Nebel im Aargau. Ina Haller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ina Haller
Издательство: Bookwire
Серия: Kantonspolizei Aargau
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416623
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Kopf vor sich ging. «Sie waren nicht begeistert, weil ich in das Haus gekrochen bin und die Leiche angefasst habe.»

      «Du hast Erste Hilfe leisten wollen.»

      «Das habe ich auch erklärt. Trotzdem habe ich Spuren verwischt. Dabei hat der Hund bestimmt den grösseren Teil dazu beigetragen. Sie waren ausserdem misstrauisch, weil ich zurückgeblieben war. Ob sie mir meine Erklärung abgenommen haben, verhindern zu wollen, dass gegebenenfalls mehr am Tatort verändert wurde, weiss ich nicht.»

      Andrina wurde das Gefühl nicht los, Enrico wurde als Verdächtiger gehandelt. Sogleich schüttelte sie den Gedanken ab. Das wäre unprofessionell. Trotz der alten Rivalität und der Tatsache, dass Andrina mit Enrico zusammen war. Falls Marco nach einer Möglichkeit suchte, Enrico etwas anzuhängen, gab es die Frau als Zeugin.

      «War er schlimm zugerichtet?», fragte Andrina vorsichtig.

      «Nein. Er hat ausgesehen, als würde er schlafen. Er lag auf der Seite und hatte die Beine angewinkelt. Sein Kopf lag auf dem Unterarm. Das Ganze machte einen beinahe bequemen Eindruck.»

      So genau hatte Andrina es nicht wissen wollen.

      «Es sah sogar friedlich aus», fuhr Enrico fort.

      «Hatte er Verletzungen?»

      «Nein. Oder besser, ich habe keine gesehen. Ich habe nur nach seinem Puls gefühlt und sofort realisiert, dass er tot war.» Enrico starrte zum Schwedenofen. «Sogar die Augen waren geschlossen. So seltsam es erscheinen mag, es kam mir vor, als sei er in diese Hütte gekrochen, um zu schlafen, und sei dabei erfroren. Immerhin haben wir im Moment nachts Temperaturen um die null Grad.»

      «Willst du damit sagen, er lag schon länger dort?»

      Enrico lehnte sich nach hinten und legte den Arm um Andrinas Schultern. «Das kann ich nicht beurteilen. Seine Haut war jedenfalls kalt. Eiskalt, um es genau zu sagen.» Ein Schauer durchlief Andrinas Körper. «Ich bin kein Rechtsmediziner, um zu beurteilen, wie schnell eine Leiche bei Temperaturen von null bis vier Grad auskühlt.»

      «Ein Obdachloser?», fragte Andrina.

      «Das glaube ich weniger. Er trug eine dunkle Hose und ein graues Hemd mit Krawatte. Er sah eher wie ein Geschäftsmann aus, soweit ich das in dem schummrigen Licht in dem Haus erkennen konnte.»

      «Warum sollte er dort reinkriechen?»

      «Er könnte betrunken gewesen sein und nicht gewusst haben, was er tat.»

      «Lag eine Flasche bei ihm?», fragte Andrina und hoffte, es war so. Zumindest wäre es in dem Fall kein Mord.

      «Andrina, so genau habe ich mich nicht umgeschaut. Als ich realisierte, dass der Mann tot war, habe ich schnell den Rückzug angetreten, um keine weiteren Spuren zu vernichten.»

      «Den Mann anzufassen ist nicht gleichbedeutend damit, Spuren zu vernichten.»

      «Je nachdem schon. Durch das Reinkriechen bin ich über den Boden gerutscht und habe eventuell etwas verwischt.»

      «Der Hund und die Frau haben Vorarbeit geleistet», sagte Andrina.

      «Eben. Da brauchte es nicht zusätzlich jemanden, der eventuell die letzten vorhandenen Spuren beseitigte.»

      «Kennst du ihn?»

      Langsam fiel die Anspannung von Enrico ab. Es wurde warm, und Andrina kuschelte sich an ihn.

      «Nein. Er muss um die Mitte dreissig sein, wenn ich das in dem Halbdunkel richtig erkannt habe. Vor seinem Kopf lag eine Brille, fein säuberlich zusammengelegt. Eben, es machte den Eindruck, als habe er sich dort für ein Nickerchen zusammengerollt.»

      «Bei der Kälte finde ich das seltsam. Er könnte nicht nur betrunken gewesen sein, sondern zusätzlich Drogen genommen haben.»

      «Das kann ich nicht sagen, aber ich denke, der Rechtsmediziner wird entsprechende Untersuchungen machen.»

      ZWEI

      «Das ist unser Programm für nächsten Herbst», sagte Elisabeth Veldt, die Verlegerin des Cleve-Verlages, bei dem Andrina als Lektorin tätig war. Sie hatten sich zu ihrer Montagmorgenbesprechung im Sitzungszimmer versammelt. Elisabeth sah müde aus. Der Eindruck der grauen Gesichtsfarbe wurde durch ihre kurz geschnittenen Haare verstärkt, die inzwischen mehrheitlich grau waren. Man konnte nur erahnen, dass die ursprüngliche Farbe einmal Dunkelbraun gewesen war. «Ich weiss, dieses Mal habe ich mehr Bücher als normalerweise ins Programm aufgenommen, und es hat zudem viele Debütautoren, aber ich wollte von den Krimis keinen absagen, weil die Qualität sehr gut war. Mir ist bewusst, welchen Aufwand das für euch bedeutet. Aber ich möchte das Team nicht aufstocken, da ich nicht weiss, ob wir das nächste Mal gleich viele Krimis aufnehmen werden und wie sich der Umsatz im nächsten Jahr entwickeln wird.»

      Elisabeth rechnete offenbar nach wie vor damit, dass sowohl Gabi als auch Andrina nach der Babypause zurückkehrten.

      Andrina war sich unschlüssig, ob sie nach der Geburt wirklich weiterarbeiten wollte. Enrico hatte gesagt, sie brauche nicht. Natürlich musste sie nicht, da sein Einkommen für sie mehr als ausreichend war.

      Sie war sich jedoch nicht sicher, ob sie Teilzeit arbeiten wollte, um keine berufliche Lücke im Lebenslauf zu haben und um geistig fit zu bleiben. Elisabeth hatte durchblicken lassen, bereit zu sein, sich auf eine Teilzeitlösung einzulassen, da sie Andrina als zuverlässige Lektorin schätzte. Andrinas Schwester Seraina hatte angeboten, Tagesmutter für ihre Nichte oder ihren Neffen zu sein. Das wäre eine ideale Lösung, wie Andrina einräumen musste. Auf der anderen Seite wollte sie gerne ganz für das Kind da sein.

      Sie schielte zu Gabi Hug hinüber. Soviel sie wusste, hatte sich Gabi ebenfalls noch nicht geäussert, ob und wie viel sie nach der Babypause arbeiten wollte. Langsam wurde es gemäss Elisabeth Zeit für einen Entschluss. Gabis Termin war Anfang Februar. Andrina hatte immerhin bis Ende April Zeit.

      Elisabeth legte die Hand auf die ausgedruckte Excel-Liste. «Hat jemand von euch Lektoren einen bestimmten Wunsch, oder darf ich sie euch zuweisen?» Andrina schaute Kilian Gerber, der eine Doppelfunktion als Grafiker und Lektor im Verlag innehatte, und Gabi an.

      «Mir ist es egal», sagte Kilian, und Andrina und Gabi nickten zustimmend.

      Sie gingen die Liste durch, und jeder machte sich dazu Notizen. Nachdem die Lektorate verteilt waren, kam Elisabeth auf ein weiteres Thema zu sprechen.

      «Gibt es offene Punkte für den kommenden Adventsapéro?» Dieser Apéro fand in diesem Jahr zum ersten Mal statt. Elisabeth fand es schade, dass man die Autoren nur über E-Mail und gegebenenfalls über Telefon und nicht persönlich kennenlernte. Daher hatte sie die Autoren zu einem Adventsumtrunk in den Verlag eingeladen. Die Resonanz war gross gewesen. Der Apéro sollte am Dienstag in einer Woche stattfinden.

      «Gabi, hast du so weit alles organisieren können, oder gibt es Dinge, bei denen du Hilfe brauchst?»

      «Es ist so weit alles klar», antwortete Gabi. Sie löste ihre dunkelblonden Haare und fasste sie zu einem neuen Rossschwanz zusammen. Die fahrige Geste vermittelte Andrina einen nervösen Eindruck. «Die Speisen sind mit dem Catering besprochen. Die definitive Information habe ich an alle Autoren verschickt, und die Verlosung der Bücher hat Lukas vorbereitet, soweit ich weiss.»

      «Ja, es ist alles erledigt», warf Lukas ein.

      Elisabeth legte ihre Hände auf den Tisch. «Wunderbar. Ich freue mich auf den Anlass. Falls unverhofft etwas auftaucht, bei dem du Hilfe brauchst, lass es uns wissen. Hat sonst jemand was?»

      «Ja, ich», sagte Andrina. «Ich muss heute früher gehen, da ich meine Aussage bei der Polizei unterschreiben muss.»

      «Welche Aussage?», fragte Kilian verwundert.

      «Andrina steckt mitten in einem Kriminalfall», mischte sich Lukas augenzwinkernd ein, bevor Andrina antworten konnte.

      «Worin ermittelst du?», fragte Kilian. Er sah aus, als habe er sich seit einigen Tagen nicht rasiert. Der Dreitagebart verlieh ihm zusammen