Die Romantik. Ricarda Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 4064066388836
Скачать книгу
lieben Scenen, die mir bevorstanden.« Er liebte die Sonne, aber da die Nacht unvermeidlich dem Tage sich anschließt und Tod der Ausklang alles Lebens ist, entschloß er sich mit einem stolzen Aufschwung seiner Seele die Nacht und den Tod grenzenlos zu lieben, ähnlich wie er den gordischen Knoten des Welträthsels dem Bilde zu Sais gegenüber löst. »Und wenn kein Sterblicher, nach jener Inschrift dort, den Schleier hebt, so müssen wir Unsterbliche zu werden suchen.« Unwürdig wäre es den Tod zu fliehen, unmöglich ihn zu verachten – außer wenn man mit heißester Anstrengung ihn an Leben anknüpfte, in Leben verwandelte. Als zum Ueberwinder des Todes betete Novalis fortan mit neuem Verständniß zu Christus; als die wesentlich todüberwindende Religion wurde ihm das Christenthum, in dem er erzogen war, eine neue Errungenschaft Was die Philosophie ihm sagte, daß das Ich unvergänglich sei, wie auch der Augenschein dagegen zeuge, das gab ihm nun der blinde, schreiende Schmerz um ein geliebtes Wesen als gedankenlose Ueberzeugung ein, daß sie nicht todt sein dürfe, nicht todt sein könne, diese junge Seele, deren Vollendung zu fördern die höchste Krone seiner Liebe gewesen war. Das Engagement war nicht für diese Welt gewesen, wie er sagte; nicht in dieser Form, nicht auf dieser Stätte hatte sie reifen sollen, und auch ihm, so glaubte er fest, sei es nicht beschieden. Seine Seele strebte mit müdem, sehnendem Flügelschlage nach der heiligen Küste, wo sie bei der Verlorenen ruhen könnte. Damals mag in ihm jenes wunderbare Lied entstanden sein mit den Versen:

      Noch wenig Zeiten,

      So bin ich los,

       Und liege trunken

       Der Lieb' im Schoß.

       Ich fühle des Todes

       Verjüngende Fluth,

       Zu Balsam und Aether

       Verwandelt mein Blut.

       Ich lebe bei Tage

       Voll Glauben und Muth,

       Und sterbe die Nächte

       In heiliger Gluth.

      Höchst charakteristisch ist es nun, wie er seine innerliche und natürliche Ablösung vom Leben zu bewerkstelligen dachte, nämlich nicht etwa so, daß er sich völlig von den Menschen und ihren Vergnügungen zurückgehalten hätte. Ohne sie gerade aufzusuchen, vermied er doch seine Familie und seine Freunde nicht, zeigte sich immer heiter und mitgenießend, so aber wie etwa ein an fremde Küsten verschlagener Fremdling die Sitten des Landes aus edler Gefälligkeit mitmacht, dessen Seele doch immer und immer in der geliebten Heimath verweilt. An Freunden, die ihm seine Trauer gerne leichter gemacht hätten, fehlte es ihm nicht.

      Ein sonderbares Verhältniß bestand zwischen ihm und Friedrich Schlegel, einem seiner ältesten Freunde. Fast mit keinem andern war der geistige Verkehr so anregend und fruchtbar, mit keinem konnte er besser symphilosophiren. Ihre beiden Intellekte liebten es zusammen spazieren zu gehen und ihre Erlebnisse auszutauschen. Aber Friedrich, so fein, mächtig, umfassend er auch dachte, dachte nicht herzlich wie Novalis. Und Novalis' schlanke, geschmeidige, keusche Natur scheute manchmal vor Friedrich's schwerfälliger Ueppigkeit zurück. Es war wie wenn ein Erdgeist und ein Luftgeist miteinander verkehrten. Friedrich spürte den reinen, starken, beseelenden Hauch, der von Novalis ausging, und liebte ihn mit einer ganz kleinen und sehr rührenden Beimischung von Demuth; Novalis mochte wohl seine leichte Gestalt gern einmal an die untersetztere, irdischbreite des Freundes schmiegen. Jedenfalls vergaß er gewiß nicht, was er als 21jähriger an Friedrich geschrieben hatte: »Für mich bist du der Oberpriester von Eleusis gewesen. Ich habe durch dich Himmel und Hölle kennen gelernt, durch dich vom Baume des Erkenntnisses gekostet.«

      Wilhelm empfand in Novalis etwas Fernes, Fremdes und Schönes, das er nicht ohne Ehrerbietung umwarb; und wie hätte Karoline diese harmonische Erscheinung nicht lieb haben sollen? Aber sie beide waren für ihn, was man vielleicht am kürzesten zu wenig romantisch nennen könnte.

      »Er sprach wie aus einer tiefen Vergangenheit des Geistes heraus«, sagt Steffens von Novalis, wo er in den Lebenserinnerungen seiner gedenkt. In diese heimliche Innenwelt, wo er am liebsten weilte, konnten sie nicht mit. Sie liebten ihn, wie man den liebt, der aus einem fernen, geheimnißvollen Lande kommt, dessen Sprache einen seltsamen, nievernommenen Accent hat, der im Sprechen Bilder gebraucht, die einer Landschaft von unbekanntem, unerhörtem Reiz entnommen zu sein scheinen. Der liebste unter den Romantikern war ihm Tieck, der ihm an Klarheit des Geistes, Kraft und Ausdauer weit nachstand, seine zarte Empfindung aber auf's Innigste theilte. Sie lernten sich aber erst zwei Jahre später kennen.

      Anfänglich mischte er sich nur aus Pflichtgefühl in die Gesellschaft der Uebrigen, riß er sich nur ungern von seinen Todesbetrachtungen los. Aber allmälig wirkte doch die Schwerkraft der Erde auf die leicht schreitende, zum Schwunge bereite Gestalt. Gerade weil das Unsichtbare mit dem Sichtbaren so enge, für uns unzertrennlich verbunden ist. Je tiefer man in die Erscheinungen eindringt, desto lieber werden sie. Wenn es auch die Wissenschaften waren, die ihn zunächst in ihren Kreis zogen, so war das doch auch mit Irdischem verknüpft. Gespräche darüber, besonders mit Friedrich Schlegel, brachten ihn in eine angeregtere Laune, als er für seine Lage möglich und schicklich gehalten hatte. Er glaubte deshalb sich geradezu vor dem Umgang mit diesem Freunde hüten zu müssen; denn Alles, was an Muthwillen, Scherz und elektrischem Feuer in ihm war, entlud sich, wenn er mit ihm in Berührung kam.

      Mit einem leisen Bangen fühlte er sich unwiderstehlich vom Lebendigen angezogen. Dann versuchte er gewaltsam sich in Ueberirdisches zu versenken, an Sophiens Grabe sitzend sich ihr Wesen und Alles was sie ihm war recht greifbar und entzündend vor die flüchtige Seele zu führen. Und mit einem kindlichen Stolze, der rührend und doch zugleich erhaben ist, zeichnete er aus, wenn es ihm gelungen war, die Flügel wieder auszubreiten und mächtig in die jenseitige Ferne des Nachthimmels einzudringen. Man könnte den Verlauf dieses Ringens eine umgekehrte Tragödie nennen: mit Furcht und Mitleid, aber doch mit Wonne erfüllt es zu sehen, wie das Leben, von dem der Entsagende im ersten Akte Abschied genommen hat, durch seine einfache Kraft und Schönheit ihn wieder in seine Mutterarme lockt und im letzten Akte den schamhaft Glühenden, Besiegten wieder an sein ewiges Herz drückt. Der Sieg wurde dem Leben nicht leicht, und nicht ohne sichtbare Erschütterung ging die Umkehr in seinem Busen vor. Denn er machte die entsetzliche und räthselhafte Erfahrung an sich, daß das wahrste, reinste und hingebendste Gefühl, wenn der Anblick des geliebten Gegenstandes die Flamme nicht nährt, erlöschen kann, daß das treumeinendste Herz der Untreue fähig ist. Man spürt das Wanken seines Herzens an dem Nachdruck, mit dem er sich vorhält, wie er durch sein freiwilliges Streben oder Resignation des Lebens der Welt die Möglichkeit der Treue über den Tod hinaus beweisen müsse. In höchster Angst ruft er die Formel aus: Christus und Sophie! Es war ihm ein Glaubenssatz gewesen, daß sie die Hälfte seines Wesens war, daß er dereinst den Bund mit ihr erneuern müsse, die durch die Weisheit ewiger Gesetze ihm jetzt von der Seite gerissen war. Hatte er sich doch vorgenommen, wenn er in der »alten längst bekannten Urwelt« sie wiederfinden würde, ihr zu erzählen: »Ich träumte von dir, ich hätte dich auf der Erde geliebt – du glichst dir auch in der irdischen Gestalt – du starbst – und da währte es noch ein ängstliches Weilchen, da folgte ich dir nach.«

      Aber es war ihm nicht möglich Schatten zu lieben. In Freiberg, wohin er sich nach dem Wunsche seines Vaters begab, um an der Bergakademie zu lernen, verlobte er sich mit Julie v. Charpentier, die, wie es scheint, ihm Liebe entgegenbrachte und dadurch die seinige weckte. Steffens schildert sie als hochgebildet, schön, weich, mit einem wehmüthigen Ausdruck.

      Ob er sie, wie gesagt wird, weniger leidenschaftlich liebte als Sophie, ist wohl schwer zu entscheiden, aber unwahrscheinlich; denn es war nicht seine Art, im Fühlen oder Handeln halb zu sein. Das freilich ist nicht zu bezweifeln, daß die Erinnerung an seine Liebe, die stärker als der Tod hatte sein sollen und es nicht gewesen war, zuweilen beengend sich auf die Freude seines neubelebten Herzens legte. Er gab auch, trotz Allem, das Verhältniß zu Sophie keineswegs auf. Seine Liebe war ihm Religion geworden. Seine Treulosigkeit, da er sich doch treu wußte und fühlte, seine Doppelliebe wurde das Problem, mit dem sich seine Gedanken immer beschäftigten. Er löste es in seinem Roman »Heinrich von Ofterdingen« in der Weise, daß Sophie und Julie nur in der Welt der Erscheinungen zwei sind, einst aber, im Lande der Erfüllung, wo alles Geschiedene sich vereinigt, als eine und dieselbe sich offenbaren. Er hätte an sich selbst verzweifeln müssen, wenn