehen, in denen der Wein gemacht wird, und die Fässer, in denen er lagert. Die Balken hier waren längst morsch und eingeknickt, die Bottiche und Fässer hatten sich aufgelöst, die Eisenringe, die sie einst zusammengehalten hatten, lagen wirr ineinander verhakt, und die Holzsegmente ragten aus ihnen heraus wie Gerippe.

      Von der Cantina ging es über Steinstufen in den Nachbarraum, der einst die Küche war. Eine offene Herdstelle, im Kamin darüber der rußige Haken, an dem die Kochtöpfe ins Feuer gehängt wurden. Neben der Feuerstelle ein steinerner Waschtrog, eine seiner Wände, hochgezogen und quer gerillt, hatte als Waschbrett gedient. Von der Decke hing ein Draht, an dessen Ende eine kaputte Glühbirne baumelte. Sonst war da nichts mehr. Nicht, dass man dies dem Raum ansah, aber in alten toskanischen Bauernhäusern geht es immer von der Küche in die gute Stube des Hauses. Und von dort in die Vorratskammer und von dieser in den Stall. So war es auch hier. In der Vorratskammer stand ein riesiges Tongefäß, eine Coppa, in der das Olivenöl aufgehoben worden war, eingeritzt im Ton die Jahreszahl 1870, und am Boden des Gefäßes noch zwei fingerhoch Öl. Genießbar.

      Im Stall lag Stroh, aber es roch nicht mehr nach Stall. Da hatten schon lange keine Tiere mehr gestanden. Zurück in die Küche. Zwischen ihr und der Cantina führte eine Steintreppe in den ersten Stock. Vierzehn Stufen, dann stand man unter dem steil aufragenden Dachstuhl in einem großen Raum mit altem Ziegelboden. Die satte dunkle Farbe der Ziegel verriet, dass hier Oliven gespeichert worden waren, Jahr um Jahr, so wie die Ernte eingebracht wurde, abgestreift und abgeschlagen von den bizarren Olivenbäumen in die darunter ausgebreiteten Netze, in Butten heimgetragen und gelagert, bis die Menge groß genug war, um die Säcke zu füllen zum Transport in die Ölmühle.

      Bog man aber von der Treppe nach der anderen Seite des Hauses, betrat man dessen wohl ältesten