Abseits. Thorsten Fiedler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thorsten Fiedler
Издательство: Bookwire
Серия: Offenbach-Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947612970
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dachte nach. „Ich denke, Zenkers Lehrerkollegen könnten eine gute Quelle sein. Insbesondere diejenigen, die Steffi Gerber unterrichtet haben.“

      „Gute Idee, Adi! Aber ich brauche sicher länger“, sagte Salzmann. „Warum befragst du nicht das Kollegium des Albert-Schweitzer-Gymnasiums? Hör dich um! Vielleicht steckt ein Mitschüler mit drin oder es gibt weitere Mädchen, die belästigt wurden.“

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      Nach dem Meeting hatten sich Sina und der neue Kollege auf den Weg zum Bankangestellten Reiner Schumann in der Lindenstraße gemacht. Sina war erstaunt, als sie vor dem Haus standen. „Was ist denn das für ne kleine Hütte?“

      „Also ehrlich gesagt hatte ich mir auch eher eine Villa vorgestellt“, antwortete Lars, „der war doch Abteilungsleiter, oder?“

      „Hier stimmt irgendwas nicht.“ Sina klingelte. Frau Schumann öffnete ihnen die Tür, eine adrette Frau Anfang vierzig mit Lachfältchen und gewelltem blonden Haar. Sie schaute die beiden fragend an.

      „Kriminalhauptkommissarin Fröhlich, das ist mein Kollege, Kriminalkommissar Mühlbauer. Dürfen wir kurz hereinkommen?“

      Die Dame des Hauses wirkte ziemlich gefasst und beantwortete ohne Zögern die Fragen der Beamten. „Mein Mann würde niemals auch nur einen Cent nehmen, der ihm nicht gehört. Er ist schon viele Jahre bei seinem Arbeitgeber und hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen.“

      „Leider ist es nun einmal eine Tatsache, dass sich auf dem privaten Konto Ihres Mannes sieben Millionen Euro befinden, die nachweislich von diversen Kundenkonten der Bank kommen. Können Sie sich das erklären?“

      „Nein“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Frau Schumann wirkte konsterniert.

      „Wie stellt sich denn Ihre augenblickliche finanzielle Situation dar? Haben Sie Kredite, Außenstände oder unbezahlte Rechnungen?“, fragte Sina.

      Frau Schumann schüttelte den Kopf. „Uns ging es nicht schlecht, aber Reichtümer konnten wir nicht anhäufen. Es hat bisher immer gereicht, um in den Urlaub zu fahren und keine Schulden zu machen, das war meinem Mann sehr wichtig.“

      „Wir müssten uns den Computer Ihres Mannes ansehen. Eigentlich bräuchten wir dafür einen Durchsuchungsbeschluss“, übernahm Mühlbauer die Initiative, dem es nicht schnell genug voranging.

      Doch nun legte sich bei Frau Schumann ein Schalter um: „Bitte gehen Sie jetzt“, forderte sie mit Nachdruck. „Und falls Sie weitere Fragen haben: Hier ist die Karte unseres Anwalts.“ Sie drückte dem verdutzten Mühlbauer eine Visitenkarte in die Hand und schob beide Richtung Haustür.

      „Na, das hast du ja prima hinbekommen“, sagte Sina, als sie wieder auf der Straße standen. „Ich versuche gerade, ein Vertrauensverhältnis mit der Frau unseres Verdächtigen aufzubauen, da kommst du wie die Axt im Walde daher. Jetzt bekommen wir keine Informationen mehr, ohne den Anwalt einzubinden.“ Sina verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihn herausfordernd an.

      Doch Mühlbauer grinste sie lausbubenhaft an und meinte: „Weißt du eigentlich, wie süß du aussiehst, wenn du dich ärgerst?“

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      Albert war noch immer geschockt von der Botschaft, die am Schwarzen Brett in seiner Wohnanlage hing. Es konnte und vor allem es durfte niemand etwas von seiner Vergangenheit wissen. Nach der halben Flasche Asbach am gestrigen Abend brauchte er heute dringend frische Luft, um klar denken zu können. Eine Runde um den Block würde ihm auf jeden Fall guttun.

      Nachdem er ein paar Schritte gegangen war, zuckte er unwillkürlich zurück.

      Er stand vor einer Litfaßsäule und war wie vom Donner gerührt. Denn er schaute in sein Gesicht. Da prangte sein Bild. Darunter stand: „Tod dem Kinderschänder!“

      Er fing augenblicklich an zu zittern. Es war wie in einem Albtraum. All seine Pläne, hier in Offenbach wieder von vorne anfangen zu können, lösten sich in Wohlgefallen auf. Vor seinen Augen liefen wie in einem Film abstruse Bilder ab: Eine Gruppe Männer in Kapuzenpullis und mit Baseballschlägern bewaffnet verfolgte ihn, bis sie ihn schließlich einholten und umzingelten. Der erste Schlag traf ihn im Magen, der nächste brach ihm den rechten Oberarm …

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      Adi fuhr nicht in die Waldstraße, an der die Albert-Schweitzer-Schule lag, sondern die Bieberer Straße hinauf, am Lidl-Markt vorbei bis zur Höhe des Sparda-Bank-Hessen-Stadions und parkte direkt vor dem OFC-Fanshop. Als er ausstieg, atmete er tief ein und meinte, die Atmosphäre eines Spieltags zu spüren.

      Vor dem Shop gab es ein paar rot-weiße Schalensitze. Er setzte sich trotz der Kälte hin. Ihm schwirrten viele Gedanken durch den Kopf, die sich zum größten Teil um Sina drehten. Was hatten sie nicht schon alles gemeinsam durchgemacht und doch drifteten sie im Augenblick immer weiter auseinander. Er hatte keinen Schimmer, wie er sich verhalten sollte. Also gab er sich alle Mühe, diese Dinge zu verdrängen und an etwas Positives zu denken, doch auch seine andere Liebe, der OFC, machte ihm große Sorgen. Statt um den Aufstieg spielte er jetzt gegen den Abstieg. Ein Talent aus der eigenen Jugend sollte langfristig an den Verein gebunden werden, doch der Spieler hatte ein Angebot von Waldhof vorgezogen – ausgerechnet nach Mannheim, das war für die treuen Fans nicht nachzuvollziehen. Und ein verheißungsvoller Kandidat für die Startelf, einer der Neuzugänge aus der Winterpause, Maurice Pluntke, hatte sich im Training am Knie verletzt und würde voraussichtlich drei bis vier Monate ausfallen.

      Die miese Gesamtsituation wirkte sich unmittelbar auf die Stimmung der Fanszene aus. Es gab immer wieder bösartige Kommentare und das stimmte ihn sehr traurig.

      Nachdem Adi noch eine Weile in der Kälte gesessen hatte, raffte er sich endlich auf und fuhr direkt ins Albert-Schweitzer-Gymnasium. Dort sprach er mit mehreren Lehrkräften und einigen Schülern über das verschwundene Mädchen. Niemand machte auch nur Andeutungen, dass möglicherweise mehr zwischen der Schülerin und ihrem Lehrer war, doch dann sprach Hessberger mit einer Freundin von Steffi Gerber.

      „Andrea, ich darf doch du sagen? Es ist wichtig, dass wir alle Informationen über Steffi zusammentragen. Da draußen ist deine Freundin vielleicht irgendeinem Perversling ausgeliefert und jetzt braucht sie deine Hilfe, also sag uns alles, was du weißt.“ Adi übte gleich von Anfang an Druck auf das Mädchen aus, weil er keine Lust hatte, kostbare Zeit zu vertrödeln.

      Erst druckste sie ein wenig herum, dann erzählte sie ihm endlich von den Nacktfotos. „Steffi und ich wollten in einem Erotikfilm mitspielen, deshalb haben wir uns gegenseitig fotografiert und gefilmt. Ich hab das Material schon an verschiedene Produzenten geschickt, aber bisher ohne Resonanz. Natürlich wollten wir das alles geheim halten, weil wirklich niemand davon wissen durfte – das haben wir uns geschworen.“ Andrea konnte sich nicht erklären, wie ihr Lehrer an diese Bilder gelangen konnte. Es wurde immer dubioser.

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      Kriminalhauptkommissar Rüdiger Salzmann parkte am RE-WE-Markt in der Buchhügelallee. Von hier waren es nur ein paar Schritte bis zum alten Schlachthof. Er hatte überlegt, einen Schlüsseldienst zu organisieren, doch das erwies sich als unnötig. Die Wohnungstür von Steffi Gerber war nur angelehnt. Salzmann zog seine Dienstwaffe und bewegte sich vorsichtig durch den Flur.

      Im Fernsehen sah das immer so einfach aus: Ein ganzes Team durchsuchte mit gezückten Waffen das Haus und von allen Seiten hörte man die Kollegen rufen: „Gesichert!“ Doch in der Realität mussten sie sich oft aufteilen und manchmal, wie heute, war er auf sich alleine gestellt.

      Salzmann warf einen Blick ins Wohnzimmer. „Meine Fresse“, entfuhr es ihm, „da war einer schneller als ich.“

      Der Raum war von vorne bis hinten verwüstet. Regale lagen am Boden, der Teppich war übersät mit allerlei