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weißt genau, was ich meine, Knut«, erwiderte sie. »Du bist schuld, wenn’s eines Tages dazu kommt. Dann beschwere dich bloß net wieder wochenlang bei mir.«

      »Ach, red net so dumm daher, Weib«, konterte er und widmete sich wieder seiner Brotzeit. Er wusste nur zu gut, worauf seine Frau hinauswollte. Er verspürte keine Lust, sich immer wieder mit ihr über Johanne Giefner zu unterhalten. Sie war eine Giefner, und das war Grund genug, es nicht zu dulden, dass der Raphael mit ihr poussierte.

      Helga Harlander schaute nach draußen. Es regnete in Strömen. Zur Zeit zeigte sich im Westen ein kleiner, grauer Streifen, der vielleicht dafür sorgte, dass der Regen in den nächsten Minuten für eine Weile aufhören würde. Diese Zeit würde sie nutzen und rüber zum Hühnerstall laufen, um das Federvieh zu füttern.

      »Wann kommen die Stuttgarter?«, fragte Knut nach einer Weile. Genüsslich kaute er auf einem Stück Rauchschinken herum. »Ist es net nächsten Samstag?«

      Helga nickte. Ihr Mann wurde langsam vergesslich. In letzter Zeit fragte er alle drei oder vier Tage, wann die Touristen, die ihre Hütte oben am Wald für drei Wochen gemietet hatten, anreisen würden.

      »Wenn sie bei diesem Wetter überhaupt kommen«, meinte sie. »Wundern tät’s mich net, wenn sie lieber zu Hause blieben und sich das Geld sparen.«

      Harlander zuckte mit den Schultern und erhob sich. Im Stehen trank er den Bierkrug leer und bückte sich nach dem dunklen Regenumhang in der Ofenecke.

      »Ich schau oben auf der Wiese nach den Kühen«, erklärte er. »Gegen sechs Uhr bin ich wieder zurück.«

      14

      So mürrisch wie die letzten Tage kam Sebastian Giefner aus der Scheune und stampfte in die Küche. Er murmelte einen Fluch wegen des ständigen Regens und setzte sich auf die Bank.

      Plötzlich horchte er auf. Das Mürrische verschwand aus seinem Gesicht.

      Frieda Giefner vernahm das seltsame Geräusch fast im gleichen Augenblick und schaute ihren Mann verwirrt an.

      »Was ist das?« Ein eisiger Schauer rieselte über ihren Rücken. Plötzlich verspürte sie Unbehagen, nein, es war Angst, wie sie sie oft im Winter hatte. Da draußen, irgendwo weit in der Ferne rumorte und donnerte es, doch es war kein Unwetter, kein Gewitter, das sich über den Bergen entlud, kein Donner, dessen fürchterliches Krachen als Echo in den Tälern widerhallte. Die Erde schien zu beben, als würde sich etwas im Inneren der Berge aufbäumen und versuchen, die Felsen zu sprengen, um frei zu kommen. Unbändige Kräfte schienen am Werk zu sein.

      Irgendwie war dieses seltsame Geräusch, das langsam anschwoll und ständig an Intensität zunahm, vertraut. Und doch passte es irgendwie nicht in diese Zeit, aber Giefner ahnte als Erster, was irgendwo in der Nähe passierte. Er war kreidebleich geworden und mied es, seine Frau anzuschauen.

      »Bleib im Haus und rühr’ dich net«, stieß er hervor und rannte nach draußen in den strömenden Regen. Kaum hatte er die Tür geöffnet, als ihm das Blut in den Adern gefror. Sekundenlang starrte er den Berg hinauf und stieß einen unterdrückten Schrei aus. Die lähmende Lethargie dauerte nur Sekunden, dann handelte er blitzschnell. Er fuhr auf dem Absatz herum und brüllte den Namen seiner Frau. »Frieda, schnell nach oben«, schrie er.

      Draußen schwoll das Grollen und Rumoren immer mehr an. Es klang, als sei tief in den Felsen ein urzeitliches Tier erwacht, das nun an die Oberfläche drängte.

      Die Frau kam verstört aus der Küche. Sie wunderte sich über das Entsetzen in den Augen ihres Mannes. Plötzlich bekam sie es mit der Angst zu tun.

      »Was ist los?«, fragte sie furchtsam.

      Sebastian Giefner wusste, dass er keine Zeit hatte, große Erklärungen abzugeben. Er packte Frieda beim Oberarm und zerrte sie die Treppe hinauf.

      »Wo ist Johanne?«, keuchte er. »Ist sie in ihrem Zimmer?«

      Er bekam keine Antwort mehr. In diesem Moment brach das Unheil über den Berghof herein.

      15

      Johanne hatte sich bereits kurz nach dem Essen in ihre Kammer zurückgezogen. So, wie sie es in den letzten Tagen meistens tat, wenn sie der Mutter nicht mehr zur Hand gehen musste. Die Einsamkeit nagte an ihrem Herzen, doch sie war hilflos gegen dieses Gefühl. Nur in Raphaels Armen hätte sie wieder die Ruhe und das Glück vergangener Tage empfunden.

      Er fehlte ihr sehr. Es war für sie fast eine Ewigkeit her, dass sie ihn das letzte Mal gesehen und geküsst hatte. Fast schien es so, als wäre es in einem anderen Leben gewesen.

      Seufzend trat sie ans Fenster und öffnete es. Draußen regnete es noch immer, doch ihr Entschluss stand trotz allem fest. Sie musste nach draußen, heraus aus dieser qualvollen Enge des Berghofes mit dem herrischen Vater, der sie ständig bevormundete und eifersüchtig bewachte.

      Sie nahm ihren Regenmantel und zog ihn an. So leise wie irgend möglich verließ sie die Kammer und schlich nach unten. Sie verließ das Haus durch den Hintereingang. Der Vater war vor einiger Zeit durch den Regen in die benachbarte Scheune gegangen, und die Mutter hantierte in der Küche. So bemerkte sie niemand. Doch erst, als sie den schlammigen Weg unterhalb der Wiese erreicht hatte, atmete sie erleichtert auf.

      Als sie so durch den Regen ging, der bald ihre Schuhe völlig durchnässt hatte und sie durch seine Kälte frösteln ließ, hatte sie plötzlich ein eigenartiges Gefühl. Unwillkürlich schaute sie ins Tal hinab. Weit vermochte sie nicht zu sehen, denn die Regenschleier hatten die Ferne und die Berge verhängt und sich selbst in den nahen Wipfeln der Tannen eingenistet.

      Sie wusste selbst nicht, wieso sie in diesem Augenblick an Raphael dachte, und sie spürte instinktiv, dass er in der Nähe war.

      Hier draußen hielt sich bei diesem Wetter eigentlich nicht einmal ein wilder Hund auf. Und doch war sie sich völlig sicher, dass sie ihren Liebsten noch heute treffen würde, obwohl sie wusste, dass er in der Stadt war und sich seit Tagen nicht bei den Eltern hatte sehen lassen. Der Postbote hatte es ihr erst gestern erzählt.

      Johanne wandte sich nach rechts und stieg die bewaldete Anhöhe, die die beiden verfeindeten Höfe trennte, hinauf. Von dort konnte sie die gesamte Senke und den Weg zum Harlanderhof bestens überblicken. Außerdem boten die weit ausladenden Äste der Bäume etwas Schutz vor dem Regen. Als sie den Waldrand erreichte, musste sie enttäuscht feststellen, dass weit und breit keine Menschenseele zu entdecken war. Das einzige, was sie sah, waren die drei erleuchteten Fenster des nahen Harlanderhofs. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie das väterliche Anwesen nicht sehen.

      Fröstelnd kreuzte sie die Arme und trat von einem Fuß auf den anderen. Es war bitterkalt, und schon bald schalt sie sich einen Narren, bei diesem Wetter einfach hinausgelaufen zu sein. Ohne jeglichen Grund war es ganz einfach töricht, sich den Unbilden der Natur auszusetzen.

      Das einzige, was als Resultat ihres Ausfluges herauskam, war ein Tadel vom Vater, wenn er ihre Abwesenheit inzwischen entdeckt hatte. Dann saß er mittlerweile bestimmt mit in die Hüften gestemmten Armen und überlegte sich, wie er ihr erneut ins Gewissen reden konnte.

      Seufzend schaute Johanne nach Westen. Die Wolkendecke war aufgebrochen, und zwischen den grauschwarzen Wolken zeigte sich erstes Blau. Dahinter aber braute sich bereits das nächste Unwetter zusammen.

      Ein letzter Blick zum Weg ins Tal hinab zeigt, dass ihr Gefühl nur der unerfüllte Wunsch nach Raphael bleiben würde. Er kam nicht, und es war auch dumm zu glauben, dass er sich freiwillig diesen Regengüssen aussetzte, nur um hier heraufzukommen. Er wusste ja nur zu gut, wie eifersüchtig der Vater über sie wachte.

      Sie wischte sich über das nasse Gesicht und trat unter der mächtigen Tanne, unter der sie Schutz gesucht hatte, hervor, um wieder nach Hause zu gehen.

      »Wartest du auf mich?«, fragte eine sonore Stimme.

      Johanne erschrak und wirbelte herum. Sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu dürfen.

      Keine