»Er soll nichts besitzen, was nicht wirklich und wahrhaftig sein Recht ist,« unterbrach ihn die sanfte Stimme, »selbst wenn irgend ein Gesetz ihm dazu verhelfen könnte.«
»Das kann das Gesetz leider nicht,« sagte der Graf, »sonst würde es geschehen. Dieses erbärmliche Geschöpf und ihr Kind –«
»Vielleicht hat sie ihren Knaben ebenso lieb, wie ich meinen Ceddie, Mylord,« sagte die kleine Mrs. Errol, »und wenn sie die Frau Ihres ältesten Sohnes gewesen ist, so ist jener Lord Fauntleroy, und mein Kind nicht.«
Sie hatte so wenig Angst vor ihm wie Cedrik, sie sah ihn gerade so unerschrocken an, wie jener, und das that dem Manne wohl, der sein lebenlang ein Tyrann gewesen war. Es war ihm so selten begegnet, daß jemand gewagt hatte, ihm gegenüber andrer Meinung zu sein, daß es den Reiz der Neuheit für ihn hatte.
»Ihnen wäre es wohl bedeutend lieber, wenn er nicht Graf Dorincourt zu werden hätte?« fragte er etwas gereizt.
Ein leichtes Rot flog über das liebliche Gesicht.
»Graf Dorincourt zu sein, ist ein hohes, glänzendes Los, Mylord, das weiß ich wohl, allein am meisten liegt mir daran, daß er werden soll, wie sein Vater war – gut und gerecht und allezeit wahr und treu.«
»In schneidendem Gegensatz zu dem, was sein Großvater war.«
»Ich habe bis jetzt nicht das Glück gehabt, seinen Großvater zu kennen,« erwiderte Mrs. Errol, »aber ich weiß, daß mein Kind glaubt –« sie hielt inne, sah den Grafen ruhig an und setzte dann hinzu: »Ich weiß, daß Cedrik Sie lieb hat!«
»Würde er das wohl auch gethan haben,« bemerkte der Graf trocken, »wenn Sie ihm gesagt hätten, weshalb ich Sie nicht im Schlosse empfange?«
»Nein,« erwiderte Mrs. Errol bestimmt, »ich glaube kaum, deshalb wollte ich ja nicht, daß er es erfahren sollte.«
»Nun,« sagte der Graf rauh, »viele Frauen gibt es nicht, die in dem Falle geschwiegen hätten.«
Er begann auf einmal, hastig im Zimmer auf und ab zu gehen, wobei der Bart grausamer als je mißhandelt wurde.
»Ja, er hat mich lieb,« sagte er, »und ich habe ihn lieb. Ich kann nicht sagen, daß mir das oft mit Menschen passiert ist. Ich hab' ihn lieb. Im ersten Augenblick hat er mir gefallen. Ich bin alt und war des Lebens überdrüssig – seit ich ihn habe, weiß ich, wofür ich lebe. Ich bin stolz auf ihn; es hat mir wohl gethan, zu denken, daß er einst das Haupt unsres Hauses sein werde.«
Er blieb vor Mrs. Errol stehen.
»Ich bin unglücklich und elend – – elend!«
Man sah es ihm an. Nicht einmal sein Stolz war im stande, Stimme und Hände vor dem Zittern zu bewahren, und einen Augenblick war es, als ob Thränen in den tiefliegenden Augen ständen. »Vielleicht bin ich deshalb zu Ihnen gekommen, weil ich so elend bin,« fuhr er fort, sie förmlich mit den Augen verschlingend. »Ich habe Sie gehaßt; ich bin eifersüchtig gewesen auf Sie. Diese niederträchtige, jammervolle Geschichte hat alles anders gemacht. Nachdem ich die ekelerregende Person, die sich die Frau meines Bevis nennt, gesehen hatte, war mir's, als müßte es eine Wohlthat für mich sein, Sie zu sehen. Ich bin ein eigensinniger alter Narr gewesen, und ich glaube wohl, daß ich Ihnen übel mitgespielt habe. Sie sind wie der Junge – und der Junge ist das einzige, was ich auf der Welt habe. Ich bin elend, und nur weil Sie ebenso sind wie der Junge, und weil er Sie lieb hat, und ich ihn lieb habe, bin ich zu Ihnen gekommen. Um des Jungen willen, seien Sie nicht hart gegen mich!«
Er sagte das alles in seinem rauhen, herben Tone, schien aber so ganz und gar gebrochen und tief gedrückt, daß Mrs. Errols Herz von Sympathie und Mitleid überströmte. Sie rückte einen Lehnstuhl heran.
»Wenn Sie sich nur setzen wollten,« sagte sie in ihrer einfachen, herzgewinnenden Weise. »Der Kummer hat Sie müde gemacht und Sie brauchen jetzt all Ihre Kraft.«
Daß man so einfach und liebevoll mit ihm sprach und für ihn sorgte, war ihm ebenso neu, wie der erfahrene Widerspruch, auch dies erinnerte ihn an »seinen Jungen«, und er that, wie ihm geheißen. Vielleicht war diese Verzweiflung und diese bittere, abermalige Enttäuschung recht heilsam für ihn. Wenn dies Elend nicht über ihn hereingebrochen wäre, hätte er die kleine Frau noch immer mit Haß und Abneigung betrachtet, während er jetzt in ihrer Nähe Trost fand. Freilich war es nicht allzu schwierig, ihm zu gefallen, nachdem er »die andre« gesehen, aber dies Gesichtchen und diese Stimme waren doch besonders wohlthuend und in ihren Bewegungen und ihrer Sprache lag ein sanfter eigenartiger Reiz, unter dessen unwiderstehlichem Zauber er sich bald weniger gedrückt fühlte und mitteilsam wurde.
»Was auch daraus werden mag,« sagte er, »für den Jungen soll gesorgt sein, jetzt und für die Zukunft.«
Als er sich zum Gehen anschickte, sah er sich im Zimmer um.
»Gefällt Ihnen das Haus?« fragte er.
»O gewiß, außerordentlich,« lautete die aufrichtige Antwort. »Ein gemütliches, heiteres Zimmer,« bemerkte er. »Darf ich wiederkommen und die Sache mit Ihnen durchsprechen?«
»So oft Sie wollen, Mylord!«
Darauf stieg er in seinen Wagen und fuhr davon, Thomas und Henry aber waren vor Erstaunen über diese neue Wendung der Dinge in der That sprachlos.
Zwölftes Kapitel.
Der Retter in der Not
Selbstverständlich drang die Geschichte von Lord Fauntleroy und der schwierigen Lage Graf Dorincourts aus den englischen Zeitungen auch in die amerikanischen, sie war viel zu interessant, als daß man sie sich hätte entgehen lassen können, und dort wie hier bildete sie bald das Tagesgespräch. Der Lesarten waren allmählich so viele geworden, daß eine gewissenhafte Zusammenstellung derselben zum Kapitel der Mythenbildung einen nicht zu unterschätzenden Beitrag geliefert hätte. Mr. Hobbs las so viel darüber, daß er zuletzt vollständig verwirrt und nahezu geistesgestört wurde. Die eine Zeitung schilderte seinen jungen Freund als ein hübsches Baby im Tragkleidchen, die andere als einen hoffnungsvollen Schüler der Universität Oxford, welcher dort die größten Auszeichnungen davontrug und namentlich ganz hervorragende Gedichte in griechischer Sprache verfaßte. Ein Blatt berichtete, daß er mit einer jungen Dame von auffallender Schönheit, der Tochter eines Herzogs, verlobt sei, ein andres, daß er sich vor kurzem verheiratet habe, und das einzige, was nirgends erzählt wurde, war, daß er ein kleiner Junge zwischen sieben und acht Jahren mit strammen, flinken Beinen und lockigem Haar war! Die eine Auffassung ging dahin, daß er überhaupt kein Verwandter, sondern ein kleiner Usurpator sei, der in New York Zeitungen verkauft und auf der Straße geschlafen habe, bis es seiner Mutter gelungen sei, den Anwalt des Grafen vollständig zu täuschen und für sich zu gewinnen. Dann kamen die Beschreibungen des neuerdings aufgetauchten Lord Fauntleroy und seiner Mutter. Einmal war sie eine Zigeunerin, das andre Mal eine Schauspielerin, das dritte Mal eine schöne Spanierin. Nur in dem einen stimmten alle Nachrichten überein, daß der Graf ihr Todfeind sei und alles daran setzen werde, die Ansprüche ihres Knaben nicht anerkennen zu müssen, und da sich in den Papieren, die sie vorweisen konnte, einige Ungenauigkeiten fänden, sei ein Prozeß mit Sicherheit zu erwarten, der an sensationeller Spannung alles bisher Dagewesene weit hinter sich lassen werde. Mr. Hobbs pflegte ganze Stöße Zeitungen durchzustudieren, bis ihm der Kopf brannte, und abends wurde dann alles mit Dick durchgesprochen. Allmählich ging dabei den beiden über die Bedeutung der Stellung eines Grafen Dorincourt ein Licht auf, und je genauer sie erfuhren, welch glänzendes Vermögen und welch herrliche Güter ein solcher besaß, desto höher steigerte sich ihre Aufregung.
»Man sollte eben etwas thun,« wiederholte Mr. Hobbs täglich. »So einen Besitz darf man