Die Kronprinzessin. Hanne-Vibeke Holst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanne-Vibeke Holst
Издательство: Bookwire
Серия: Die Macht-Trilogie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726569605
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soll ich am besten gar nichts sagen?«

      »Nichts, was man gegen Sie verwenden kann.«

      »Und wenn ich trotzdem dahin komme?«

      »Dann bekommen Sie höllische Schwierigkeiten.«

      »Kann ich daran sterben?«

      Henrik stellte sein Glas ab, unterdrückte ein Aufstoßen. Kniff die hellblauen Augen hinter den Brillengläsern zusammen.

      »Das ist jedenfalls eines der Berufsrisiken. In Ihrem Fach. Dass Sie einen politischen Tod sterben, indem ...«

      »Passiert das nicht allen, früher oder später?«

      »Tja, das kann man meinen ... so sieht es wohl aus.«

      »Also besteht für einen Politiker die Wahl zwischen einem langsamen, stillen Tod und einem plötzlichen, gewaltsamen?«

      Charlotte schob ihren Teller weg. Brachte plötzlich keinen Bissen mehr herunter. Denn obwohl sie beide lächelten und offensichtlich bei einem spielerischen Gedankenexperiment waren, wusste sie doch sehr genau, dass blutiger Ernst dahinter stand. Oder schnell aufkommen konnte.

      Wieder sah er sie forschend an, als ob er umsichtig seine Worte wählte, um keinen weiteren Schaden anzurichten.

      »Charlotte, ich meine, es ist eine vielleicht etwas morbide Diskussion, um Sie an Ihrem ersten Tag als Ministerin einzuführen.«

      Sie nickte in die Luft. Spielte an ihrem Ohrring. Merkte, wie sie in ihrem Stuhl leicht zusammensank. Das Adrenalin, das ihr seit sechs Uhr früh geholfen hatte durchzuhalten, war am Abebben. Stattdessen meldete sich die Müdigkeit, jetzt, da die Peristaltik zu arbeiten anfing. Eigentlich konnte sie diese Problematik nicht mehr weiter erörtern. Auf der anderen Seite wusste sie schon, dass Henrik Sand Jensen ihr engster Vertrauter werden würde. Ohne ihn würde sie nicht manövrieren können. Darum musste sie sich jetzt Mühe geben und klare Verhältnisse schaffen. Damit er ihre Bedingungen kannte.

      Sie seufzte schwach. Öffnete den Knopf im Bund ihres Rocks. Freddy, der Chauffeur, war zu ihr nach Hause geschickt worden, um saubere und bequeme Kleider für sie zu holen. Plus Kulturbeutel, damit sie eine Katzenwäsche in dem Bad vornehmen konnte, das zum Büro gehörte. Sie hatte gehofft, es selbst nach Hause zu schaffen und die Kinder bei einem kurzen Zwischenstopp zu umarmen, aber Thomas hatte sich die Visite am Telefon verbeten. Nicht verärgert oder so, nur mit der realistischen Feststellung, dass es mehr Schaden als Gewinn wäre. »Es würde sie nur total verwirren, wenn du kommen und gleich wieder gehen würdest. Sie können dich stattdessen im Fernsehen sehen!«

      Also beugte sie sich in ihrem Stuhl nach vorne.

      »Als Per Vittrup gestern Abend anrief, habe ich unter einer Bedingung zu diesem Job Ja gesagt: Dass ich keine Geisel sein würde.«

      »Und was hat der Staatsminister dazu gesagt?«

      »Er hat es akzeptiert.«

      Henrik Sand lachte rau und lehnte sich zurück, streckte die Arme über der Rückenlehne aus.

      »Haben Sie das schriftlich?« Henrik Sand lachte wieder, sodass Charlotte sich das erste Mal an diesem Tag in seiner Gegenwart für gewogen und zu leicht befunden fühlte.

      »Sie meinen, ich bin naiv?«

      »Das sind Sie nicht! Darum ist es ja so dämlich! Dass so eine kompetente Person wie Sie, die das System sowohl von innen wie von außen kennt und deswegen eine Riesenchance hat, einen verflucht guten Job zu machen, so einen Quatsch ausschließt!«

      Henrik Sand stand wütend auf und wanderte im Büro herum.

      »Ja, Entschuldigung«, sagte er. »Ich weiß, dass es gegen die Regeln ist, so mit einer Ministerin zu sprechen ...«

      Charlotte wehrte die Entschuldigung ab.

      »... aber dazu ist man verdammt noch mal gezwungen, wenn man einem solchen Fall gegenübersteht!«

      »Was für einem Fall?«, fragte Charlotte leise, während ihr eigener Zorn zu trommeln anfing wie Regen auf einer Mülltonne. »Es geht um Integrität, Henrik Sand Jensen. Wenn ich überhaupt in diesem Stuhl sitzen soll«, sagte sie und zeigte hinüber zum Schreibtischstuhl, »dann muss ich mir an jedem einzelnen Tag selbst in die Augen sehen können!«

      »Ja und?«

      »Und dann kann ich nicht nichts meinen, nicht nichts sagen, nicht nichts machen! Dann muss ich verflucht noch mal zu- und absagen dürfen. Sonst hat das doch keinen Sinn! Dann könnte Søren Schouw oder irgendein anderer genauso gut hier sitzen!«

      »Darum geht es doch gar nicht!«

      »Worum dann?«, fragte Charlotte hitzig. So stritt sie nicht einmal mit Thomas.

      »Darum, dass man als Politiker die Fähigkeit trainieren muss, so viel wie möglich aus seiner Politik zu machen. Dass ein guter Politiker seinen Spielraum kennt. Dass ein guter Politiker auch noch in der Lage ist, diesen auszuweiten, indem er die anderen auf seine Seite zieht. Und das gelingt einem nicht, wenn man wegen seiner Integrität aufheult und Angst hat, sich die Finger schmutzig zu machen. Ich dachte, Sie wüssten das, mit Ihrem Einblick«, sagte er und stützte sich am Schreibtisch auf.

      »›Politik ist die Kunst des Möglichem‹ – ›Man muss lernen, bis 90 zu zählen‹... ich kenne diese Floskeln bestens«, sagte sie und ging zur Fensternische. Sie brauchten dringend frische Luft. Hier stank es nach Pizza, Blumen, Schweiß. »Kann man die Fenster öffnen?«

      »Ja«, sagte er nur und ließ sie selbst den Efeu wegräumen und die Doppelfenster einhaken. Sie streckte den Kopf hinaus und sog begierig die frische Luft ein. Lächelte leicht bei der Erinnerung an Thomas, hielt sogar nach ihm Ausschau, obwohl sie wusste, dass er zu Hause war. Es kam ihr vor, als wäre es hundert Jahre her, dass er hier gestanden hatte.

      »Was ich meine, ist«, sagte Henrik versöhnlich hinter ihr, »dass Sie das eine vom anderen trennen und sich ganz und gar auf das hier einlassen müssen. Denn wenn Sie das nicht tun, werden Sie die ganze Zeit von Ihren eigenen Zweifeln gebremst werden. Sie werden Dutzende von Kröten schlucken müssen. Aber das müssen die anderen auch. Und wenn Sie tüchtig sind, schlucken die mehr als Sie.«

      »Weil sie meine schlucken?«, sagte sie und drehte sich um.

      »Jep.«

      Sie seufzte. Sie blieben beide stehen, jeder für sich gefangen in der eigenen Nachdenklichkeit. Der Zorn hatte sich schon aufgelöst wie eine Wolke in der Sonne.

      »Verstehen Sie denn gar nichts von dem, was ich sage?«, fragte sie gedämpft in einem so intimen Tonfall, dass es die entscheidende Frage zwischen zwei Liebenden hätte sein können.

      Henrik Sand fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die oben schon dünn und an den Schläfen grau waren.

      »Jedes Wort. Schließlich bin ich auch Idealist gewesen. Ich werde auch Ihnen ein loyaler Beamter sein und so weit als möglich das Ministerwort zum Gesetz machen. Ich persönlich habe auch keine Angst vor einem Medienorkan und einem politischen Sturmtief. Es darf nur nicht kopflos sein.«

      »Dann sind Sie mein Kopf?«

      »In dem Umfang, in dem Sie Ihren verlieren, ja.«

      Sie lachte in einer kurzen Atempause.

      »Dann haben wir ein Abkommen?«

      »Worüber?«

      »Dass Sie mein Alliierter sind. Sie sorgen dafür, dass ich nicht das Haus gegen mich habe. Im Gegenzug akzeptiere ich Ihre Expertise und vermeide, so gut es geht, mich als kopfloses Bauerntrampel aufzuführen.«

      Er lächelte ein wenig. Bauerntrampel.

      »Haben wir das?«, insistierte sie. »Ein Abkommen?«

      »Ja, zum Teufel, wir haben ein Abkommen.«

      »Strike!«, setzte sie hinzu und ging zu ihm, eine Hand nach oben gestreckt. Er begriff das Signal und hob die seine ebenfalls, sodass sie ihre Handflächen