Gesammelte Werke: Science-Fiction-Romane + Abenteuerromane + Erzählungen. Dominik Hans. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dominik Hans
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831552
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der Erde wartete man auf die nächsten Äußerungen der Macht. Die Spannung einer dumpfen Erwartung lag über der Welt, soweit sie von denkenden Menschen bewohnt war.

      Es war um die Mittagstunde des fünfzehnten August. Funkentelegramme durchschwirrten wie immer die ganze Welt. Um 12 Uhr 13 Minuten 15 Sekunden erfuhr dieser Verkehr eine jähe Unterbrechung. Bisher hatte die unbekannte Macht ihre Depeschen durch eine unmittelbare Beeinflussung einer der großen europäischen oder amerikanischen Stationen gegeben. Aber in dieser Mittagstunde des 15. August stand über dem östlichen Teil des Atlantik plötzlich ein starkes elektromagnetisches Feld im Äther. Sein Kern hatte die Gestalt eines schmalen hohen Turmes. Es pulsierte mit hunderttausend Schwingungen in der Sekunde und strahlte Wellenenergie im Betrage von zehn Millionen Kilowatt nach allen Richtungen der Windrose aus, während es schnell nach Westen hin über den Ozean wanderte.

      Im Rhythmus der Morsezeichen kam und verschwand das Feld, und wo immer in Europa und Amerika elektrische Einrichtungen vorhanden waren, wurden sie zum Mitschwingen gebracht. Die Passagiere der elektrischen Straßenbahnen vernahmen die Zeichen in dem eintönigen Brummen der Wagenmotoren. Wo elektrische Glühlampen brannten, begannen sie in dieser Stunde zu zirpen und ließen Morsezeichen hören. Wo irgendein Mensch den Telephonhörer am Ohr hatte, wurden Rede und Gegenrede plötzlich durch laut und scharf dazwischenklingende Morsezeichen unterbrochen. Die Farbschreiber aller Telegraphenstationen hörten in diesen Minuten auf, die Depeschen ihres Betriebes zu schreiben, und zeichneten die Botschaften der Macht auf:

      »Die Macht: Der Krieg ist aus! Die Macht fordert Gehorsam. Sie straft Ungehorsam.«

      Die Welt zuckte unter den Worten der Botschaft zusammen. Wie Peitschenhiebe trafen die lapidaren Sätze, die ihr den neuen Herrn verkündeten. Wie eine schwere dunkle Wolke legte sich der Druck eines fremden zwingenden Willens über die Menschheit. Die Regierungen und die einzelnen Staatsmänner waren ratlos. Es war nicht möglich, an dem Ernst dieser Depesche zu zweifeln. Dazu waren die Proben der Macht, die man bisher zu kosten bekommen hatte, zu stark und zu beweisend.

      Die äußere Politik bot zwar in diesem Augenblick keine Schwierigkeiten. Die Macht befahl den Frieden, und es gab nur einen Weg, bedingungslos zu gehorchen. Dafür aber zeigten sich Schwierigkeiten im Innern. Die einzelnen Völker wurden gegen ihre Regierungen mehr oder weniger aufsässig. Der einzelne fragte sich, ob es überhaupt noch Zweck hätte, den Anordnungen einer Regierung zu gehorchen, die nur von Gnaden der Macht auf ihrem Stuhle saß, in jeder Minute von dieser selben Macht ausgelöscht werden konnte. Es waren nicht einmal die schlechtesten Elemente, die unter solchem Druck von einer allgemeinen Unlust befallen wurden und in gleicher Weise das Interesse am Staat wie an den eigenen Angelegenheiten verloren.

      Professor Raps saß in seinem Arbeitzimmer. Es war ein hoher, schlicht eingerichteter Raum. Vor dem Gelehrten lag das Manuskript einer fast vollendeten Arbeit. Daneben deckten ganze Stapel von Briefen und Depeschen den großen Arbeitstisch. Anfragen von staatlichen Behörden, von wissenschaftlichen Instituten, von Einzelpersonen und auch von fremden Regierungen.

      Der Professor warf keinen Blick auf diese Tausende von Briefen und Fragen. Auf diese Schriftstücke, deren Beantwortung ein ganzes Bureau Monate hindurch beschäftigen konnte. Er sah grau und verfallen aus und hielt den Papierstreifen mit der Depesche der Macht in den Händen. Seine Lippen zuckten und formten abgerissene Worte.

      »… Mein Gott! … Kann die Natur das dulden … kann ein einzelner der Welt ewigen Winter oder ewige Sonne bringen … das soll ein Mensch sein … dem das Schicksal der ganzen Menschheit in die Hand gegeben ist …«

      Der Professor blickte von der Depesche auf. Sein Auge haftete auf dem Bilde über dem Schreibtische. Es war ein alter wertvoller Kupferstich aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ein Geschenk seiner Hörer. Der Stich zeigte den Schweden Karl von Linné. Der Geist des Gelehrten klammerte sich an das Gemälde wie an ein Heiligenbild.

      »Es ist nicht möglich … wo bleiben die ehernen Gesetze der Kausalität … Es ist ein Irrtum … ein Irrtum oder ein Mißgriff der Natur … aber kann die Natur irren?«

      Sein Blick blieb an der Unterschrift des Bildes haften. Lateinische Worte: »Natura non facit saltus.« (Die Natur macht keine Sprünge.) Das Leitwort jenes genialen Naturforschers, durch das er sich zum Vorläufer Darwins stempelte.

      Professor Raps las die wenigen Worte des Satzes wieder und immer wieder.

      »Die Natur macht keine Sprünge … auf einen scheinbaren Sprung folgt das Corrigens … muß folgen nach dem höheren Gesetz der stetigen Entwicklung …«

      Es wurde Zeit, zur Vorlesung zu gehen. Der Professor legte den Depeschenstreifen beiseite. Mit ruhigen Händen füllte er seine Aktenmappe.

      Die Botschaft der Macht war da und wirkte sich aus. Der Krieg war zu Ende, auch ohne einen ausdrücklichen Befehl der beiden kriegführenden Weltmächte. Er war automatisch zu Ende gegangen, weil die Macht mit Sturm und Brand zugegriffen hatte, wo immer sich noch ein Kampf entspinnen wollte. Es konnte sich nur noch darum handeln, durch einen formellen Friedensschluß zwischen den beteiligten Regierungen den tatsächlichen Zustand zu legitimieren.

      In den Vereinigten Staaten nahm man diese Entwicklung der Dinge mit unumwundener Zufriedenheit auf. Der Krieg war ein Krieg Cyrus Stonards gewesen. Es kam der jungen Regierung gelegen, daß diese die unsympathische Erbschaft nicht zu übernehmen brauchte, daß der in den Staaten so wenig volkstümliche Krieg sang- und klanglos zu Ende war. Man spürte wohl auch unbewußt, daß eine friedliche stetige Entwicklung der Union ganz von selber alle die Vorteile bringen mußte, die hier erkämpft werden sollten.

      Anders sah es in England aus. Man hatte sich mit allen Mitteln auf den Kampf eingestellt. Die englischen Staatsmänner hatten erkannt, daß nur ein glücklicher Krieg den englischen Besitzstand erhalten könne.

      Lord Gashford betrat sein Arbeitzimmer und warf sich erschöpft und mißmutig in seinen Sessel. Der Diener bekam eine kurze Weisung: »Lord Maitland wird kommen. Jede Störung fernhalten!«

      Der englische Premier blieb mit seiner Ratlosigkeit und Verantwortung allein. Nervös trommelten die Finger seiner Rechten auf der Sessellehne.

      Der Premier hatte Lord Horace gebeten, in der Hoffnung bei ihm einen Rat, einen Plan zu finden.

      Lord Horace trat in den Raum und nahm ihm gegenüber Platz.

      Es dauerte geraume Zeit, bevor Lord Maitland die Lippen öffnete. Und dann sprach er auch nur vier Worte: »Der Krieg ist aus!«

      Lord Gashford erwartete etwas anderes. Erwartete Hilfe durch Rat und Tat und wurde ungeduldig. Er suchte sein Gegenüber auf Umwegen zum Sprechen zu bringen und fragte: »Wie wird sich die Regierung in Amerika verhalten?«

      »Noch dem Sturze Stonards kommt ihnen der Frieden gelegen. Der Gedanke, einer anderen Eisenfaust gehorchen zu müssen, ist ihnen nicht so fürchterlich. Sie sind ja zwanzig Jahre versklavt gewesen.«

      Lord Gashford fuhr auf.

      »Aber wir? Großbritannien … das freieste Land der Welt, stolz darauf, niemals einer fremden Macht hörig gewesen zu sein. Wie werden wir uns stellen?«

      Lord Horace antwortete langsam, und Resignation klang aus seinen Worten: »Der Frieden mit Amerika wird nicht schwer zu schließen sein. Viel schwerer der mit unseren Dominions und Kolonien. Ich fürchte, daß Australien sich vom Reich lösen wird. Die afrikanische Union braucht uns noch. Trotz ihrer eigenen starken Industrie benötigt sie … vorläufig noch das Mutterland. Und Indien …«

      »Und Indien …?« Lord Gashford stieß die Frage heraus.

      »Indien … Einer von den dreien ist ein Inder … Ich hoffe, daß die indische Intelligenz das Gute zu würdigen weiß, das die englische Regierung dem Lande gebracht hat. Wir haben nicht immer fein gewirtschaftet. Es sind Hunderttausende unter unserer Herrschaft verhungert. Aber Millionen hätten sich gegenseitig die Hälse abgeschnitten, wenn wir nicht dagewesen wären.«

      Lord Gashford zählte an den Fingern wie ein Schulknabe bei seiner Rechenaufgabe:

      »Kanada verloren … Australien halb verloren … Afrika