Nein!
Euer Blick
Ward mit einmal schwarz und sorgenumdüstert;
Und nun steht ihr im Dunkel und schauert und flüstert.
Fürchterlich, fürchterlich
Ist dies Geheimnis, das ihr verschließt.
Ich spür
Es wie Tod und Gottes Zorn über mir.
JEREMIAS (stammelnd):
Nichts, Mutter… nichts… verbergen wir dir.
DIE MUTTER:
Was belügt ihr mich,
Was betrügt ihr mich?
Noch bin ich nicht tot und nicht eingesargt,
Noch geht der warme Atem von mir,
Noch schlägt mir das Blut aus dem Herzen heraus,
Noch kann ich hören, noch bin ich nicht stumm,
Noch bin ich lebendig im eigenen Haus.
JEREMIAS:
Mutter… du fieberst… Wahn hält dich umkrallt,
Deine Schläfen sind Feuer… deine Hände so kalt…
DIE MUTTER:
Was biegt ihr mir aus,
Was schließt ihr mich ab?
Und wär es die Schrecknis, ich will um sie wissen!
Warum, oh warum
Sind hier die Fenster und Türen verhängt,
Warum ist alles so dunkel und stumm?
Wie in einen Sarg
Habt ihr mich wach in mein Bett versenkt,
Mich schwarz vergraben in Matten und Kissen.
Warum, warum
Stoßt ihr gewaltsam in Grauen und Grab
Mich, die Lebendige, jetzt schon hinab?
JEREMIAS:
Mutter… Mutter… bette dich hin…
Nicht wirf dich hoch… beruhige dich…
Meine Hände fühle… ich bin doch bei dir…
DIE MUTTER:
Ich lebe… ich lebe… ich lebe noch,
Ich lasse mich nicht belügen und trügen.
Fürchterlich Wachen kommt über mich.
Ich weiß es, ich weiß es jetzt grauenvoll klar,
Daß mein Träumen nicht Traum, sondern Wirklichkeit war.
Oft
Hörte ich Dröhnen
Von Rossen und Wagen,
Ein Tönen,
Klirren und Klagen und Waffenschlagen,
Posaunen schollen dumpf in den Raum her,
Und ich lag
Von Grauen umdrängt
Und meinte,
Daß all dies nur mein eigener Traum wär.
Doch jetzt
Bin ich wach,
Grauenhaft wach,
Der Tod hat die Lider mir aufgesprengt.
Ich weiß,
Warum ihr das Licht und den Lärm mir verhängt:
Unheil ist um in der Stadt, in den Toren,
Wir sind geschlagen, wir sind verloren.
Wehe, Krieg ist in Israel!
JEREMIAS:
Mutter! Mutter!
DIE MUTTER:
Jeremia,
Jeremia, sprich,
Nicht laß mich in Dunkel, nicht schweige mich an.
Sag,
Ist er gekommen,
Den du verkündet,
Der König, der König von Mitternacht?
JEREMIAS:
Du träumst, Mutter, du träumst.
JOCHEBED (flüsternd):
Leugne es ihr… um ihres Lebens willen leugne es ihr…
DIE MUTTER (im Fieber):
Weh, die Fanfaren,
Wie sie dröhnen und schallen!
Er ist da, er ist da,
Der reisige König von Mitternacht!
Krieg ist in unsere Länder gefallen,
Feind kommt gefahren
Unendliche Scharen.
Weh, wie sie stürmen!
Es knicken die Mauern,
Es brechen die Tore
Gewaltig entzwei.
Verloren… verloren
Israels Stadt und heiliges Haus.
Die Mauer begräbt mich,
Die Mauer erschlägt mich.
Weh! Ich will nicht verbrennen im Bette!
Rette mich, rette!
Wohin
Soll ich entfliehn?
Jeremia… wo bist du… Jeremia,
Hebe mich fort… trag mich hinaus!
JEREMIAS (bei ihr kniend):
Mutter, Mutter, unseliger Wahn
Hält dich umkettet,
Mutter, Mutter, höre mich an!
DIE MUTTER:
Ich halt deine Hand, ich halt deine Hände,
So schwöre mir, schwöre,
Daß es nicht wahr ist.
Schwöre mir, schwöre,
Daß Israel nicht in Not und Gefahr ist.
Schwör mirs, beschwöre,
Daß kein Feind mir die letzte Ruhe verstört,
Daß mein Leib in Zion zur Erde fährt!
JEREMIAS (erschreckt):
Es wird… es wird… Gott wird gnädig sein
Unserm Tode, wie ers dem Leben ist.
DIE MUTTER:
Jeremia,
Sage mir, sage,
Bin ich wach oder wirr,
Ist Feind vor den Toren
Oder seligen Friedens voll unsere Welt?
(JEREMIAS mit sich ringend, sucht vergeblich ein Wort.)
ACHAB (gleichzeitig auf ihn eindringend):
Täusche sie… sprich doch… eh sie vergeht.
Siehst du denn nicht,
Wie dunkel schon auf ihrem Gesicht
Schatten des Todesengels hinweht?
Die Angst… die Schrecknis… scheuch ihr sie fort…
JOCHEBED:
Sprich ihr zu… sonst wird es zu spät…
Ein Wort nur… ein Wort,
Daß sie in Frieden zu Gott eingeht.
JEREMIAS (mit sich ringend):
Ich… kann nicht… ich kann nicht.