Die Bohlen donnerten von den Sprüngen der Nagelschuhe, die Lederschenkel klatschten vom Patschen breiter Handflächen — juchhu! — die Burschen duckten sich im Tanz und balzten wie die Birkhähne. Und in ihrer Mitte drehte sich sittsam, stets auf der gleichen Stelle, das Dirndl des Vereins, die Augen niedergeschlagen, die Hände in das Hüftmieder gestemmt, immer um sich selber, dass die weiten Röcke flogen.
„Dös is die Distl-Vroni!“ sagte die Zenz.
Die Erbtochter beim Distl war gut ein paar Jahr’ über zwanzig, nicht gar zu gross, schmal und schlank, von feiner Figur, zierlich fast wie eine aus der Stadt, eine dicke, weizenblonde Zopflast unterm Hut — hier, auf dem Trachtenfest, litt’s keine Bubiköpfe. Sie hatte ein feines, längliches, wie altdeutsches Gesicht, mädchenhaft streng, mit hellblauen Augen und rosiger Haut.
„Flori — was sagst jetzt?“
„Harb schaut sie her — dei’ Distl-Tochter!“ Der Flori zündete sich, wie sonst beim Kuhhandel, eine Zigarre an, um nach aussen seinen Gleichmut zu bewahren. „Aber sauber is sie scho’ . . . “
„Bildsauber . .“
„Lässt sich nix dawider sagen!“
„ . . . und hält auf sich! Dem Vronerl ihr Ruf — da gibt’s nix! Die is streng mit die Mannsbilder!“
„Glaub’s gern, wann i sie anschau’!“
Die Distl-Vroni guckte einmal flüchtig herüber — aber nur einen Augenblick, wie durch Zufall — und tanzte züchtig im wilden Wirbel der Burschen weiter. Ihre Wangen waren vom Drehen gerötet. Ein paar verstohlene Grübchen um die Mundwinkel . . . .
„Du, Zenz: I mein’ — die hat’s dick hinter den Ohren!“
„Hundertachtzig Tagwerk Land hat sie, du Depp!“
„Das is ganz a G’fährliche!“
„Sechzig Stuck Vieh! . . . Und die Baugründ’, Flori — die Baugründ’ . . . Frag, wen d’ magst: die Gründ’ sind bar Geld . . . “
„Kann leicht sein!“
„Gerad’ nur die Mutter auf dem Altenteil: die is leicht zu haben! Wie lang die’s noch macht! Voriges Jahr, zu Mariä Himmelfahrt, hat sie schon einmal ’s Wasser in den Füss’g’habt . . . “
„Alleweil hat sie wieder hergeschaut . . . “
Die Veronika Distl tanzte immer noch um sich selbst, schon ein wenig atemlos. Jetzt schwang der eine von den Burschen sie mit beiden Armen leicht, als wäre sie eine Strohpuppe, in die Höhe und stellte sie auf die kleinen, weissbestrumpften, in schwarzen Schuhen steckenden Füsse. Die Musik verstummte.
„Gar is!“ murmelte der Flori. Er verwandte kein Auge von der Distl-Vroni.
„Wann i ein Mannsbild wär’, die täť mir g’fallen!“ sagte die junge Heissin von Walching.
Die Distl-Vroni stand da und lachte und wischte sich mit dem Tüchel die heissen Backen und schwatzte unbefangen mit dem und jenem. Die Vogl-Geschwister schoben sich langsam durch das Volkstrachtengewühl auf der buntbewimpelten, musiküberschmetterten Festwiese, immer wieder haltmachend und irgendeinen aus der Freundschaft begrüssend. Denn die Versippung und Verschwägerung dieses alten Bauernadels reichte weithin durch das Oberland.
So kamen sie, wie durch Zufall, bis zu der Distl-Tochter. Der Flori sah sie jetzt ganz aus der Nähe. Sie hatte ein feines, klares, wunderhübsch geschnittenes Gesicht mit ein paar Sommersprossen als Schönheitsfleckerln und einem schmalen, festen, kirschroten Mund und lebhafte lichtblaue Augen unter dichten blonden Brauen.
Ein wenig was vom Herrschteifi . . . Freilich: die Erbtochter . . . Ah — mit dir werd’ i scho’ fertig . . . Der Flori sog nachdenklich an seiner Zigarre, den Hut mit dem Adlerflaum keck und schief auf dem Ohr. Die Veronika nickte der Zenz zu.
„Grüss’ di Gott, Heissin! . . . Is ’leicht dein Bruder — der da?“ Sie bot ihm die Hand. „Hast vor net lang den Vatter hergeben müssen! Mei’ christliches Beileid hinterher!“
„Vergelt’s dir Gott!“
Jetzt kam das Schweigen — das vielsagende. Der Bruder Simon füllte die Pause mit dem alten und ewigen Gesprächsstoff, solange es Bauern gibt:
„A schönes Wetter haben wir heut!“
„Freili!“
„Aber ob’s halt’ . . . “
„Solang’ der Bergwind hergeht . . . “ Die Vroni schaute prüfend hinüber nach der ganz nahen Kette der Voralpen.
„A bissel a Regen täť net schaden . . . “
„Dem Sommerkorn net! Futter haben wir gerad’ genug!“
„Habt’s ihr schon Heuen ang’fangen?“ Es war die erste Frage des Flori. Die Distl-Tochter strich sich die seidene Schürze glatt:
„Noch net viel! Is ja noch früh im Jahr!“
„Alsdann — b’hüt di Gott!“
„B’hüt enk Gott beieinand . . . “
7
Die Zenz und ihr Mann und ihre beiden Brüder gingen zusammen zu ihrem Hof ,Beim Heiss’. Sie hatte, sagte sie unterwegs den Zweien, lieber daheim aufkochen lassen. Das Weisswürst’-Fressen und Pfalzwein-Saufen im Wirtshaus gehörte sich in so harten Zeiten gerad’ nur für das leichtsinnige Jungvolk. Aber eine Bäuerin durft’ aufs Geld schauen und ihr Sach’ zusammenhalten, ob alt oder jung. Denn sie selber war kaum zweiundzwanzig und erst seit einem halben Jahr verheiratet, und daher kam’s, dass der Flori ihre Nachbarn, die Distl, bisher noch nicht hatte kennenlernen.
Gemeinsam mit dem Gesinde stand das Heisssche Paar Eheleut’ und die Vogl-Brüder, die Hände gefaltet, vor den Tellern und murmelten das Tischgebet: ,Vater, segne uns Speis und Trank!’ — Es summte dumpf, eintönig, wie die Responsorien bei der Messe. Und dann setzten sie sich und löffelten los. Nach dem Dankgott zum Schluss sassen die Männer vor dem Haus. Zu schauen war da nicht viel, an dem Heiss-Anwesen. Es war ein stattlicher Bauernhof, wie vieltausend andere, landeinwärts, fünf Minuten vom See gelegen.
Dann kam die Heissin aus der Tür, rotbackig, blühend, in ihrem Sonntagsstaat, dem flachen, breiten, verschnürten Mieder und dem breithüftigen, gefältelten Rock, und sagte:
„So! Jetzt gehen wir a Haus weiter!“
„Is dann die Vroni jetzt daheim?“
„Die schaut allemal nach dem Rechten! Das Dirndl — die kummandiert auf ihrem Hof wie a Mannsbild! Da oben — da ist’s beim Distl!“
Das Anwesen der Vroni thronte auf einer Anhöhe, gerade über dem Schilfufer des Chiemsees, mit einem schier unendlichen Ausblick über die weite stahlblaue Wasserfläche und über das grüne Flachland mit seinen weissen Dörfern und drüben im Süden über die ganz nahe, fichtendunkle und felsgraue und schneeig leuchtende Riesenmauer der Voralpen.
„Schau — da steht das Vronerl schon im Stall und gibt Obacht, dass die Küh’ auf die Zeit ihr G’sott kriegen und g’molken werden! Du — dös gibt mal a rechte Bäuerin!“ sprach die Zenz rühmend. „Da darfst g’wiss sein, dass da kei’ Eier net g’stohlen werden und ka Milch net beiseit’ kimmt! Da findest kei’ Butterlaiben im Rucksack und die Tür zur Räucherkammer offen! Scharf is das Madl wie a Hofhund!“
Und dann zu der Distl-Vroni selber, mit unschuldigem Lächeln:
„Ich hätt’ nur gern den Brüdern die schöne Aussicht weisen mögen, bei dir heroben!“
Wie die Veronika Distl da stand, schmal, zart, mit herben, jungen Zügen, in der schmucken, blumenverzierten, silberklirrenden, farbenfrohen Chiemseetracht, da glich sie fast eher einer Theaterbäuerin oder einem Salondirndl, wie die Maler drunten in München ihre Bilder