Mandelbaum runzelte die Stirn.
„Ich habe von den Plänen der Regierung für eine Steuerreform gehört“, sagte er, nachdem Escher seinen Satz nicht zu Ende brachte. „Worauf willst du hinaus? Mir scheint das neue System etwas klarer, sogar gerechter zu sein als das alte.“
„Mag sein“, erwiderte Escher und lächelte verschmitzt. „Auf jeden Fall bietet es den Gemeinden mehr Flexibilität. Sollte die Steuerreform wie angekündigt kommen, dann fällt die Gewerbesteuer direkt der Stadt zu. Und ich denke, wir können da vielleicht im einen oder anderen Fall und an der einen oder anderen Stelle ein Auge zudrücken.“
Mandelbaum sah Escher nachdenklich an, als würde er überlegen, was er ihm eigentlich sagen wollte.
„Das neue Gesetz scheint für uns alle zum Vorteil zu sein“, meinte er schließlich vorsichtig.
„Nun ja.“ Der alte Escher lachte. „Zuerst einmal bedeuten Steuern Kosten. Und jeder Betrieb wünscht sich doch möglichst wenig davon, nicht wahr? Es sieht beinahe so aus, als würden die Unternehmer stärker belastet als bisher.“
„Möglich.“ Mandelbaum schien sich immer noch nicht im Klaren darüber zu sein, auf was Escher hinauswollte. „Aber wenn davon Bauvorhaben wie unsere neue Brücke finanziert werden, finde ich es eine sinnvolle Ausgabe für die Betriebe. Vielleicht wird es dadurch irgendwann auch möglich, die Ausfallstraßen endlich besser zu befestigen …“
Escher machte ein unzufriedenes Gesicht.
„Ja, ja“, erwiderte er eilig und winkte ab. Er hatte Mandelbaum nicht hergebeten, um Tipps für die Verwendung der städtischen Finanzen zu bekommen. „Vielleicht … Ich kann dir jedenfalls eins versichern: Nicht alle Unternehmen werden den Höchstsatz zahlen müssen. Ich habe vor, ein paar Ausnahmen durchzusetzen. Du wirst sehen.“
„Ja.“ Mandelbaum seufzte. „Wie gesagt, ich habe nichts dagegen, Steuern zu zahlen, die für sinnvolle Projekte verwendet werden. Aber wir müssen doch noch abwarten, ob die Steuer überhaupt wie geplant kommt. Ich habe den Eindruck, als wären nicht alle in der Regierung wirklich überzeugt von dieser Reform.“
Escher beugte sich vor und sah Mandelbaum in die Augen.
„Sie wird kommen“, sagte er fest. „Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Er erhob sich. „Die Steuer wird noch in diesem Jahr eingeführt. Und ich wollte dich wissen lassen, dass es deinem Geschäft nicht zum Nachteil gereichen wird. Wir sind seit Langem Geschäftspartner … und Freunde. Nicht wahr?“
„Ja. Sicher“, erwiderte Mandelbaum zögernd. Er erhob sich ebenfalls und ging langsam zur Tür. „Das ist nett von dir.“
Der alte Escher verdrehte die Augen, aber Mandelbaum bemerkte es nicht. Er drückte die Klinke hinunter.
„Jakob“, sagte Escher in vertraulichem Ton. „Lass es dir in Ruhe durch den Kopf gehen. Wir haben doch lange gut zusammengearbeitet. Bestimmt finden wir bald einmal wieder die Gelegenheit dazu. Du weißt, meine Stoffe sind die besten der ganzen Gegend.“
Mandelbaum sagte nichts. Er lächelte und nickte leicht. Doch dieses Nicken hatte nichts zu sagen, das spürte Escher genau. Es war entweder der zunehmenden Senilität Mandelbaums geschuldet oder seinem schlauen Abwägen, was das Beste für ihn sein mochte.
„Bestimmt. Auf Wiedersehen“, sagte Mandelbaum denn auch unverbindlich. „Es war schön, dich wieder einmal zu sehen.“
„Ja“, erwiderte Escher ungehalten. „Das war es. Denk über meine Worte nach.“
Als Mandelbaum sein Büro verlassen hatte, schüttelte er den Kopf. Das Gespräch war alles andere als zufriedenstellend gelaufen. Was hatte er zu erreichen gehofft? Natürlich war nicht damit zu rechnen gewesen, dass Mandelbaum gleich mit offenen Armen auf ihn zukam. Das wäre wohl zu viel verlangt gewesen, nachdem er ihre Geschäftsverbindungen erst vor kurzer Zeit völlig auf Eis gelegt hatte. Wohlgemerkt, es war Mandelbaum gewesen, der ihre Verträge aufgekündigt hatte …
Escher stand immer noch an der Tür, die Klinke in der Hand, und starrte gedankenverloren vor sich hin. Die Verträge gekündigt … Das war doch eigentlich eine Ungeheuerlichkeit. Er erinnerte sich, wie er in Mandelbaums Möbelmanufaktur gestürmt war, völlig außer sich. Beziehungsweise fassungslos. Er war überzeugt gewesen, dass es sich nur um einen Irrtum handeln konnte. Ja, sicher, sie hatten die Preise etwas angehoben. Aber das war doch noch lange kein Grund, gleich alles hinzuwerfen. Doch genau das war passiert. Escher schüttelte wieder den Kopf, als könne er es immer noch nicht glauben. Das war eben diese typisch jüdische Art, Geschäfte zu machen. Kompromisslos gegen Freund und Feind, rein auf den Profit bedacht. Ohne Wenn und Aber kappte der Alte jahrzehntelange Geschäftsverbindungen, ohne mit der Wimper zu zucken. Über zwanzig Jahre hatte Escher Mandelbaums Möbelmanufaktur, deren Markenzeichen, die großen drei M, inzwischen bis über die Landesgrenzen hinaus bekannt war, mit Stoffen beliefert. Und dann erklärte ihm der alte Mandelbaum eiskalt, er habe einen neuen Lieferanten gefunden, der bei gleicher Qualität wesentlich günstiger liefere.
„Idiot“, sagte Escher leise, holte tief Luft und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Er versuchte, sich auf die vor ihm liegende Akte zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Gut, er war Mandelbaum im Preis nicht entgegengekommen. Vielleicht hätte er das zumindest in Erwägung ziehen sollen. Aber damals hatte er im Traum nicht daran gedacht. Er hatte das alles nur für einen billigen Schachzug des Alten gehalten und nicht einmal Hans ins Vertrauen gezogen. Sicher würde Mandelbaum bald wieder zu ihm kommen, hatte er gedacht, zu Kreuze kriechen sozusagen. Escher lächelte grimmig, als ihm die doppelte Bedeutung des Wortes aufging.
Doch offensichtlich hatte Mandelbaum tatsächlich einen günstigeren Lieferanten gefunden. Er kam nicht, Escher hörte nichts mehr von ihm und blieb auf einem Großteil seiner Ware sitzen. Nicht, dass ihn der Verlust des Auftrags wirklich in Schwierigkeiten gebracht hätte. Das nicht. Aber andererseits machten die Lieferungen an die Mandelbaum’sche Möbelmanufaktur einen nicht unerheblichen Teil seines Umsatzes aus.
Escher hatte keine Ahnung, ob sein Angebot vorhin überhaupt bei Mandelbaum angekommen war. Wenn ja, dann hatte er sich auf jeden Fall sehr bedeckt gehalten und mit keiner winzigen Reaktion zu erkennen gegeben, dass er verstanden hatte. Ärgerlich schlug Escher die Akte zu. Er hatte seine Karten viel zu leichtfertig ausgespielt, plump beinahe … Er erhob sich abrupt. Es hatte keinen Zweck. Er konnte sich jetzt einfach nicht auf die städtischen Angelegenheiten konzentrieren. Was ihm noch heute Vormittag als ein guter Plan erschienen war, kam ihm jetzt albern und peinlich vor. Das Gespräch war katastrophal verlaufen. Was würde Mandelbaum bloß von ihm denken? Über diesen Gedanken ärgerte er sich noch mehr. Er nahm Mantel und Hut und verließ sein Büro.
„Ich bin im Kontor“, rief er unten in der Halle in Albrechts Zimmer.
„Herr Bürgermeister“, rief Albrecht verblüfft. Er sprang auf und eilte zu seiner Tür. „Herr Escher … So früh?“
„Ja“, erwiderte Escher gereizt und öffnete ohne weitere Erklärung die schwere Eichentür des Rathauses, die hinter ihm schwer wieder ins Schloss fiel.
Mandelbaums Haus und sein ehemaliges Kontor lagen in einer engen Gasse am Rand des kleinen Judenviertels Waldbrüggs. Die Manufaktur hatte er nach dem Bekanntwerden der Pläne für den Bau einer neuen Brücke nach außerhalb der Stadtmauern auf die gegenüberliegende Seite des Flusses verlegt. Das Haus stak mit düsterer, fast schwarzer Fassade wie eingequetscht zwischen zwei anderen ähnlicher Bauart, die jedoch viel kleiner wirkten. Doch man sah auch dem Mandelbaum’schen Haus von außen kaum an, wie groß es tatsächlich war, da es sich weit nach hinten erstreckte. Und trotz Avas unermüdlichen Bemühungen mit Blumen und Gardinen zeigte es zur Gasse hin stets ein düsteres und abweisendes Gesicht. Wenn Ava und ihr Bruder Simon zu kleinen Abendgesellschaften einluden – was selten der Fall war –, mussten die wenigen Gäste, die mit einer Kutsche kamen, immer vorne an der Straße aussteigen und die paar Meter bis zur Tür zu Fuß zurücklegen. Die Gasse war schlicht zu schmal für einen Wagen und zwei Pferde.
Mandelbaum betrat