Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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      Am folgenden Tage zog Großfürst Witowd mit seinen Litauern ab. Die Lagerplätze waren so verpestet, daß sie nicht von andern Truppen besetzt werden konnten. Die Russen folgten ihm.

      Wenige Tage später brachen auch die Herzöge von Masowien auf.

      Im polnischen Lager ging das Gerücht um, daß von Norden her ein großes Heer im Anzuge sei und neuer Kampf mit dem erstarkten Gegner bevorstehe. Mehrere von den polnischen Großen rafften ihre Beute zusammen und machten sich heimlich aus dem Staube.

      Aber noch wollte der König vom Abzuge nichts wissen. Unerträglich war ihm der Gedanke, die Frucht seiner Siege vor den Mauern der stolzen Feste wegwerfen zu müssen. Mit fieberhaftem Eifer griff er jetzt überall selbst ein, ordnete er Maßregeln zur festeren Umschließung der Burg an. Eine Woche und noch eine Woche hielt er stand.

      Und schon schien es, als ob endlich doch die Belagerten durch den Hunger gezwungen werden sollten. Die Kornvorräte verminderten sich zusehends jeden Tag; das Schlachtvieh der Marienburger war längst aufgezehrt. Immer spärlicher wurden die Rationen der Krieger. Ausfälle nützten wenig, da die Gegend ringsum verheert war; gelang es auch einmal, ein Lastschiff zu nehmen, das den Königlichen Lebensmittel zuführte, so waren doch der Hungrigen zu viele. Voll Sorge erwartete der Statthalter an jedem Abend den Bericht seiner Kämmerer, daß die Speicher gänzlich geleert seien. Dann blieb nach so langer und tapferer Gegenwehr doch nur die Übergabe, und des Königs Beharrlichkeit siegte.

      Da langte eines Tages gegen die Mitte des September hin glücklich ein Bote in der Burg an, der eine wichtige Nachricht brachte. Der Großschäffer von Königsberg, Georg von Wirsberg, sei unterwegs mit einer Flotte von Lastschiffen, alle beladen mit Lebensmitteln und Waffen. Sie sei über das Frische Haff gekommen und in die Nogat eingelaufen. Der Landmarschall von Livland decke sie gegen Elbing hin mit einem Heerhaufen, dürfe sich aber ohne Verständigung nicht näher heranwagen. Größte Eile sei geboten, damit der Transport dem Könige nicht verraten werde.

      Das wußte auch Plauen. Er schickte sogleich den Boten zurück und ließ melden, daß er in einigen Stunden nach zwei Seiten zugleich ausfallen werde, um die Polen im Lager zu beschäftigen und indes der Flotte den Zugang zu öffnen. Sofort wurden alle nötigen Vorbereitungen getroffen, den Erfolg zu sichern. Das Kriegsvolk, das erfuhr, was zu hoffen stand, gewann neuen Mut.

      Der Anschlag gelang vollkommen. Der König mußte zusehen, wie die Burg sich frisch verproviantierte und mit Mannschaft verstärkte. Als aber der Großschäffer von Königsberg vor dem Statthalter erschien, umarmte derselbe ihn tiefbewegt und sagte: Bruder Georg, das will ich dir nimmer vergessen! Deine Treue rettet die Burg.

      Der König erhielt fast zu gleicher Zeit eine schlimme Botschaft: der König von Ungarn war in Polen eingefallen und verwüstete das Land. So hatte er dem Orden Wort gehalten.

      Da beugte Jagello sich dem unvermeidlichen Geschick. Er gab Befehl zum Aufbruch. Aber die zusammengekrampfte Faust gegen die Burg schüttelnd, rief er: Jetzt weichen wir, doch wir kehren wieder, und dann soll euch die Jungfrau Maria nicht vor dem Verderben schützen. Nicht weil ihr Sieger seid, sondern weil ein anderer Feind uns abruft zu neuen ruhmreichen Kämpfen, lassen wir euch den Platz. Er muß uns ohne Schwertstreich in die Hände fallen, wenn jener niedergeworfen ist. Wehe euch, wenn wir wieder hier erscheinen. Dann keine Gnade!

      In der nächsten Nacht sah man von den Mauern und Türmen der Burg ringsum hellen Feuerschein. König Wladislaus Jagello hatte hinter sich sein Lager in Brand gesteckt. Die ersten Strahlen der herbstlichen Sonne leuchteten schon in weiter Ferne auf den Helmkappen und Lanzenspitzen der Reiter, die den Abzug des gewaltigen Heeres deckten.

      Es war am neunzehnten September des Jahres eintausendvierhunderundzehn, als das geschah »nach Schickung und Willen unseres Herrn«.

      In der Marienburg aber lagen Tausende auf den Knien und sangen inbrünstig mit den Ordenspriestern: Tedeumlaudamus!

      21. DIE HOCHMEISTERWAHL

       Inhaltsverzeichnis

      Der König zog über Stuhm, Marienwerder, Rheden der Grenze zu, von neuem plündernd und brennend. Das Haus Rheden, nur von fünfzehn betagten Ordensbrüdern verteidigt, mußte sich nun ergeben. Überall legte er Mannschaft in die eroberten Burgen. Wir kommen wieder! rief er den Bürgermeistern der Städte und den Landesältesten zu, die um Schonung baten. Bei Thorn überschritt er die Grenze und nahm seine Residenz gegenüber in dem alten Schloß Slottorie, um von da die Rüstung eines neuen Heeres zu betreiben und den Verkehr mit den Städten und Landschaften zu unterhalten, die ihm gehuldigt hatten. Das Land Preußen glaubte er so in Schrecken gesetzt zu haben, daß im nächsten Frühjahr auf ernstlichen Widerstand nicht zu rechnen sei.

      Aber fast auf dem Fuße folgten ihm von Elbing her der Landmarschall von Livland und der Komtur von Balga mit einem Heere und brachten schnell wieder das ganze Kulmer Land unter des Ordens Botmäßigkeit zurück. Der Komtur von Ragnit säuberte das osterodische Gebiet und nahm dem Feinde alle Burgen wieder ab. Nur in Thorn, Rheden und Strasburg hielten sich die Königlichen. Aber überall war Jammer und Not, Haus und Hof verbrannt, das Vieh fortgetrieben, die Ernte zertreten – und der Winter stand vor der Tür!

      Es war am Anfang des Novembers, als auf der Marienburg zahlreiche Gäste eintrafen. Aber nicht wie sonst waren sie zu heitersten Festen geladen, und nicht mit lustiger Musik wurden sie im geschmückten Hause empfangen. Traurig war der Anblick der zerschossenen Giebel und gestürzten Zinnen. So eifrig auch die Handwerker auf des rührigen Statthalters Befehl an der Wiederherstellung arbeiteten, zu groß war die Verwüstung, als daß so schnell jede Spur der zehnwöchigen Belagerung hätte verwischt werden können. Still und ernst zogen die Gäste ein, und in manchem Auge glänzte eine Träne, deren sich auch der rauhe Kriegsmann nicht zu schämen brauchte.

      Sie kamen zur Hochmeisterwahl, durch Eilboten von Plauen berufen.

      Aus dem Reich erschien der Deutschmeister Konrad von Eglofstein mit seinen vornehmsten Gebietigern, vielen Ordensbrüdern und einigen Söldnerhaufen; von Livland Konrad von Vietinghof, der Landmeister, mit mehreren Komturen und Rittern. Auch die Landkomture von Österreich und von der Etsch hatten die weite Reise nicht gescheut und mancherlei abenteuerlustige Kriegsgäste mitgebracht. Der Statthalter empfing jeden nach Gebühr und entschuldigte, was etwa wider die strenge Ordensregel in der Zeit der Not geschehen war.

      Viel besprachen die Großwürdenträger und Gebietiger miteinander im geheimen, die Wahl vorzubereiten. Die Blicke der meisten richteten sich auf Heinrich von Plauen. Einige aber waren ihm seiner Strenge wegen abgeneigt und nahmen Partei für Michael Küchmeister von Sternberg, der sich auch als ein tapferer Mann bewiesen und die Neumark gehalten habe. Leider war er aber in der siegreichen Schlacht bei Deutsch-Krone für seine Person niedergeworfen und noch in der Gefangenschaft des Königs. Der Orden brauchte sofort ein Oberhaupt. So wurden seine Anhänger kleinlaut, obschon Plauen selbst ihn empfahl. Endlich wurde auf den Sonntag vor Martini, den neunten November, das Wahlkapitel berufen.

      Es versammelte sich im Kapitelsaal neben der Kirche im oberen Hause, das der Statthalter so tapfer verteidigt hatte. Zuerst wurde eine Messe vom Heiligen Geist gesungen. Durch einen Priesterbruder ließ hierauf der Statthalter aus dem Ordensbuche die Regel und Gesetze über die Meisterwahl verlesen. Dann legte er sein Amt nieder und übergab zum Zeichen dessen dem Meister von Deutschland, Konrad von Eglofstein, das Ordenssiegel, daß er nun Statthalter sei bis zur Wahl des Hochmeisters. Es zeigte die Gottesmutter mit dem Kinde, in der Linken eine Lilie haltend und sitzend auf einem Thron von durchbrochener Arbeit. So aller Macht entledigt, trat er bescheiden unter die Brüder zurück.

      Nun ernannte der Deutschmeister den Landkomtur von Österreich zum Wahlkomtur und fragte das Kapitel, ob ihm solches genehm sei. Alle stimmten zu. Darauf beriet der Wahlkomtur mit dem Deutschmeister und erkor mit seinem Wissen einen zweiten Wähler. Diese zwei wählten einen dritten, die drei den vierten und so fort bis zum dreizehnten, acht Ritterbrüder, vier dienende Brüder und einen Priester, aus Preußen wie aus anderen Ordensgebieten. Wieder fragte der Deutschmeister das Kapitel, ob