Engadiner Abgründe. Gian Maria Calonder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gian Maria Calonder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783311700050
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Rapport?«

      »Ich sage doch: Nein.«

      »Onkelchen, natürlich braucht es einen Rapport. Was, wenn das Feuer noch irgendwo glimmt? Oder wenn du einen gesundheitlichen Schaden davonträgst?«

      »Mir geht es gut«, versicherte Rainer Pinggera eigenartig bedrückt und stemmte sich hoch. »Ich muss jetzt nur zu Bett.«

      »Meinetwegen, vergiss nur nicht zu trinken«, sagte Rudi und ging zu den Schuhen. »Morgen früh kommt übrigens die Spitex. Danach, dachte ich, machen wir ein Fährtchen hoch zur Padellahütte. Dort ist Kehrausparty, sie machen winterdicht. So was gefällt dir doch.«

      »Du und ich allein? Bring Annamaria mit.«

      »Wie du willst. Bist du sicher, dass es dir gut geht?«

      »Doch, doch. Hast du die Glühbirne gewechselt?«

      »Ich muss erst eine besorgen, ich komme nachher noch mal her.«

      »Lass, das hat Zeit bis morgen. Ohne Brille kann ich sowieso nicht. Ich gehe hoch.«

      Rudi wandte sich zu Capaul: »Das Bad, das zur Wohnung gehört, ist nicht gerade modern, aber es hat immerhin eine Toilette mit Spülung. Und die Mieter sind verreist.«

      »Woher weißt du das schon wieder?«, fragte der Alte.

      »Von dir, du Giftzwerg. Ach, Onkelchen, das heute war wohl alles etwas viel für dich. Schlaf dich aus, morgen sieht die Welt ganz anders aus.«

      Er wollte ihn umarmen, aber der Alte ging schon zur Tür und hielt sie auf. »Vergiss nicht, diesen Polizisten mitzunehmen«, sagte er zum Abschied.

      III

      Als Capaul diesmal aufs Revier zurückkehrte, ging der Summer schon, bevor er überhaupt die Klingel gedrückt hatte. Inzwischen hielt Jon Luca die Stellung, er tippte mit zwei Fingern auf der Tastatur und fluchte auf Romanisch. Capaul sah jetzt auch den Bildschirm, auf dem man den Eingang sehen konnte.

      »Woher wusstest du, wer ich bin?«, fragte er.

      »Aus deiner Akte natürlich«, sagte Jon Luca, ohne aufzusehen. »Außerdem hat längst die Runde gemacht, dass du ein Hübscher sein sollst.«

      Capaul hörte darüber hinweg. Er beugte sich über den Tresen und legte Linard den Ausweis ins Fach, dann fragte er: »Ich sollte den Brand in Zuoz rapportieren, aber das Opfer will gar keinen Rapport. Was tue ich jetzt?«

      »Schreib einen internen Bericht, drei Sätze, dann geh und trink ein Bier darauf, so leicht machen sie es dir selten. Sieh mich an, ich bin fast den ganzen Tag einer Anzeige wegen unerlaubten Plakatierens nachgerannt. Du glaubst nicht, was ich angeschnauzt wurde. Und der ganze Mist gehört jetzt auch noch ins Protokoll.«

      »Ich schreibe ja eigentlich gern.«

      »Dann bist du hier definitiv richtig. Aber ich dachte, du fängst erst am Montag an?«

      »Linard hat mich gebeten einzuspringen. Aber ich glaube, ich habe ihn genervt.«

      »Ihn nerven alle. Nimm seine Launen nicht zu ernst. Er kommt mit den Leichen in unserem Beruf nicht klar, und das lässt er an jedem aus. Ich glaube kaum, dass er es bis zum Gefreiten schafft.« Den zwei Zacken auf den Schulterpatten nach war Jon Luca schon Korporal. »Wie steht es mit dir, hast du Probleme mit Toten?«

      »Bisher nicht«, sagte Capaul.

      »Hast du überhaupt schon welche gesehen?«

      »Keine Verkehrstoten.«

      »Sondern?«

      Statt zu antworten, deutete Capaul auf den Bildschirm. »Wenn du willst, kannst du mir diktieren, und ich tippe.«

      Jon Luca lachte und machte Platz. »Du bist mehr einer von der maulfaulen Sorte, was? Dafür lade ich dich nachher auf eine Cola ein. Du musst sie allerdings holen.«

      Nachdem das Protokoll verfasst war, erklärte Capaul jedoch: »Ich bin müde. Die Höhe. Oder das Wetter. Ich gehe mal lieber zu Bett.«

      »Um sieben Uhr abends?«

      »Ich habe auch Kopfweh.«

      Tatsächlich hatte die Arbeit am Computer es wieder befeuert. Er nahm einen Apfel aus dem Früchtekorb, der sollte ihm das Abendbrot ersetzen. Doch zuvor musste er noch das Parkplatzproblem lösen.

      »Polizeistunde«, rief Bernhild von drinnen, als er die Tür zum Wassermann aufstieß.

      »Ich bin es nur«, sagte er und schob den Kopf durch den Vorhang.

      »Dann stimmt es ja sogar«, witzelte sie. »Polizeistunde ist das Einzige, was diese Bauern verstehen. Sage ich ›Geschlossen‹, quetschen sie sich erst recht rein, weil sie denken: ›Zwei, drei kleine Blonde, danach habe ich es mit diesem Mädel lustig.‹«

      Sie saß am Stammtisch und rechnete Belege zusammen.

      »Ich gehe gleich hoch«, versicherte er. »Aber wo kann ich das Auto parken?«

      »Wo steht es denn jetzt?«

      »Beim Bahnhof, aber dort muss man im Voraus zahlen, und ich hatte kein Kleingeld mehr.«

      »Egal, lassen Sie es stehen, nach sieben Uhr kontrolliert keiner mehr. Morgen früh stellen Sie es bei mir hinters Haus, unters Schild mit dem Parkverbot, das habe ich da hingemacht. Ich muss aber noch mit dem Lieferwagen durchkommen. Und jetzt setzen Sie sich gefälligst, Sie hatten bestimmt noch kein Abendessen. Ich wärme uns Reste, geht aufs Haus.«

      Da trotz des Apfels sein Magen knurrte, nahm er dankend an. Während sie in der Küche war, benutzte er kurz das Bad. Bernhild hatte zwei Handtücher auf die Kommode gelegt, auf jedes davon eine kleine Seife in Form einer Rosenblüte, die wieder je ein Zettelchen beschwerte: Auf einem stand Capaul, auf dem zweiten Unterpertinger.

      »Haben Sie noch einen zweiten Gast?«, fragte er, als er zurückkam. Sie hatte aus den Spaghetti vom Mittag, einer Dose Mais und Mayonnaise etwas wie Nudelsalat gemacht, dazu gab es eine Essiggurke und Brot aus der Plastiktüte.

      »Wein?« Sie schenkte zwei Gläser mit Merlot aus der Literflasche ein, dabei erklärte sie: »Unterpertinger, das bin ich. Es ist eben auch mein Bad, aber das reibt man nicht gern den Gästen unter die Nase.«

      »Dann Entschuldigung, dass ich gefragt habe.«

      Sie kicherte wie ein Schulmädchen. »Quatsch, für dich bin ich sowieso die Bernhild. Eigentlich für die meisten. Wie nennen sie dich?«

      »Capaul.« Er begann zu essen.

      »Ich verstehe, ein Polizist hat ja auch andere Stammgäste«, witzelte sie. »Aber deine Freunde?«

      Er zögerte. »Capaul.«

      Sie lachte. »Deine Mutter?«

      Er probierte nochmals etwas Salat, dann legte er die Gabel beiseite, wischte sich den Mund ab und spülte ihn mit einem kleinen Schluck Kochwein aus. Er studierte die Aussicht aus dem Fenster – es war die nachtgraue Fassade eines Nachbarhauses – und fragte: »Kennen Sie einen Pinggera Rudi?«

      »Wir waren beim Du.«

      »Kennst du einen Pinggera Rudi?«

      »Ja, natürlich. Rudi ist seit dreißig Jahren unser Goldjunge. Nein, unser Silberjunge. Kaum einer hat so viel fürs Oberengadin getan wie er. Schön, mit der Olympia-Kandidatur hat er es überzogen, aber das verzeiht man ihm gern. Bestimmt haben sogar viele, die eigentlich dagegen waren, nur ihm zuliebe Ja gestimmt. Obwohl wir wirklich nicht das Geld haben, uns solche Experimente zu leisten.«

      Capaul bat um noch eine Gurke, dann fragte er: »Woher hat er denn sein Geld?«

      »Ja, das wüssten alle gern. Ich habe gehört, auf seiner Visitenkarte steht Gesprächspartner. Vielleicht bezahlen ihn gewisse Leute wirklich dafür, dass er dabei ist. Er macht eben eine gute Figur, er gibt einem Anlass das gewisse Etwas. Man muss ihn einfach mögen, er ist ein Strahlemann. Und er ist