Fiesco. Was ich nicht höre! (Indem er sich niedersetzt.) Also auch Schelmen erkennen Gesetze und Rangordnung? Lass mich doch von der untersten hören.
Mohr. Pfui, gnädiger Herr! das ist das verächtliche Heer der langen Finger. Ein elend Gewerb, das keinen grossen Mann ausbrütet, arbeitet nur auf Karbatsche und Raspelhaus und führt — höchstens zum Galgen.
Fiesco. Ein reizendes Ziel. Ich bin auf die bessre begierig.
Mohr. Das sind die Spionen und Maschinen. Bedeutende Herren, denen die Grossen ein Ohr leihen, wo sie ihre Allwissenheit holen; die sich wie Blutigel in Seelen einbeissen, das Gift aus dem Herzen schlürfen und an die Behörde speien.
Fiesco. Ich kenne das — fort!
Mohr. Der Rang trifft nunmehr die Meuter, Giftmischer und alle, die ihren Mann lang hinhalten und aus dem Hinterhalt fassen. Feige Memmen sind’s oft, aber doch Keris, die dem Teufel das Schulgeld mit ihrer armen Seele bezahlen. Hier tut die Gerechtigkeit schon etwas übriges, strickt ihre Knöchel aufs Rad und pflanzt ihre Schlautöpfe auf Spiesse. Das ist die dritte Zunft.
Fiesco. Aber, sprich doch, wann wird die deinige kommen?
Mohr. Blitz, gnädiger Herr! das ist eben der Pfiff. Ich bin durch diese alle gewandert. Mein Genie geilte frühzeitig über jedes Gehege. Gestern abend macht’ ich mein Meisterstück in der dritten, vor einer Stunde war ich — ein Stümper in der vierten.
Fiesco. Diese wäre also?
Mohr (lebhaft) . Das sind Männer, (in Hitze) die ihren Mann zwischen vier Mauern aufsuchen, durch die Gefahr eine Bahn sich hauen, ihm gerade zu Leib gehen, mit dem ersten Gruss ihm den Grossdank für den zweiten ersparen. Unter uns! man nennt sie nur die Extrapost der Hölle. Wenn Mephistopheles einen Gelust bekommt, braucht’s nur einen Wink, und er hat den Braten noch warm.
Fiesco. Du bist ein hartgesottener Sünder. Einen solchen vermisste ich längst. Gib mir deine Hand. Ich will dich bei mir behalten.
Mohr. Ernst oder Spass?
Fiesco. Mein völliger Ernst, und ich gebe dir tausend Zechinen des Jahrs.
Mohr. Topp, Lavagna! Ich bin Euer, und zum Henker fahre das Privatleben. Braucht mich, wozu Ihr wollt. Zu Eurem Spürhund, zu Eurem Parforce-Hund, zu Eurem Fuchs, zu Eurer Schlange, zu Eurem Kuppler und Henkersknecht. Herr, zu allen Kommissionen, nur, bei Reibe! zu keiner ehrlichen — dabei benehm’ ich mich plump wie Holz.
Fiesco. Sei unbesorgt! Wem ich ein Lamm schenken will, lass’ ich’s durch keinen Wolf überliefern. Geh’ also gleich morgen durch Genua und suche die Witterung des Staats. Lege dich wohl auf Kundschaft, wie man von der Regierung denkt und vom Haus Doria flüftert, sondiere daneben, was meine Mitbürger von meinem Schlaraffenleben und meinem Liebesroman halten. Überschwemme ihr Gehirne mit Wein, bis ihre Herzensmeinungen überlaufen. Hier hast du Geld. Spende davon unter den Seidenhändlern aus.
Mohr (steht ihn bedenklich, an) . Herr —
Fiesco. Angst darf dir nicht werden. Es ist nichts Ehrliches. — Geh! rufe deine ganze Bande zu Hilfe. Morgen will ich deine Zeitungen hören. (Er geht ab.)
Mohr (ihm nach). Verlasst Euch auf mich. Jetzt ist’s früh vier Uhr. Morgen um acht habt Ihr so viel Neues erfahren, als in zweimal siebzig Ohren geht. (Ab.)
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Zehnter Auftritt.
Zimmer bei Verrina.
Bertha rücklings in einem Sofa, den Kopf in die Hand geworfen.
Verrina düster hereintretend.
Bertha (erschrickt, springt auf) . Himmel! da ist er!
Verrina (steht still, besteht sie befremdet) . An ihrem Vater erschrickt meine Tochter?
Bertha. Fliehen Sie! Lassen Sie mich fliehen! Sie sind schrecklich, mein Vater.
Verrina. Meinem einzigen Kinde?
Bertha (mit einem schweren Blick auf ihn) . Nein! Sie müssen noch eine Tochter haben.
Verrina. Drückt dich meine Zärtlichkeit zu schwer?
Bertha. Zu Boden, Vater.
Verrina. Wie? welcher Empfang, meine Tochter? Sonst, wenn ich nach Hause kam, Berge auf meinem Herzen, hüpfte mir meine Bertha entgegen, und meine Bertha lachte sie weg. Komm, umarme mich, Tochter. An dieser glühenden Brust soll mein Herz wieder erwarmen, das am Totenbett des Vaterlands einfriert. O mein Kind! Ich habe heute Abrechnung gehalten mit allen Freuden der Natur, und (äusserst schwer) nur du bist mir geblieben.
Bertha (misst ihn mit einem langen Blick) . Unglücklicher Vater!
Verrina (umarmt sie beklemmt) . Bertha! mein einziges Kind! Bertha! meine letzte übrige Hoffnung! — Genuas Freiheit ist dahin — Fiesco hin — (indem er sie heftiger drückt, durch die Zähne) Werde du eine Hure —
Bertha (reisst sich aus seinen Armen) . Heiliger Gott! Sie wissen? —
Verrina (steht bebend still) . Was?
Bertha. Meine jungfräuliche Ehre —
Verrina(wütend) . Was?
Bertha. Diese Nacht —
Verrina (wie ein Rasender) . Was?
Bertha. Gewalt! (sinkt am Sofa nieder.)
Verrina (nach einer langen schrecklichen Pause, mit dumpfer Stimme) . Noch einen Atemzug, Tochter — den letzten! (mit hohlem, gebrochenem Ton.) Wer?
Bertha. Weh’ mir, nicht diesen totenfarbnen Zorn! Helfe mir Gott! er stammelt und zittert.
Verrina. Ich wüsste doch nicht. — Meine Tochter! Wer?
Bertha. Ruhig! ruhig! mein bester, mein teurer Vater.
Verrina. Um Gotteswillen — wer? (Will vor ihr niederfallen.)
Bertha. Eine Maske.
Verrina (tritt zurück, nach einem stürmischen Nachdenken) , Nein, das kann nicht sein! Den Gedanken sendet mir Gott nicht. (Lacht grass auf.) Alter Geck! als wenn alles Gift nur aus einer und eben der Kröte spritzte? (Zu Bertha, gefasster.) Die Person, wie die meinige, oder kleiner?
Bertha. Grösser.
Verrina (rasch) . Die Haare schwarz? kraus?
Bertha. Kohlschwarz und kraus.
Verrina (taumelt von ihr hinweg) . Gott! mein Kopf! mein Kopf — Die Stimme?
Bertha. Rauh, eine Bassstimme.
Verrina (heftig) . Von welcher Farbe? Nein! ich will nicht mehr hören! — der Mantel — von welcher Farbe?
Bertha. Der Mantel grün, wie mich deuchte.
Verrina (hält, beide Hände vors Gesicht und wankt in den Sofa) . Sei ruhig. Es ist nur ein Schwindel, meine Tochter. (Lässt die Hände sinken; ein Totengesicht.)
Bertha (die