Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elsebeth Egholm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711457917
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lassen.

      »Was ist mit Solveig?«, fragte Mette vorsichtig.

      »Was soll mit ihr sein?«

      »Wart ihr mal zusammen?«

      Sie hasste sich wegen dieser Frage, aber ihre Neugier siegte über ihre guten Manieren.

      Er zuckte mit den Schultern.

      »Sie ist ein nettes Mädchen. Und so ein richtiges Jungenmädchen.«

      »Was verstehst du unter einem Jungenmädchen?«

      Er streichelte sie mit einem Finger im Nacken.

      »Ich meine nicht, dass ich glaube, sie steht auf Mädchen. Und ich bin auch nicht so eingebildet, dass ich mich für unwiderstehlich halte . . .«

      »Aber?«

      Er dachte sorgfältig nach, das konnte sie sehen.

      »Wir hatten das, was man vielleicht als kurze Affäre bezeichnen könnte. Aber es gab ein Problem. Ein sexuelles Problem.«

      Er schaute sie mit offenem, ehrlichem Gesicht an.

      »Sie sagte, es sei nicht so, dass sie nicht wollte. Und manchmal hätten wir es auch fast geschafft. Aber sie konnte das einfach nicht.«

      Mette spürte wieder den Klumpen in ihrer Brust, der ihre Tränen nach oben presste.

      »Sag mir lieber nicht mehr.«

      OKTOBER 1997

      An diesem Tag sah alles anders aus.

      Isabel war allein unterwegs. Sie ging quer über den Friedhof zum Grab. Sie konnte es mit seinen vielen frischen Blumen und Kränzen schon aus weiter Entfernung sehen. Die Sonne schien, die Grabstätte lag windgeschützt hinter den schweren Steinmauern der Kirche. Isabel setzte sich ein Stück vom Grab entfernt auf eine Bank und stellte ihre Reisetasche neben sich. Aus einem Impuls heraus hatte sie sich von einem Taxi zur Kirche fahren lassen, nach diesem Besuch wollte sie den Zug nach Kopenhagen nehmen.

      In der Sonne war es warm. Sie schloss für einen Moment die Augen. Dachte daran, wie die Freundinnen an diesem Morgen bei Mette voneinander Abschied genommen hatten. An ihr Versprechen, Kontakt zu halten und Solveig nicht zu vergessen.

      »Von jetzt an wird alles anders, ja?«, hatte Mette gefragt, als sie mit Malthe auf dem Arm vor dem Herd gestanden und den Topf mit dem Haferbrei umgerührt hatte. »Wir müssen uns häufiger sehen. Wollen wir uns das versprechen?«

      Pernille hatte sich an den Küchentisch gesetzt und schmierte sich ein Käsebrot.

      »Und soll das nun alles gewesen sein? Ich meine, mit Solveig? Kommen wir da wirklich nicht weiter?«

      Isabel seufzte. Auch sie hatte nachgedacht. Solveigs Selbstmord war ein Rätsel, egal, wie sie die Sache auch drehten und wendeten. Was hatte Solveig an jenem Abend dazu veranlasst, die Ketogan-Tabletten zu schlucken? Welche Gedanken hatte sie während der letzten Minuten gehabt, ehe sie das Mittel im Kaffee aufgelöst und dann den Becher geleert hatte?

      »Ich finde, jede sollte sich das alles noch einmal überlegen, und auf jeden Fall bleiben wir in Kontakt miteinander«, sagte sie. »Vielleicht fällt einer von uns ja etwas ein, das den Beginn einer Erklärung ausmachen kann. Und wir sollten verabreden, dass bis zu unserem nächsten Wiedersehen nicht mehr als ein Monat vergehen soll. Wir wollen doch alle mehr wissen, aber wir haben schließlich auch unsere Arbeit und andere Verpflichtungen.«

      Der Brei blubberte, und Mette nahm den Topf von der Platte.

      »So viel zu den Freien Frauen.« Isabel zuckte mit den Schultern.

      »Wir müssen doch auch realistisch sein. Wir können nicht einfach alles hinschmeißen. Außerdem müssen wir unser Vorgehen ein bisschen planen und brauchen vor allem eine Denkpause.«

      Sie dachte an die vielen Termine, die sich in ihrem Kalender angesammelt hatten. Konzerte mit Gesang und Orchester hier und dort, Unterricht und Begleitung. Aber vielleicht ließ sich ja doch bald ein Loch im Termindschungel finden, das einen längeren Ausflug nach Århus gestattete.

      Sie hörte Schritte auf dem Kiesweg und öffnete die Augen wieder. Aber nichts war zu sehen. Die Umgebung war für einen Sonntagnachmittag überhaupt seltsam leer.

      Isabel erhob sich und griff nach ihrer Tasche. Und dann sah sie die Gestalt, die vor Solveigs Grab kniete. Jetzt richtete die Gestalt sich wieder auf; ein langer, schlaksiger Mensch in Jeans und Wildlederjacke lief mit großen Schritten über den Weg. Instinktiv nahm Isabel die Verfolgung auf. Der Mann schaute sich nicht um, sondern steigerte sein Tempo und bog dann um die Ecke.

      Als Isabel das Kirchentor erreicht hatte, war der Mann nicht mehr zu sehen. Aber die schwere Kirchentür war angelehnt, und ohne weiter darüber nachzudenken, drückte Isabel dagegen und trat in das nach feuchter Erde riechende Kircheninnere. Dort war es halbdunkel und ihre Augen mussten sich erst an das trübe Licht gewöhnen. Der Laubengang war leer. Das Regal mit den Gesangbüchern schien darauf zu warten, am kommenden Sonntag von der Gemeinde benutzt zu werden. Isabel öffnete die Tür zum Hauptschiff und schaute sich vorsichtig um. Auch hier war niemand zu sehen. Christus hing einsam an seinem Kreuz hinter dem Altar, und das Taufbecken sah einfach verloren aus.

      Eine innere Stimme teilte ihr mit, sie sei eine Idiotin. Es war ja wohl nicht verboten, dass fremde Männer einen Friedhof besuchten, und ebenso wenig war es verboten, außerhalb der Gottesdienstzeit eine Kirche zu betreten. Doch die andere Stimme war lauter, die Stimme, die rief, dieser Mann sehe nicht so aus, als habe er hier etwas zu suchen. Dass etwas hier ganz bestimmt nicht so sei, wie es sein sollte. Warum hätte der Mann sonst so eilig davonlaufen sollen?

      Isabel ging durch den Mittelgang auf den Altar zu. Unterwegs ließ sie ihren Blick an den Bankreihen entlangwandern und den Boden nach allem absuchen, was ihr irgendeine Information vermitteln könnte. Sie hatte die Altarbank schon erreicht, als sie die Tür zur Sakristei und danach näher kommende Schritte hörte.

      Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie konnte eben noch einen verzweifelten Blick zu dem blutenden Christus hochschicken, wobei die Inschrift INRI vor ihren Augen tanzte.

      »Kann ich irgendwie behilflich sein?«, fragte eine freundliche Stimme.

      Isabel fuhr herum. Dann jagte eine Welle der Erleichterung durch ihren ganzen Körper.

      »Sie waren gestern hier, nicht war?«, fragte der Pastor sanft. »Auf Solveig Aastrands Beerdigung?«

      Sie nickte und fand endlich die Sprache wieder.

      »Ich wollte das Grab sehen.«

      »Natürlich«, erwiderte er, als erkläre das, warum sie in der Kirche stand.

      In diesem Moment wurde vor der Kirche ein Motorrad angelassen. Das Kreischen der Reifen zerfetzte die Luft.

      »Heute waren noch andere hier«, sagte der Pastor nachdenklich. »Ihre Familie hat die Hochmesse besucht.«

      Er war schon älter. Kurz vor der Pensionierung, nahm Isabel an. Auch ohne Talar, sondern einfach nur in einer dunklen Hose und einer abgenutzten Jacke, strahlte er Würde aus. Etwas, das in Solveig ein gewisses Vertrauen erweckte.

      »Na, ich sollte wohl mal nachsehen . . . sollte wohl nach den Blumen sehen«, sagte sie endlich und entfernte sich rückwärts von ihm. Doch mitten in der Kirche blieb sie dann stehen. Der Pastor musterte sie noch immer mit müder Verwunderung.

      »Haben Sie Solveig gekannt? Gut, meine ich«, fragte sie.

      »Natürlich habe ich sie gekannt«, sagte er traurig und fügte nach einer Pause hinzu: »Aber nicht gut genug.«

      Isabel drehte sich um, ging und fragte sich, wie er das gemeint haben mochte.

      Sie bezwang ihren Impuls, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Da war ja noch das Grab. Sie musste sich davon überzeugen, dass alles so war, wie es sein sollte.

      Der Kies knirschte unter ihren Füßen, als sie ein letztes Mal über den Friedhof