Eliza. Rudolf Stratz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Stratz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507285
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eine halblaute, helle Stimme unsicher aus der Tiefe der Pfühle: „Sind Sie auch wirklich fort?“ Keine Antwort. „Mein Herr . . . ob Sie fort sind . . .?“ Nichts. Ein ganz schmaler Spalt der Decke öffnete sich. Zwei kirschschwarze Augen blinzelten lichtgeblendet durch die eheliche Schlafstube. Sie war leer. Ein hübscher Schwarzkopf im Nachthäubchen tauchte auf. Die junge Posthalterin krabbelte aus den Federbetten und warf hastig die immer noch offene Tür ins Schloss. Durch diese Tür konnte der Étranger de distinction sich nicht empfohlen haben! Die wurmstichige Treppe hätte unter seinem Tritt gekracht. Blieb nur das Hoffenster! . . . Ein Stockwerk hoch! Im Hemd huschte die Frau Rittmeister die Wand entlang, lugte seitlich hinter der Gardine in die Tiefe . . . Da unten stand der Herr aus Dresden, wie ein Nachtdieb die Dachkandel hinabgerutscht, legte einen Haufen harter Maria-Theresientaler auf den Amboss, löste die Wassertrense des verlassenen Gauls, schwang sich auf dessen blanken Rücken und ritt, mit nur drei Eisen an den Hufen, still im Schritt durch das Hintergässchen davon.

      Die Posthalterin fuhr sich mit der Hand über die Augen, ob sie nicht träume. Sie warf sich in das Nötigste: eine hochgegürtete Matinée aus indischem Perkal, in graue, mit Glasperlen gestickte Pantöffelchen, den Kaschmirschal um die Schultern, einen Iphigenienschleier über den Kopf — es dauerte doch fünf Minuten, bis sie atemlos unten auf dem Markt vor ihrem Mann in der Julisonne stand und rief:

      „Kaspar — mir schwant, du hast eine Bêtise begangen! Der Herr Geheime Referendarius ist zu Pferd ohne Sattel und Bügel echappiert!“

      Unten hinter dem Gitterfenster des halb unterirdischen Holzkellers knirschte das verzerrte, schwammige Antlitz des Herrn im polnischen Wettermantel in verzweifeltem Französisch zu dem Rittmeister hinauf:

      „Da hinten reitet die Weltgeschichte und reitet uns davon! Sie hatten die Weltgeschichte in der Hand! Sie brauchten den Sendboten Wiens nur zu verhaften . .“

      „Ei — mein bestes Härrchen — das hab’ ich ja . .“

      „. . und lassen ihn weiter . . . nach Tilsit . . . mit den Briefen für Preussen! Er jagt wie ein Wahnsinniger Tag und Nacht! Endlich hatten wir ihn hier in Polen beinahe eingeholt! Von Thorn bis Warschau ist alles längs der Weichsel alarmiert, um ihn abzufangen . . Und dieser Mensch, den hunderte suchen, steht vor Ihnen . . .“

      „Nee — er sitzt da unten — im Cachot — mein Bester!“

      „Napoleon steht in Tilsit im Begriff, mit Russland Frieden zu schliessen und in diesem Frieden Preussen zu vernichten. In diesem letzten, entscheidenden Augenblick haben in Wien Erzherzog Karl und die Kriegspartei gesiegt! Der Mensch, der dort reitet, trägt die Rettung Preussens in seiner Tasche. Er trägt den Brief mit sich, der die Abreise des Kaiserlich-Königlichen Generals von Stutterheim von Wien nach Tilsit mit dem Bündnisangebot Österreichs an Preussen anmeldet! Erreicht er Tilsit vor Unterzeichnung des Friedens, dann lodert ganz Europa von neuem gegen Napoleon auf, weil ein Postmeister in der Wasserpolackei in seiner übermenschlichen Einfalt . .“

      „Er hat mir seinen Pass gewiesen!“

      „Der Pass war falsch! Man hat diesen verwegenen Botenreiter mit genug falschen Pässen in Wien ausgestattet! Er hat, dank Ihrer idiotischen Leichtgläubigkeit, mein Herr, mich, seinen Verfolger, statt seiner durch Sie verhaften lassen! Wissen Sie, mein Herr, wer ich bin? Kennen Sie den Polizeiminister Fouché? Kennen Sie seinen furchtbaren Geheimagenten, Monsieur Desmarets?“

      „Lenchen — halte mich!“ stöhnte der dickbäuchige, rote Dragoner im weissen Mantel zu seiner Frau. „Mir klappen die Knie . .“

      „. . . Monsieur Desmarets’ oberster Vertrauter und Bevollmächtigter in Deutschland aber bin ich — François Bienassis! . . Hier meine Ausweise — mit dem Pariser Geheimstempel des Kaiserreichs!. . Hätten Sie diese Papiere geprüft, statt sich blind wie ein wütiger Bulle auf mich zu stürzen . . .“

      „Was haltet ihr hier Maulaffen feil, ihr Lümmel!“ Der Posthalter schubste verzweifelt die herumstehenden Postknechte. „Geleitet Seine Gnaden aus dem Holzkeller! Bürstet ihn ab! Bringt ihm einen Stuhl . . . Ein Glas Wein . . .“

      „Verzeihen Sie ihm! Er ist ein alter Esel! Ich weiss es schon lange! Ich darf es nur nicht sagen!“ schrie die Posthalterin.

      „Was hilft es? Das Unglück ist geschehen!“ Der gedunsene, schlaffe Monsieur Bienassis liess sich erschöpft im Freien nieder. „Dieser Glücksbote für Preussen hat einen neuen Vorsprung gewonnen. Wenn wir ihn nicht heute noch vor der Weichsel erreichen, ändert sich in wenigen Tagen das Antlitz der Welt.“

      „Haben Sie ihn, Monsieur Bienassis?“ Ein Sarmate mit langwehendem Schnurrbart sprengte auf einem feurigen Halbblut über den Marktplatz heran. Er trug die dunkelgrüne Offizier-Ulanka der neugeschaffenen polnischen Lanciers. Die Reiter hinter ihm sassen auf keuchenden Dorfkleppern, verbauerte Schlachzizen in Lammfellmützen und umgedrehten Schafpelzen, geschliffene Sensen und Holzäxte als Waffen im Gürtel.

      „Nein — Graf Grodcicki,“ sprach dumpf der bleiche Mann auf dem Stuhl, „da dieser Dümmste der Dummen hier mich statt des Hochverräters in einen stinkigen Keller schloss . .“

      „Wollen Sie in die Bagnos von Cherbourg?“ zischte der polnische Graf in leisem Französisch, über den Pferdehals zu dem Posthalter hinabgebeugt. „Zieht es Sie nach Cayenne, Rittmeister, dass Sie sich an einem Bienassis vergreifen? . .“

      „Ich kannte ihn doch nicht . .“

      „Bienassis? Man kennt ihn seit zwanzig Jahren, als er noch Abbé war unter Ludwig dem Sechzehnten — Jakobiner während der Schreckenszeit — rechtzeitig auf Seite des Generals Bonaparte . . . Napoleon wird Sie zerschmettern . .“

      „Lenchen — halte mich . .“

      „. . . wenn uns durch Sie dieser Fang entgeht! Wo ist der Preusse hin?“

      „Im Galopp die Landstrasse lang, auf die Weichselwälder zu!“ Die Postillons meldeten es durcheinander auf polnisch. „Er reitet auf blankem Pferd. Das Pferd ist alt. Es hat nur drei Eisen . .“

      „Dann kriegen wir ihn!“ Der schnurrbärtige Sarmatengraf riss seinen Rappen auf den Hinterhufen herum. „Vorwärts! Quer durch den See! Der Preusse weiss nicht, dass der See nur flach ist! Er reitet um das Ufer herum! Wir fangen ihn drüben ab wie einen gehetzten Hasen!“

      Die Gäule plantschten bis an die Bäuche im spritzenden Dreckwasser. Die Polen hockten mit hochgezogenen Knien. Der Ulan führte sie, im Modder versinkend, sich mit Sporenstichen und Peitschenhieben herausrappelnd, heiser zu dem Bauernrudel in Schmierstiefeln und Schafpelzen hinter ihm zurückschreiend:

      „Er hat das Bündnisangebot Österreichs an Preussen in der Tasche seines Spenzers! Er rettet Preussen — dies furchtbare Preussen, wenn er Tilsit erreicht . . So ist’s recht, Bruder! Beiss’ deinem Klepper in die Ohren, wenn er nicht weiter will. Gleich sind, wir an Land! Durch! Durch!“ Der Graf zwängte mit Zungenschnalz die Brust seines Pferdes in die krachende, zweimannhohe Schilfwildnis des Sumpfufers hinein, arbeitete sich durch die rauschenden Dschungeln, riss draussen im fliegenden Sprung über den Landstrassengraben blitzschnell die Pistole aus dem Halfter . . .

      Hell zwitscherte ein Vöglein am Ohr des Reiters in blauen Redingote und gelben Lederhosen, der kaum dreissig Schritte vor dem Lancier auf blankem Gaul durch die klatschenden Pfützen stob. Weiter — weiter . . Die Kugeln, die singen, treffen nicht mehr . . Da . . wieder ein Knall dahinten . . fast vorher schon ein schmatzender Klatsch . . . Ein wilder Satz des Gauls . . . Der Preusse bückte sich im Galoppieren, fasste mit der Rechten an die Pferdeflanke, zog den nassen Handteller blutrot gefärbt zurück. Lang lief sein Ross nicht mehr mit dem Schuss in die Weiche . . . Er lugte über die Schulter nach hinten. Der Pole lud im Reiten, die Zügel zwischen den Zähnen, von neuem die Pistole. Er musste dabei den Galopp etwas verkürzen. Er verlor Boden. Er bekam den blauen Reitfrack mit flatterndem roten Kragen am Waldsaum aus dem Gesicht . . . Er fegte, jetzt wieder in vollem Rosseslauf, die schussfertige Waffe in der Rechten, um die Wegbiegung, prallte beinahe an eine da langsam in derselben Richtung knarrende Halbkutsche mit hinten aufgeschnalltem Koffer, zwei Bauernpferde mit hängenden Dickschädeln davor, ein steinalter Polacke mit schlaffen