Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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kann, so will ich lieber von dir mit ihm reden, als allein an ihn denken.

      Sieh nur, wie viele Gründe das Bedürfniß steigern, das ich beständig empfinde, dich bei mir zu haben! Wenn für dich, die du vernünftiger und glücklicher bist, diese Gründe auch nicht vorhanden sind, fühlt deshalb dein Herz weniger dasselbe Bedürfniß? Wenn es wahr ist, daß du dich nicht wieder verheiraten willst, sage doch, da du in deiner Familie so wenig Befriedigung findest, welches Haus kann dir mehr zusagen, als dieses hier? Mich, sieh, mich schmerzt es, dich in dem deinigen zu wissen; denn, wie du dich auch verstellen magst, ich weiß recht gut, wie du dort lebst, und lasse mich nicht durch die angenommene Lustigkeit täuschen, welche du uns in Clarens zum Besten gabst. Du hast mir in meinem Leben manchen Fehler vorgeworfen; aber ich habe dir deinerseits einen recht großen vorzuwerfen, nämlich, daß du dich mit deinem Schmerze immer verschließest und zurückziehst. Du versteckst dich, wenn du traurig bist, als ob du dich schämtest, vor deiner Freundin zu weinen. Clara, das liebe ich nicht. Ich bin nicht ungerecht wie du; ich tadle deinen Schmerz nicht; ich will nicht, daß du nach zwei oder zehn Jahren, ja, in deinem ganzen Leben aufhörst, das Andenken eines so zärtlichen Gatten zu ehren; aber ich tadle dich, die du deine schönsten Tage damit hingebracht hast, mit deiner Julie zu weinen, daß du es ihr nicht gönnst, nun auch mit dir zu weinen, und mit ehrenwertheren Thränen die Schmach jener, die sie an deinem Busen vergoß, auszulöschen. Wenn es dir verdrießlich ist, traurig zu sein, ach, dann kennst du die wahre Traurigkeit nicht. Wenn du ein gewisses Vergnügen darin findest, warum willst du es mich nicht theilen lassen? Weißt du nicht, daß das Ausschütten der Herzen der Trübsal etwas Süßes und Wehmüthiges mittheilt, das ein zufriedenes Leben nicht gewähren kann? Und ist nicht die Freundschaft recht eigentlich den Unglücklichen verliehen zum Trost in ihren Leiden und zur Linderung ihrer Schmerzen?

      Sieh, Liebe, Alles das solltest du bedenken und ich muß noch hinzufügen, daß ich bei dem Vorschlage, daß du bei mir wohnen sollst, nicht weniger im Namen meines Mannes als in meinem eigenen spreche. Er hat sich öfters, wie mir schien, darüber gewundert, ja, fast Anstoß daran genommen, daß zwei solche Freundinnen, wie wir sind, nicht zusammenwohnen; er versichert, daß er es dir selbst gesagt habe, und er ist nicht der Mann, der Etwas nur so hinspricht. Ich weiß nicht, wie du dich nach diesen meinen Vorstellungen entschließen wirst; ich hoffe, so, wie ich es wünsche. Mein Entschluß steht jedenfalls fest, und ich werde nicht davon weichen. Ich habe die Zeit nicht vergessen, da du mir nach England folgen wolltest. Jetzt, unvergleichliche Freundin, ist die Reihe an mir. Du kennst meinen Widerwillen gegen die Stadt, meine Neigung zum Landleben und zu ländlichen Arbeiten, und du weißt, wie lieb mir durch diesen dreijährigen Aufenthalt mein Haus in Clarens geworden ist. Es ist dir auch nicht unbekannt, wie viel Unruhe es macht, mit einer ganzen Familie umzuziehen und wie es wahrlich die Gefälligkeit meines Vaters mißbrauchen heißt, wenn man ihn so oft umsiedelt. Nun wohl! wenn du nicht deine Wirthschaft verlassen und dich an die Spitze der meinigen stellen willst, so bin ich entschlossen, ein Haus in Lausanne zu miethen, wo wir dann alle bei dir wohnen werden. Entscheide dich also; Alles drängt dazu, mein Herz, meine Pflicht, mein Glück, meine gerettete Ehre, meine wiedererlangte Vernunft, meine Lage, mein Mann, meine Kinder, ich selbst; dir verdanke ich Alles, was ich um mich sehe, erinnert mich daran, und ohne dich bin ich Nichts. Komm also, meine Herzensgeliebte, mein Schutzengel, komm und stelle dein Werk sicher, komm und freue dich der Frucht deiner Wohlthaten. Laß unsere Familien nur Eine sein, wie wir, um sie zu lieben, nur Eine Seele haben; du wirst über die Erziehung meiner Söhne, ich werde über die deiner Tochter wachen: wir werden die Mutterfreuden doppelt genießen. Wir werden unsere Herzen gemeinsam zu Dem erheben, der das meinige durch deine Bemühungen gereiniget hat; so wird uns weiter nichts auf dieser Welt zu wünschen übrig bleiben, und wir werden im Schoße der Unschuld und der Freundschaft das andere Leben still erwarten.

      Zweiter Brief.

       Antwort.

       Inhaltsverzeichnis

      Mein Gott, Cousine, was für Vergnügen hat mir dein Brief gemacht! Reizende Predigerin! .... reizend in der That. und dennoch Predigerin .... predigend zum Entzücken. Aber Thaten, nicht so viel Redens! Der athenische Architekt .... der so schön zu sprechen wußte .... du weißt ja .... in deinem alten Plutarch .... Alles herrlich beschrieben, ein wundervoller Tempel! .... Sobald er ausgeredet, kommt der andere, ein schlichter Mann, ernsthaft, gesetzt .... wie Einer, würde deine Cousine Clara sagen .... mit einer tiefen Stimme, langsam, ja, etwas durch die Nase .... „Was der da gesagt hat, das werde ich machen." .... Er schweigt; Händeklatschen. Fort mit dem Phrasenmanne [Plutarch erzählt, daß von zwei Architekten, welche sich den Atheniensern zu einem Baue anboten, der erste dem Volke weitläufig vorgetragen habe. wie er Alles machen würde, dann aber der andere aufgetreten sei und nur die obigen wenigen Worte gesprochen habe; diesen habe das Volk gewählt. D. U.] …. Mein Kind, die beiden Architekten sind wir; der Tempel, um den es sich handelt, ist der der Freundschaft.

      Laß uns ein Bißchen die schönen Sachen durchnehmen, die du mir gesagt hast. Erstlich, daß wir uns liebten, und dann, daß ich dir unentbehrlich wäre, und dann, daß du es mir auch wärest, und dann, da wir Freiheit haben, unser Leben mit einander zu verbringen, daß wir das thun sollten. Und das Alles hast du ganz allein erdacht? Ungelogen, du bist eine beredte Person! Nun aber! ich will dir doch sagen, womit ich meinerseits mich beschäftigt habe, während du diesen vortrefflichen Brief ausstudirtest. Alsdann sollst du selbst urtheilen, was mehr werth ist, das, was du sagst, oder das, was ich thue.

      Kaum hatte ich meinen Mann verloren, so fülltest du die Lücke aus, welche er in meinem Herzen gelassen hatte. Bei seinen Lebzeiten theilte er mein Herz mit dir; seit er nicht mehr ist, habe ich nur dir allein angehört, und, wie du über die Verknüpfung der mütterlichen Zärtlichkeit und der Freundschaft richtig bemerkt hast, selbst meine Tochter war für uns ein Band mehr. Nicht nur beschloß ich von Stund' an, mein übriges Leben mit dir zuzubringen, sondern ich machte einen weiter reichenden Plan. Damit unsere beiden Familien zu einer einzigen würden, nahm ich mir vor, vorausgesetzt, daß sich Alles so schickte, eines Tages meine Tochter mit deinem ältesten Sohne zu verbinden; der im Spaß üblich gewordene Name „Mann" schien mir ein glückliches Vorzeichen, daß er ihm einst im Ernste zukommen würde.

      In diesem Gedanken suchte ich zuvörderst die verwickelte Erbschaftsangelegenheit in Ordnung zu bringen, und da ich meine Mittel hinlänglich fand, um Einiges der Abmachung des Uebrigen zu opfern, ließ ich es mir nur angelegen sein, den Antheil meiner Tochter in sicheren Effekten und frei von den prozessualischen Schwierigkeiten anzulegen. Du weißt, daß ich in vielen Dingen so meine eigenen Einfälle habe; diesmal war es meine Narrheit, dich zu überraschen. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, eines schönen Morgens in dein Zimmer zu treten, an der einen Hand mein Kind, in der andern eine Brieftasche, und mit einem schönen Knix, Mutter, Tochter, und ihr Gut, nämlich der Letzteren Mitgift, in deine Hände zu legen. Verfüge darüber, wollte ich dabei sagen, den Interessen deines Sohnes gemäß; denn hinfort ist es seine und deine Sache; ich für mein Theil kümmere mich nicht mehr darum.

      Voll von diesem reizenden Gedanken, sah ich mich nach Jemanden um, der ihn mir ausführen hülfe. Nun rathe, wen ich zum Vertrauten wählte. Einen gewissen Herrn von Wolmar; du kennst ihn wohl? — Meinen Mann, Cousine? — Ja, deinen Mann, Cousine! Der nämliche Mann, dem es dir so sauer wird ein Geheimniß zu verbergen, das zu wissen für ihn nicht gut wäre, ist der, welcher dir eines recht gut verschweigen konnte, das zu erfahren dir so angenehm gewesen wäre. Dies war der wahre Gegenstand aller jener geheimnißvollen Unterhaltungen, über die du gegen uns so komisch zu Felde zogst. Du siehst, wie versteckt sie sind, diese Männer! Ist es nicht spaßhaft, daß sie es sich herausnehmen, uns Verstellung Schuld zu geben? Ich habe dem deinen noch mehr zugemuthet, ich sah recht gut, daß du mit demselben Plane umgingst, wie ich, aber mehr inwendig, und nach deiner Art, dich immer nur nach dem Maße aufzuschließen, als man sich dir hingiebt. Nun suchte ich dir eine noch angenehmere Ueberraschung zu bereiten, und verlangte, er sollte, wenn du ihm unser Zusammenleben vorschlagen würdest, so thun, als ob ihm dein Eifer für die Sache nicht recht gelegen wäre, und sich bei der Einwilligung ein wenig kalt stellen. Er gab mir eine Antwort, die ich behalten habe, und die du dir wohl merken mußt; denn ich glaube nicht, seit es Ehemänner