»Haben Sie schon gehört, Herr Geheimrat, wir bleiben absolut neutral.«
Ein Bankdirektor sagte es einem höheren Beamten aus dem Ministerium.
»Ich hörte es. Aber ich denke an die Zukunft. Einer von den beiden muß siegen. Dem Sieger gehört dann die ganze Welt. Wir auch, Herr Direktor.«
»Nicht so pessimistisch, Herr Geheimrat. Die Kämpfenden werden sich furchtbar schwächen. Wie die beiden Löwen in der Sahara, die sich bis auf die Schwanzspitzen aufgefressen haben. Die Welt gehört dann uns, Herr Geheimrat.«
»Der Himmel mag es geben.«
Der Geheimrat ging weiter. Er war so ziemlich der einzige, der Bedenken hatte. Schon erschienen die ersten Extrablätter und verkündeten die Entschließung der Regierung.
An den Fernsprechern standen die Vertreter der auswärtigen Zeitungen und Industriewerke und teilten den Beschluß nach dem Rheinland, nach Westfalen, Schlesien und Danzig mit. Die Industrie wartete seit Wochen auf das Stichwort, nach dem sie auftreten sollte. Jetzt war es gefallen.
Reinhard Isenbrand, der Chef der großen Essener Stahlwerke, saß mit den vier Generaldirektoren der Werke zu intimer Besprechung versammelt.
»Meine Herren, wir müssen für unsere Werke zu der politischen Lage Stellung nehmen. Ich glaube nicht mehr, daß sich die weltgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen England und der Union aufhalten läßt. Der Wetterzeichen sind zu viele, als daß ich noch an eine friedliche Entspannung glauben könnte.«
Der junge energische Chef der Werke machte eine kurze Pause und blickte seine Mitarbeiter an. Unbedingte Zustimmung lag auf den Mienen von Philipp Jordan, der das Auslandgeschäft der Firma unter sich hatte. Zustimmend nickte der kaufmännische Generaldirektor Georg Baumann. Sie überschauten die politische Lage vollkommener als Professor Pistorius, der Chefkonstrukteur, und Fritz Öltjen, der Schöpfer der neuen Edelstahlfabrikation. Die beiden Techniker hatten noch die leise Hoffnung einer friedlichen Verständigung, wo die Kaufleute bereits eine unaufschiebbare Auseinandersetzung mit Waffengewalt erblickten.
Reinhard Isenbrand fuhr fort: »Nehmen wir den Konflikt als sicher an, so ist die Stellung Deutschlands und Europas zu ihm das Nächstwichtige … für uns das Wichtigste. Nach meinen Berliner Informationen wird Europa neutral bleiben. Die Pressestimmen, die sich seit einigen Tagen mit der Annullierung der europäischen Amerikaschulden durch ein siegreiches England befassen, halte ich für bestellte Arbeit. Eine direkte Beteiligung Europas an diesem Kriege wäre selbstmörderisch. Sie wäre überhaupt nur an der Seite Englands denkbar, aber dann wäre unser Land den Einwirkungen der amerikanischen Kriegsmittel fast wehrlos preisgegeben. Ich glaube, wir brauchen die Möglichkeit einer direkten Beteiligung am Kriege überhaupt nicht ernsthaft zu erörtern. Desto mehr aber unsere Maßnahmen als neutraler Staat.
Es ist klar, daß wir beide Parteien beliefern können, ohne unsere Neutralität zu verletzen. Die Sentimentalität haben wir Gott sei Dank verlernt. Mögen im Publikum Sympathien für diese oder jene Seite hier oder dort vorhanden sein. Für uns ist es reines Lieferungsgeschäft. Eine Möglichkeit, durch intensive Arbeit unsere Volkswirtschaft zu heben … die letzten Spuren vergangener Kriegsjahre zu tilgen.
Auch über die Transportfrage brauchen wir uns den Kopf nicht zu zerbrechen. Wir liefern frei ab Essen. Wie die Besteller die Ware von dort weiterschaffen, ist ihre eigene Sache. Sind die Herren der gleichen Meinung?«
Philipp Jordan erbat das Wort.
»Die Transportfrage ist für England sehr einfach. Es bringt die Fabrikate auf dem Landwege und durch den Kanaltunnel bequem auf die Insel. Bis Calais deckt die Neutralität die Transporte. Von dort der Unterseetunnel … wenn er nicht wider Erwarten von amerikanischer Seite zerstört wird.
Für die Transporte nach Amerika kommen U-Boote und Flugschiffe in Betracht. Ich hörte, daß die Union mit zwanzig Prozent Verlust aller Sendungen auf dem Luftwege durch den Kaperkrieg rechnet. Der Satz ist in ihren Kalkul eingestellt.
Aber die Transportfrage ist nicht unsere Sorge. Sie ist nicht einmal die Hauptsorge der Kriegführenden. Beide Parteien werden vielfach nur kaufen, um die Ware für den Gegner zu sperren, und werden sie ruhig hier im Lande lassen.«
»Dann die Frage der Preise?«
Reinhard Isenbrand sagte es mit einem Blick auf Georg Baumann.
»Die Preise sind durch die deutsch-französische Industriegemeinschaft festgelegt. Nach unten, nicht nach oben …«
Georg Baumann legte die Hand auf eine starke Preisliste.
»Hier sind die Grundpreise für Stahl und alle Stahlfabrikate. Wir haben in der Gemeinschaft verhandelt und für den Fall des Kriegsausbruches einen sofortigen Aufschlag von 300% in Aussicht genommen.«
»Was sollen wir verkaufen?«
Die Frage des Chefs war allgemein gestellt. Professor Pistorius ging an ihre Beantwortung.
»Das wird in der Hauptsache von der Länge des bevorstehenden Krieges abhängen. Für kurze Kriegsdauer Halbfabrikate. Bei längerer Kriegsdauer Fertigfabrikate. Sachverständige rechnen damit, daß 40% sämtlicher Luftstreitkräfte in den ersten zehn Kriegstagen vernichtet sein werden. Es wird alles davon abhängen, ob der Krieg so lange dauert, daß ein Ersatz des verlorenen Materials in Frage kommt. Die Amerikaner suchen durch die Masse zu ersetzen, was ihnen an Qualität abgeht. Sie arbeiten fieberhaft am Ausbau ihrer R. F. c.-Flotte. Inzwischen ist unser Typ ausgebildet, der die anderthalbfache Geschwindigkeit entwickelt. Die Kriegführenden werden uns jeden Motor der neuen Type zu jedem Preise aus den Händen reißen …«
Ein Klingelzeichen der pneumatischen Post auf dem Seitentisch. Ein Briefchen sprang aus der Kapsel. Es war an Philipp Jordan adressiert. Reinhard Isenbrand runzelte unwillkürlich die Brauen. Die Konferenz sollte nicht gestört werden.
Jordan riß den Umschlag auf.
»Das Wettrennen hat begonnen. Mein Vertreter meldet mir, daß Mr. Stamford als Bevollmächtigter von Cyrus Stonard bei ihm ist. Er will unsere gesamte Rohstahlerzeugung ab Kokille kaufen. Fest für zwei Jahre. Zweitausend Dollar die Tonne.«
»Alle Wetter. Der Herr aus Amerika hat es eilig.«
Der Ruf entfuhr Fritz Öltjen, der um seinen Stahl besorgt war.
»Wird nicht gemacht.« Isenbrand sagte es kurz und knapp. »Nur feste Mengen zum Konventionspreise.«
Jordan schrieb die Antwort nieder und schickte sie durch die pneumatische Post zurück.
Professor Pistorius äußerte sich über die voraussichtliche Dauer des Krieges. Vier Jahre von 1914 bis 1918 der große Europäische Krieg. Zwei Jahre der erste Japanische Krieg. Neun Monate der zweite. Die Reihe konvergierte stark. Nach dieser Voraussetzung mußte auch der kommende Krieg kurz sein.
Schon wieder meldete sich der pneumatische Apparat. Eine neue Mitteilung an Jordan. Mr. Stamford wollte eine Million Tonnen Rohstahl fest kaufen. Es war ein Auftrag von zwei Milliarden Dollar. Cyrus Stonard gab sich nicht mit Kleinigkeiten ab. Nahm man als das Wahrscheinliche an, daß seine Agenten zur gleichen Stunde bereits in allen anderen europäischen Stahlwerken verhandelten, so mußte er für rund fünfzig Milliarden Dollar kaufen. Öltjen überschlug die Produktionsziffern der Industriegemeinschaft. Baumann kalkulierte. Jordan schrieb die Frage nach der Art der Zahlung.
Die Antwort kam in einer Minute zurück.
»Gute Dollarschecks. Zahlbar bei den besten Banken des Kontinents.«
Reinhard Isenbrand wechselte einen Blick mit Jordan.
»Der Dollar wird fallen. Wir brauchen reale Werte. Verpfändung amerikanischer Bodenschätze. Von Erzgruben und Petroleumquellen im Werte von zwei Milliarden. Sonst machen wir das Geschäft nicht.«
Die Antwort flog in das Postrohr. Professor Pistorius sprach weiter:
»Unsere Fabrikation ist zu mehr als 99% eine Friedensfabrikation. Aber wir haben zwei Spezialitäten,