“Willkommen bei der Aurora, Cassie.”
“Dein Schiff hat einen Namen?”
“Nun, es ist Thorns Schiff, aber ja, jedes Schiff bekommt einen Namen.” Er legte seine Hand um meine Taille und stützte mich ab, als ich nach vorne trat. Ich hob die Hand und wollte ihn berühren, dann aber besann ich mich eines Besseren.
“Thorn?”
“Thorn ist unser Kommandant auf dieser Mission. Als Neron aus dem Gefängnis entwischt ist, war er nicht allein und die Sieben, also unsere Anführer, haben uns entsendet, um sie zurückzuholen.”
“Wie viele Everaner sind also hier? Auf der Erde?”
“Es heißt Everianer. Und ich bin nicht sicher, wie viele sich jetzt mit Neron zusammengerottet haben, aber einschließlich mir sind jetzt vier Jäger auf der Erde. Thorn ist unser Kommandant und hält sich immer an die Regeln. Er ist knallhart und befolgt nach Strich und Faden das Gesetz. Jace und Flynn sind Jäger, die aufs Geld und aufs Abenteuer aus sind. Sie sind Brüder und stammen aus einer unserer äußeren Regionen.”
“Und du?”
“Ich? Was ist mit mir?”
“Warum tust du das? Warum bist du ein Jäger? Machst du es des Geldes wegen? Oder aus Abenteuerlust?” Ich blickte ihm in die Augen, damit ich sehen konnte, ob er mich anlog war oder die Antwort ihm unangenehm war.
“Meine Familie ist eine der wohlhabendsten auf ganz Everis. Ich brauche das Geld nicht. Ich tue es, weil irgendjemand es tun muss, weil jemand dieses Übel aufhalten muss. Ich tue es, weil ich an Gerechtigkeit glaube. An Rache.”
“Dann bist du aus Rache hier.”
“Wahrscheinlich.” Er blickte mich an und maß meine Reaktion auf seine Worte. Einen Moment lang spürte ich in mich hinein und mir wurde klar, dass ich derselben Meinung war. Wahre Gerechtigkeit war wichtiger als starre Gesetze in alten vergilbten Büchern. Also zuckte ich zustimmend die Achseln und wandte mich dem Schiff zu. Ich hob die Hand und wollte es anfassen, auf halbem Wege aber machte ich halt.
“Darf ich?”
“Sicher doch.”
Ich ignorierte das Zittern meiner Finger, hob den Arm und strich mit der Hand über die glatte Oberfläche. Sie war kalt und fest, wie der Wetzstein, den ich in der Küchenschublade aufbewahrte. Das Schiff stand auf acht riesengroßen, merkwürdigen Beinen, die sich unten wie Gänsepfoten ausbreiteten. Ich ging ums Äußere herum und hinten sah ich drei große Röhren herausragen. Sie rochen verbrannt, wie drei Tage alte Asche vom Boden einer Feuerstelle. “Ist das der Motor?”
“Ja, aber es ist kein Motor, wie du ihn kennst. Wir nutzen die Gravitationskraft der dunklen Materie, wenn wir das Schiff vorantreiben. Wenn wir fliegen, dann werden wir entweder von einer Gravitationsquelle im Weltraum angezogen oder weggestoßen. Oder wir werden vom Gravitationsfeld des Planeten angezogen, sobald wir ankommen.”
“Was?” Auf einmal wurde mir schwindelig und ich trat zurück und schüttelte den Kopf. Das war zu viel für einen Tag. Echt zu viel. Ich hatte keine Ahnung, wovon er da redete und ich kam mir klein und dumm vor und völlig überfordert. Überwältigt.
Ich stand direkt vor einem Raumschiff! Maddox kam aus dem Weltraum. Es war zu viel für mich.
“Ich kann das nicht. Ich muss gehen.”
Ich stolperte zu meinem Pferd zurück, Tränen liefen mir über die Wangen. Den ganzen Tag hatte ich sie in Schach gehalten und beständig den Blutgeruch aus meinem Kopf gedrängt, als wir schnurstracks hierher geritten waren. Zu diesem Ding, von dem Maddox behauptete, dass ich darin in Sicherheit wäre. Es wirkte alles andere als sicher, eher wie ein Käfig, eine gigantische Stahlkiste, die mich für immer gefangen halten würde.
Er ließ mich zu meinem Pferd zurückgehen, aber selbst sie scheute bei meinem Zustand. Ich konnte es ihr nicht verübeln, denn ich war total hinüber.
Maddox schlang von hinten die Arme um mich und ich schubste ihn weg. Ich wollte nicht von ihm gehalten werden, ich wollte nach Hause. Zurück in ein Leben, das ich auch verstand.
“Cassie, halt an.”
“Nein. Lass mich gehen.” Meine Stimme überschlug sich, sie war mit Furcht und Frustration getrübt. Verwirrung.
“Ich kann nicht. Neron ist immer noch da draußen, Cassie. Bitte. Hör mir zu. Wir gehen an Bord und ich werde dir ein Bad einlassen und Abendessen machen. Bitte.”
“Neron kann zum Teufel gehen. Ich habe ein Gewehr und ich weiß, wie man damit umgeht.” Das familiäre Objekt ragte aus der Satteltasche, aber im Vergleich zu diesem Schiff neben mir sah es einfach nur alt und primitiv und nutzlos aus.
“Du hättest keine Chance, Cassie. Bitte. Vertrau mir.”
Oh, seine Stimme klang so beruhigend, die reinste Versuchung für meinen müden Verstand. Aber ich wollte nicht an Bord dieses bescheuerten Schiffs gehen. Ich wollte nichts damit zu tun haben. “Ich bin ein verdammt guter Schütze.”
Das war ich. Nach Charles’ Tod hatte ich ununterbrochen geübt; ich hatte einfach das Bedürfnis, mich stark und mächtig zu fühlen. Das scharfe Knallen des Gewehrfeuers hatte mir genau das gegeben. Mehr als einen Monat lang hatte ich jeden Cent für Munition ausgegeben. Ich konnte aus hundert Schritten Entfernung einer Wespe den Schwanz wegschießen. Ich war verdammt gut.
“Du würdest ihn niemals kommen sehen, Cassie.”
Darauf wirbelte ich herum, mein Zorn machte mich übermütig. Ich begrüßte das Gefühl. Ärger war besser als Angst. “Er ist nur ein Mann, Maddox. Ein kranker, perverser Mann, ein Killer, der den Tod verdient hat.” Ich hob mein Kinn und starrte den Mann an, der mich hierher, an diesen verrückten Ort gebracht hatte. “Wenn er mir über den Weg läuft, dann werde ich ihn erschießen.”
Ja, erschießen würde ich ihn. Warum hatte ich nicht früher daran gedacht? Ich war nicht hilflos. Und ich hatte es satt, wie ein verängstigtes Kaninchen davonzurennen und mich zu verstecken. Der Anblick von Herr Andersons Leichnam hatte mir zugesetzt, mehr aber nicht. Ich lief vorwärts und stocherte mit dem Finger in Maddox’ Brust.
“Ich werde ihn für seine Taten erschießen. Aber ich gehe nicht auf dieses Schiff.”
Maddox starrte auf mich hinunter. Ich erwartete, Zorn oder Irritation in seinen Augen zu sehen. Stattdessen schüttelte er nur den Kopf und verkniff sich ein Grinsen. “Du bist einfach klasse, Cassie.”
“Was? Bist du verrückt geworden?” Ich drohte einen Mann zu töten und er stand einfach nur da und grinste wie ein Vollidiot.
“Ja. Nach dir.” Er schaufelte mich auf seine Arme und ich hatte keine Chance Widerstand zu leisten, als er mich Richtung Schiff trug. Als wir uns näherten, tauchte der Umriss einer Tür auf und ein schmaler Abschnitt des Schiffs senkte sich zum Boden hinunter. Die Rampe hatte drei große Stufen und ich trommelte gegen Maddox’ Brust, als er mich zum Eingang trug.
“Lass mich runter!”
“Ich habe geschworen dich zu beschützen, Cassie, und genau das werde ich auch tun.”
Ich fing an zu treten und wand mich in seinem Griff, aber ohne Erfolg. Binnen Sekunden waren wir auf der Plattform und im Inneren des Schiffs und die Tür ging sofort wieder zu. Ich schaute mich um und erwartete mehr von der dunkelgrauen Farbe der Außenhülle zu sehen. Stattdessen waren die Innenwände braun wie geschmolzenes Karamell. Sie waren glatt und die Lichter, die alle paar Schritte im Flur eingebaut waren bewirkten, dass der Flur hell erleuchtet war. Der Boden war ein dunkleres Braun und war mit einem seltsamen Kreuzmuster strukturiert, das wohl dafür sorgte, dass niemand ausrutschte. Der Flur teilte sich in zwei Gänge, aber in keinem von beiden konnte ich irgendetwas Bemerkenswertes ausmachen. Noch mehr Flurraum. Ein paar Türen. Es war nicht viel anders als wie in einem Haus und ich war erleichtert. Ich hatte mir finstere Tunnels und gruselige Käfige ausgemalt,