258 Und nicht nur in England. "Schon 1859 hatte eine durch ganz Deutschland verbreitete Flugschrift, als deren Verfasser man den Fabrikanten Diergardt aus Viersen bezeichnete, die eindringliche Mahnung an Deutschland gerichtet, sich des ostasiatischen Marktes rechtzeitig zu versichern. Es gab nur ein Mittel, um den Japanern, überhaupt den Ostasiaten gegenüber handelspolitisch etwas zu erreichen, das ist militärische Machtentfaltung. Die aus dem Sparpfennig des Volkes erbaute deutsche Flotte war ein Jugendtraum gewesen. Sie war längst durch Hannibal Fischer versteigert. Preußen hatte einige Schiffe, freilich keine imponierende Marinemacht. Man entschloß sich aber, ein Geschwader auszurüsten, um in Ostasien Handelsvertragsverhandlungen anzuknüpfen. Die Führung der Mission, welche auch wissenschaftliche Zwecke verfolgte, erhielt einer der fähigsten und besonnensten preußischen Staatsmänner, Graf zu Eulenburg. Derselbe führte seinen Auftrag unter den schwierigsten Verhältnissen mit großem Geschick durch. Auf den Plan, damals auch mit den Hawaiischen Inseln Vertragsbeziehungen anzuknüpfen, mußte man verzichten. Im übrigen erreichte die Expedition ihren Zweck. Trotzdem die Berliner Presse damals alles besser wußte und bei jeder Nachricht über eingetretene Schwierigkeiten erklärte, das habe man längst vorausgesehen und alle solche Ausgaben für Flottendemonstrationen seien eine Verschwendung der Mittel der Steuerzahler, läßt sich das Ministerium der neuen Ära nicht irremachen. Den Nachfolgern wurde die Genugtuung des Erfolges zuteil." (W. Lotz: Die Ideen der deutschen Handelspolitik, S. 80.)
259 "Une négociation officielle fut ouverte (zwischen der französischen und der englischen Regierung, nachdem Michel Chevalier mit Rich. Cobden die vorbereitenden Schritte getan hatte) au bout de peu de jours: elle fut conduite avec le plus grand mystère. Le 5 Janvier 1860 Napoléon III annonça ses intentions dans une lettreprogramme adressée au ministère d'État, M. Fould. Cette déclaration éclata comme un coup de foudre. Après les incidents de l’année qui venait de finir, on comptait qu'aucune modification du régime douanier ne serait tentée avant 1861. L'émotion fut générale. Néanmoins le traite fut signe le 23 Janvier." (Auguste Devers: La politique commerciale de la France depuis 1860. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, LI, S. 136.)
260 Die Revision des russischen Zolltarifs in liberalem Sinne 1857 und 1868, die endgültige Abtragung des wahnwitzigen Schutzzollsystems Kankrins, war eine Ergänzung und Äußerung des ganzen Reformwerkes, das durch das Debakel des Krimkrieges erzwungen wurde. Unmittelbar entsprach aber die Ermäßigung der Zölle vor allem den Interessen des adeligen Grundbesitzes, der sowohl als Konsument ausländischer Waren wie als Produzent des ins Ausland ausgeführten Getreides an einem ungehinderten Handelsverkehr Rußlands mit Westeuropa interessiert war. Hat doch die Verfechterin der landwirtschaftlichen Interessen, die Freie Ökonomische Gesellschaft, konstatiert: "Während der verflossenen 60 Jahre, von 1822 bis 1882, hat die größte Produzentin Rußlands, die Landwirtschaft, viermal unermeßlichen Schaden erleiden müssen, wodurch sie in eine äußerst kritische Lage gebracht wurde, und in allen vier Fällen lag die unmittelbare Ursache an maßlos hohen Zolltarifen. Umgekehrt ist die 32jährige Zeitperiode von 1845 bis 1877, während der gemäßigte Zölle bestanden, ohne solche Notstände abgelaufen, ungeachtet der drei Kriege und eines inneren Bürgerkrieges (gemeint ist der polnische Aufstand 1863 – R. L.), von denen jeder eine größere oder geringere Anspannung der Finanzkräfte des Staates bewirkte." (Memorandum der Kaiserl. Freien Ökonomischen Gesellschaft in Sachen der Revision des russischen Zolltarifs, Petersburg 1890, S. 148.) Wie wenig in Rußland bis in die jüngste Zeit die Verfechter des Freihandels oder wenigstens eines gemäßigten Schutzzolls als die Vertreter der Interessen des Industriekapitals betrachtet werden dürfen, beweist schon die Tatsache, daß die wissenschaftliche Stütze dieser freihändlerischen Bewegung, die genannte Freie Ökonomische Gesellschaft, noch in den 90er Jahren gegen den Schutzzoll gerade als gegen ein Mittel der "künstlichen Verpflanzung" der kapitalistischen Industrie nach Rußland eiferte und im Geiste reaktionärer "Volkstümler" den Kapitalismus als die Brutstätte des modernen Proletariats denunzierte, "jener Massen militärdienstuntauglicher, besitzloser und heimatloser Menschen, die nichts zu verlieren haben und die seit langer Zeit keinen guten Ruf genießen ...". (l.c., S. 171.) Vgl. auch K. Lodyshenski: Geschichte des russischen Zolltarifs, Petersburg 1886, S. 239-258.
261 Auch Fr. Engels teilte diese Auffassung. In einem seiner Briefe an Nikolai-on schreibt er am 18. Mai 1892: "Englische Interessen vertretende Schriftsteller können es nicht verstehen, daß alle Welt es ablehnt, ihr Freihandelsbeispiel zu befolgen, und statt dessen Schutzzölle eingeführt hat. Natürlich wagen sie nicht zu sehen, daß dieses jetzt fast allgemeine Zollsystem ein – mehr oder weniger kluges und in manchen Fällen absolut dummes - Mittel der Selbstverteidigung gegen ebendenselben englischen Freihandel ist, der das englische Industriemonopol zu seiner höchsten Vollendung geführt hat. (Dumm z.B. im Falle Deutschlands, das unterm Freihandel ein großes Industrieland geworden ist und wo der Schutzzoll auf landwirtschaftliche Produkte und Rohstoffe ausgedehnt wird, was die Kosten der industriellen Produktion erhöht!) Ich betrachte dieses allgemeine Zurückgreifen auf den Schutzzoll nicht als einen bloßen Zufall, sondern als Reaktion gegen das untragbare Industriemonopol Englands; die Form dieser Reaktion mag, wie gesagt, unzuträglich sogar noch schlechter sein, aber die historische Notwendigkeit einer solchen Reaktion scheint mir klar und offensichtlich." (Briefe usw., S. 71.) [Friedrich Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg, 18. Juni 1892. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 38. S. 365.]
262 Diese Annahme macht z B. in der Tat Dr. Renner zur Grundlage seiner Schrift über die Steuern. "Alles, was in einem Jahre an Werten geschaffen wird", sagt er, "spaltet sich in diese vier Teile. Und also können die Steuern eines Jahres nur aus ihnen geschöpft werden: Profit, Zins, Rente und Lohn sind die vier besonderen Steuerquellen." (Das arbeitende Volk und die Steuern, Wien 1909, S. 9.) Renner erinnert sich zwar gleich darauf den Existenz der Bauern, erledigt sie aber mit einem Satz: "Ein Bauer zum Beispiel ist zugleich Unternehmer, Arbeiter und Grundeigentümer, er bezieht in seinem Wirtschaftsvertrag unter einem den Lohn, den Profit und die Rente." Es ist klar, daß eine solche Spaltung des Bauerntums in alle Kategorien der kapitalistischen Produktion und die Betrachtung des Bauern als seines eigenen Unternehmers,. Lohnarbeiters und Grundherrn in einer Person eine blutleere Abstraktion ist. Die ökonomische Besonderheit des Bauerntums - will man es schon, wie Renner, als eine unterschiedslose Kategorie behandeln - besteht gerade darin, daß es weder zum kapitalistischen Unternehmertum noch zum Lohnproletariat gehört und daß es nicht kapitalistische sondern einfache Warenproduktion repräsentiert.
263 Die Behandlung der Kartelle und Trusts als eine spezifischen Erscheinung der imperialistischen Phase auf dem Boden des inneren Konkurrenzkampfes zwischen einzelnen Kapitalgruppen um die Monopolisierung der vorhandenen Akkumulatiosgebiete und um die Verteilung des Profits liegt außerhalb des Rahmens dieser Arbeit.
264 In einer von den russischen Marxisten seinerzeit sehr gefeierten Antwort an Woronzow schrieb z.B. Professor Manuilow: "Hier muß streng unterschieden werden zwischen der Unternehmergruppe, die Gegenstände des Kriegsbedarfs herstellt, und der Gesamtheit der Kapitalistenklasse. Für die Fabrikanten, die Kanonen, Gewehre und sonstiges Kriegsmaterial produzieren, ist die Existenz des Militärs zweifellos vorteilhaft und unentbehrlich.