Heinrich Mann: Zwischen den Rassen. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783969696491
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einander gegenüber. Erneste sagte in ihrem korrekten Französisch:

      »Ist das seltsam, gnädige Frau! Als Ihre Tochter ehemals in dieses Haus eintrat, konnte sie nicht mit mir sprechen; und jetzt nicht mit Ihnen.«

      Zweiter Teil

      I

      Mit glänzend glatten Bandeaus und einem rohseidenen Schlafrock, creme und pfauenblau, kam Frau Gabriel ins Zimmer und fragte:

      »Sind die Sachen da?«

      Lola las, hing dabei aus dem Fenster und hörte nicht. Ermattet seufzend lehnte Frau Gabriel sich in einen Sessel.

      Lolas schlanker, kräftiger Nacken dahinten lag pflaumig blond im Licht. Um ihr Haar her war ein goldiges Geflimmer. Die ungeheure blaue und durchgoldete Weite trug Lolas Schattenriss in sich, bereit ihn dahinzuraffen, aufzuzehren. Drei Palmenblätter nickten mit ihren Spitzen über den Fensterrahmen hinweg. Die Hotelglocke ging. Nun schnaubte ein Dampfer. Von Gesprächen, Musik und Gelächter flatterten Bruchstücke durch Wind und Sonne herbei.

      Frau Gabriel saß und polierte mit dem Taschentuch ihre Nägel. Lola sah sich plötzlich um und fuhr zusammen.

      »Sind die Sachen da?« fragte Mai geduldig.

      »Da stehen sie doch!«

      Nicht einmal den Kopf konnte Mai wenden: lieber saß sie eine halbe Stunde und wartete. Wenn jemand aber auch gar keine Nerven hatte! Lola stellte die geöffneten Schachteln dicht neben Mai hin.

      »Grade habe ich sie noch bezahlen können. Aber es war fast das Letzte.«

      »Schreibe doch an Nene.«

      »Das sagst du immer. O! Wäre ich erst ausgebildet und selbstständig! ... Weißt du, wieviel wir schon voraus haben? Die Zinsen eines halben Jahres.«

      »Nene verdient aber auch; er wird mit uns teilen.«

      »Er hat schon mit uns geteilt. Mir ist’s sonderbar genug, dass dort drüben ein junger Mann für mich arbeitet, den ich kaum kenne.«

      »Versündige dich nicht, er ist dein Bruder.«

      »Erinnerst du dich, wie ich anfangs, nachdem du herübergekommen warst, nicht wusste, wer Paolo war? Als Kind hatte ich nie gehört, dass er Paolo hieß und dass Nene nur Baby bedeutet.«

      »Der gute Nene.«

      »Wir lassen ihn also für uns verdienen; nur dürfen wir ihn nicht zugrunde richten. Hörst du?«

      »Ihr werdet das schon zusammen ausmachen: ihr seid klüger als ich. Ach, unsere jetzigen Verlegenheiten hat Paolo mir vorausgesagt. Er wollte mich durchaus nicht reisen lassen.«

      »Zum Glück scheint er energisch; sonst könnte es schlimm enden. Ich selbst vergesse mich manchmal. Zum Beispiel war’s sehr unnötig, dass wir hierher kamen. Wir sind genug hinter der Branzilla hergereist. Da sie nun in der Nervenheilanstalt sitzt und für meine Stimmbildung nichts mehr tun kann, hätten wir in Paris bleiben sollen.«

      »Paris war schön!«

      »Unser Leben in Paris kostete schließlich weniger: wir saßen doch manchen Abend zu Hause. Hier läßt man uns nicht.«

      »Du hast recht, es ist schrecklich; nun, Gott wird helfen. Kann ich jetzt die Sachen sehen?«

      »Aber – sie liegen dir doch vor der Nase!«

      »Muss ich sie selbst herausnehmen?«

      Frau Gabriel lächelte zaghaft; die Lippe mit dem Leberfleck im Winkel kräuselte sich und zerstörte die reine Linie der graden Nase; die Augen baten; in das gelassene Madonnengesicht kamen Furcht und Unbeholfenheit eines Schulmädchens. Um ihren guten Willen zu beweisen, tauchte sie eine ihrer kleinen weichen, ungeübten Hände in die Schachtel. Gerührt hob Lola die Kostüme heraus; sah ein wenig von oben herab zu, wie Mai sie bewunderte; fasste selbst Teilnahme; – und bald waren sie im Verein ganz hingegeben an diese Stoffe, an die neuen Erfindungen dieser Töne, dieser Schnitte, die ihnen versprachen, ihre Schönheit umzutauschen und ihnen eine noch nicht gekostete Form von Leben und von Glück zu vermitteln. Zum Schluss verriet Frau Gabriel, welche Züge ihr Glück heute trug; denn sie fragte:

      »Meinst du, dass der Herzog von Fingado mich liebt?«

      Ihre Stimme und ihr Blick waren voll kindlicher Erwartung. Lola sagte tröstend:

      »Gewiss, Mai.«

      »Tatsache ist, dass er neulich auf der Garden-Party sich fast nur um mich kümmerte. Die Bricheau versicherte mir, seine Verlobung sei ins Wanken gekommen. Das wäre mir wahrhaft unangenehm.«

      Aber es klang stolz. Dann, behutsam:

      »Sage mir eins, mein liebes Kind: gibt dir der Herzog kein Gefühl ein? ... Du brauchst es nur zu sagen.«

      »Nicht das geringste ... obwohl ich ihn sympathisch finde«, setzte Lola höflich hinzu. Und Mai, zitternd:

      »Ich würde seine Liebe nicht wollen, wenn du sie wolltest. Gott ist mein Zeuge, dass dein Glück mir höher steht als meins.«

      »Gute Mai, mache dir keine Sorgen!«

      Lola wollte sich entfernen; Mai hielt sie, tränenden Auges, am Rock fest.

      »Ich würde mich dir opfern, weißt du ... Also du liebst ihn nicht? Schwöre es mir!«

      »Ich schwöre es«, und Lola lächelte nachsichtig. Man musste ein Kind sein wie Mai, um sich in den Titel dieses kümmerlichen Jünglings zu verlieben.

      »Aber auf dem Heimwege«, bemerkte Mai, »ist er mit dir gegangen. Ihr habt euch sogar abgesondert.«

      »Er wollte mir aus der Ferne seine Yacht zeigen, – auf der er nicht fahren kann, weil er seekrank wird.«

      »Wovon spracht ihr noch?«

      »Von Karl dem Zweiten.«

      »Wer ist das?«

      »Ein König von Spanien – es ist lange her, es würde dich nicht interessieren. Mich interessiert’s auch nur manchmal. Aber mit Fingado weiß ich nichts anderes zu reden.«

      »Wirklich nicht?«

      »Tatsächlich.«

      Mai nickte beruhigt. Mit einem unaufhaltsamen Lächeln des Triumphes:

      »Mit mir redet er anderes!«

      »Würdest du ihn heiraten, Mai?« fragte Lola, kniete neben ihrer Mutter hin und strich ihr schmeichelnd über Hals und Arm.

      »Ich sehe meine Mai schon als Herzogin, in ihrem Schloss in der Sierra; sie geht auf die Jagd nach Wölfen, Adlern und ähnlichen Wappentieren.«

      Mai hatte ernsthaft nachgedacht.

      »Alles wohl überlegt«, sagte sie, »hat auch Herr Aguirre seine Vorzüge. Er ist Abgeordneter, sehr einflussreich, und Spanien wird vielleicht Republik werden.«

      »Wie weit du denkst, Mai! Aguirre, dies ungesund rosige Baby, denkt nur an das Nächste: er will unser Geld, das Geld, das er uns zutraut. Zu viel Ehre!«

      »Du siehst zu trübe, Lola. Und ferner ist er in gesetztem Alter, und ich bin, ach, nicht mehr ganz jung.«

      »Im Gegenteil«; dabei herzte Lola ihre Mutter eifriger; »du bist so jung, dass ich mich neben dir meines Alters schäme. Schon als du mich aus der Pension abholtest, war ich, glaub’ ich, weiter im Leben als du. Die zwei Jahre aber, die wir in der Welt umhergereist sind, haben meinem Alter zehn hinzugefügt. Ich fange sogar an, hässlich zu werden.«

      »Das ist nicht wahr! Du bist die Frische selbst. Dein Alter bildest du dir ein, weil du zu viel denkst. Das könnte deine Stirn falten: gib acht. Du bist zerstreut bei der Toilette und gerade sie verlangt unsere ganze Geisteskraft. Dann hättest du dir nicht die Stirnhaare abgebrannt und wärest jetzt nicht so schwer zu