Das schmerzte ihn. Er wußte, daß er in seinem tiefsten Gefühl Maria nicht untreu werden konnte, und doch beherrschte ihn ein anderer mächtiger Zwang. Was sollte daraus werden, wenn er gesundete und so unfrei bliebe? Vielleicht war's eine Wohltat, wenn Gott ihm den Tod gab. –
25. DES KÖNIGS LEIBARZT
Maria glaubte gewiß schon lange nicht mehr daran, daß Heinz noch unter den Lebenden sei. War er begraben in ihrem Herzen? Vielleicht gerade deshalb, weil er ihr nicht mehr lebte, minderte sich ihre Macht über ihn. Heinz meinte, es müsse eine solche Wechselwirkung bestehen zwischen denen, die einmal ihr Schicksal verkettet hätten. Nun dachte er darauf, wie er sie's wissen lassen könne, daß er in Polen gefangen sei und an seinen Wunden krank liege.
Er hatte mit dem Pater verabredet, daß er mit einem Stock auf den Boden klopfen wolle, wenn er in der Nacht etwas bedürfe. Der Ton war bis in seine Zelle neben der Kapelle zu hören, und der Kaplan hatte einen leisen Schlaf. Selten genug hatte der Junker von dieser Erlaubnis, ihn zu wecken, Gebrauch gemacht. In einer Nacht aber, als ihn wieder jene Gedanken quälten, entschloß er sich und klopfte an.
Bald erschien der gute Mann mit einem Lämpchen, das vor dem Heiligenbilde in der Kapelle brannte und von ihm besorglich mitgenommen war, und fragte nach seinem Begehr. Er glaubte nicht anders, als daß des Junkers letztes Stündlein gekommen sei und er von ihm geistlichen Trost begehren werde.
Darin irrte er freilich. Es waren weltliche Gedanken, die Heinz beschäftigten. Ich sehe wohl, daß es traurig um mich bestellt ist, sagte er, und wenig Hoffnung, daß ich genese. Was ich an irdischem Gut besitze, ist gar gering und mag durch Eure Hand den Armen zufallen, ohne daß es einer Schrift bedarf. Es beschwert mich aber, daß ich von dieser Welt scheiden soll, ohne von den Freunden Abschied zu nehmen, die mir im Leben Gutes erwiesen haben. Da wollte ich Euch nun herzlich bitten, hochwürdiger Herr, mir einen Brief zu schreiben, der ihnen Nachricht gibt von meinem Schicksal. Vielleicht findet sich eine Gelegenheit, ihn sicher nach Preußenland zu befördern.
Der Kaplan machte ein bedenkliches Gesicht. Lieber Junker, antwortete er, Ihr merkt wohl, daß ich des Deutschen wenig mächtig bin, und ob ich's gleich verstehe und zur Not sprechen kann, so weiß ich's doch nicht zu schreiben.
Schreibet denn Latein, bat der Kranke, es gibt in den Konventen überall gelehrte Priesterbrüder, die in dieser Sprache bewandert sind.
Pater Stanislaus zupfte verlegen an dem Stricke seiner Kutte. Daß ich's Euch nur gestehe, Junker, sagte er nach einer Weile, mit meinem Latein sind auch nicht weite Sprünge zu machen. Ich weiß die Gebete auswendig und lese ein wenig in den heiligen Büchern, habe auch vor Jahren einiges zu meinem Gebrauche abgeschrieben. Aber ob es mir mit diesem geringen Vorrat gelingen kann, über weltliche Dinge einen Brief abzufassen –
Versucht es immerhin, schnitt Heinz seine Bedenken ab. Ihr würdet mich sehr beruhigen.
Und an wen sollte ich nach Eurer Meinung schreiben? fragte der Kaplan zögernd.
Der Junker überlegte. Ich könnte mich wohl an Herrn Heinrich von Plauen wenden, der jetzt Hochmeister des Deutschen Ordens sein soll und mir ein sehr gnädiger Herr war. Aber der hat sicher jetzt viele Sorgen, und ich fürchte, der Brief kommt im besten Falle nur in seines Schreibers Hand … Auch hatte ich in der Marienburg viel Verkehr mit einem Ordensbruder, der hieß Wigand von Marburg und schrieb eine Chronik des Landes. Doch war der schon ein sehr alter Mann, und ich weiß nicht, ob er die schweren Zeiten der Belagerung überlebt hat. Am besten ist's daher wohl, ich wende mich an den Komtur von Danzig, zumal es mir besonders daran gelegen ist, nach dieser Stadt von mir Nachricht zu geben, in der man mich bei meiner Ankunft in Preußen gar freundlich aufgenommen hat. Am leichtesten mag es auch gelingen, den Brief dorthin gelangen zu lassen.
Was aber soll ich in Eurem Namen schreiben, lieber Junker? Sagt mir's wörtlich vor; ich will es dann versuchen zu behalten und ins Latein umzustellen, so schwer es mir auch werden wird.
Ich danke Euch von Herzen, sagte Heinz sehr erleichtert. Schreibt denn etwa also: »Gnädiger Herr Komtur! Der diesen Brief an Euch richtet, heißt mit Namen Heinrich von Waldstein und ist von Herrn Heinrich von Plauen, damals Komtur von Schwetz, seinem Verwandten, ins Land berufen worden. Lieber Herr Komtur! Ich bitte Euch gar sehr, daß Ihr ihm gelegentlich melden wollet, wie ich bei Tannenberg schwer verwundet und in polnische Gefangenschaft geraten bin und auf dem Schlosse Sczanowo an meinen Wunden krank liege und dem Tode nahe bin. Sollte mich aber der gnädige Gott wider Vermuten nochmals zu Kräften kommen lassen, daß der Herr Hochmeister meiner nicht vergesse und mich mit den andern Gefangenen aus der Gefangenschaft löse; damit ich ihm wieder zu Diensten sei. Auch weiß Herr Heinrich von Plauen, daß ich eine Schwester habe, Waltrudis mit Namen, der wolle er einen Gruß bestellen. Zudem, so bitte ich Ew. Gnaden inständigst, daß Ihr in der Rechten Stadt Danzig dem Ratsherrn Huxer Nachricht geben wolltet von allem, was ich Euch geschrieben habe, ihm und seiner Tochter Maria, wie ich verwundet und gefangen bin und meiner Leiden nicht erlöst werde. Wolle die Jungfrau mir noch ein Liebes erweisen, so möge sie zu ihrer Namensheiligen beten, daß sie mir Gnade zuwende, sei es in diesem, sei es im ewigen Leben. Den Ring aber kann ich ihr nicht zurückgeben, weil er mir genommen ward, da ich für tot lag. Das mag den Buben schlechten Lohn eintragen.« Und dann füget einen Schluß bei, wie es schicklich ist.
Der Kaplan ließ sich's nochmals und zum drittenmal hersagen, bis er meinte, jedes Wort gut gefaßt zu haben. Sagt niemand, bat der Junker, daß Ihr den Brief für mich schreibt, und gebt ihn mir, wenn er fertig ist, zur Aufbewahrung, bis er einen Boten findet. Sollte ich aber sterben, bevor er befördert wäre, so versprecht mir, ehrwürdiger Herr, daß Ihr die Worte zufügen wollet: »er ist gestorben an dem und dem Tage«, und ihn sodann absenden werdet, so schleunig es sein kann. Denn besser ist's, sie weiß, daß ich nicht mehr unter den Lebenden bin, als daß sie nutzlos um mich sorgt.
Das letzte sprach er ganz leise vor sich hin, aber der Pater hatte die Worte doch verstanden. Er versicherte dem Junker, daß er alles wohl ausrichten werde und eine Todesnachricht ohne Mühe zu schreiben wisse. Als er dann aber, das Lämpchen in der Hand, langsam die Steintreppe hinabstieg, blieb er öfters stehen und wiegte den Kopf. Es war nicht, weil er bedachte, wie er die lateinischen Worte stellen sollte, daß sie alles ausdrücken möchten, was der Junker ihm aufgetragen zu schreiben. Er war aber so weit ein weltkluger Mann, daß er sich's zu reimen wußte, wie es um des Junkers Herz stand. Das bekümmerte ihn Natalias wegen. Unten in seiner Zelle überkam ihn der sündige Gedanke, es sei am Ende das kleinste Leid, wenn der Junker seiner Krankheit erliege. Dann aber bekreuzte er sich und betete zu Gott, daß er's nach seiner Weisheit einrichte.
Den Brief malte er in den nächsten Tagen mühsam auf ein Blatt Papier, das er aus einem von ihm abgeschriebenen Psalter ausschnitt, der die Lage nicht ganz gefüllt hatte. Er faltete ihn zusammen, legte einen Kreuzfaden herum und siegelte mit Wachs. Die Aufschrift lautete: »An den Herrn Komtur zu Danzig«, ohne Namen. Heinz verwahrte das Schreiben unter seiner Decke.
Bald darauf war's, als Herr Michael von Kroczinski mit der ganzen Vetterschaft nach Raciaz zum König reiste. Heinz erfuhr davon durch Natalia, fürchtete aber Verdacht zu erregen, wenn er durch die Polen einen Brief an einen Ordensgebietiger übergeben ließ, und hielt ihn lieber noch zurück.
Natalia aber trug einem der Vettern dringend