Der Mann, bei dem Napoleon war.
Ein gut gekleideter Diener meldete einen Herrn von Eggenwald. Fräulein Knight erblasste, sie verstand schon Eckartshausen und schämte sich wegen ihrer unheiligen Gedanken, die ihr aus den frommen Zeilen gefiltert waren.
Da erschien auch schon ein würdiger Mann, ernst gekleidet wie ein Abbé, aber in eleganten Reitstiefeln. Und er wusste artige Worte an alle zu richten und kannte die Annalen der drei Hauptpersonen wohl und die Bücher des Ritters Hamilton und den Dinarbas von Ellis Cornelia Knight sogar auf englisch. Ob man den Friedensgarten sehen wolle, fragte er sodann höflich.
„Das Paradies?“ lächelte Sir William. „Gern!“ Er habe sich ihm in letzter Zeit so nahe gefühlt, dass er fast neugierig darauf sei.
„O wohl“, erwiderte Herr von Eggenwald, das Paradies, das er zu zeigen habe, sei leider irdisch unvollkommen, aber doch vielleicht ein Abschein des wahren, dessen Glanz nur deshalb so vollendet dünke, weil wir zu ewigem Abstand davon verurteilt seien.
„Das nenn’ ich hohe Sophisterei!“ lächelte Sir William: „Das müssen wir auf möglichst geringem Abstande nachprüfen!“ Und sie folgten ihm zu viert, da Herr Tyson schon die Rechnung beglich und nebenbei die Aufsicht über das Personal als seinen Vorzug ansah. Der Konsul aber beredete mit dem Postmeister die Schönheiten bis Wien.
Sie kamen bald an ein überaus zierlich gebautes Gartenhaus, das in wahrhaft paradiesischer Gegend lag. Nun vernahmen sie von ihrem Führer, dass allhier der Vorfriede von Campo Formio Anno siebenundneunzig zwischen Frankreich und Österreich geschlossen sei. Der Ort der Verhandlungen sei aber der oberste Stock dieses Hauses, der nur ein einziges Zimmer enthalte, also vor unliebsamen Lauschern gesichert. Da hätten sie freundschaftlich beieinander gesessen: Bonaparte, General Meerveld und der Neapolitaner Marchese di Gallo. Damals kam Istrien mit Triest, kamen Dalmatien und Venedig an Österreich. Aber die Niederlande und die Lombardei verlor es dafür an Frankreich.
Sie sahen das einfache Gemach. Die Uhr stand auf zwei. Es war Nacht gewesen.
Der Friedensgarten.
Zum Andenken an dieses geschichtliche Schach- und Schacherspiel hatte Herr von Eggenwald ein marmornes Denkmal in seinem Garten aufführen lassen. Der Sockel enthielt das Ereignis in lateinischen Inschriften und wurde durch einen kleinen Genius gekrönt. Es seien die Taten von Rivoli und Lodi, die hier ihre Ausbeute fanden, erklärte der Besitzer. Ägypten, Abukir, Acre waren damals noch nicht und auch nicht Marengo. Und der Ölzweig in der Hand des Knaben sei nicht neu vergoldet worden.
Aber die Trompete in seiner Linken habe sich besser gehalten! bemerkte Nelson grimmig, und er wisse auch warum: Der Krieg sei nicht zu Ende. —
Bruck.
Bis Bruck kannte Sir William die Gegend und war mehrmals diese Strecke gekommen, um dann über die Schweiz, den Rhein hinab durch Holland die Überfahrt nach England zu gewinnen. Jetzt aber war die Schweiz besetzt, der Rhein unsicher, Holland batavische Republik und französisch. Die Postschiffsverbindung war von Harwich—Helvetsluys nach Yarmouth—Cuxhaven verlegt worden.
Man fand sich zu Bruck im „Strausse“ bei guter Pflege verloren in einem heftigen Samstagsverkehr von Reisenden vieler Strassen, die hier sich kreuzen, was die Reisenden seit alters her mit den hübschen Dienstmädchen zu tun pflegen. Letzteres kam bei unserer Gesellschaft nur für Herrn Tyson und den Bootsmann Brace in Frage. Aber es ist in den einschlägigen Akten der lieben Stadt nirgends ihr Name betreffs zahlungspflichtiger Vaterschaft erwähnt oder sonst etwas Böses nachzuweisen, so dass alles gut gegangen sein mag und damit behördlich unerwähnenswert.
Fast wäre auch der Mohrin Fatima ein Abenteuer geglückt, als sie nämlich zum Begiessen der Agave, welche Lady Hamilton zur Erinnerung an Palermo mit nach England nehmen wollte, noch einmal in die Wagenremise schlüpfte. Der Hausknecht, der da schlief und sich nach Hausknechtsart bei Ankunft der Herrschaften um die Bediensteten nicht bekümmert und kein Auge an ihnen vergeudet hatte, ausser dem bekannten nichtssehend verächtlichen, wachte davon auf und sah durch seine dösenden Lider etwas Schlankes, lang und weiblich Gewandetes im Dustern huscheln. Halt, dachte er, ein Dieb oder etwas Besseres, und kam sachte auf und schnurrte ihr barbeinig entgegen, als sie vom Kutschbock hüpfte, und fing sie warm auf in seinen leckernden Armen. Aber hu, wie erschrak er, dachte nichts anderes, als es sei des Teufels Grossmutter, die ihn seines schwachen Fleisches wegen zur Pönitenz heranziehen wollte, liess sie eilends fahren und vergrub sich in seinen Woilach, aus dem er diese Nacht nicht wieder hervorzulocken war.
Der Steirabua. Ausblick vom Semmering.
Nun kam man empor auf die Wasserscheide zwischen Steiermark und Niederösterreich. Der gamslederbehoste Postillon blies schmelzend in den Wind zum Abschied und machte den englischen Damen verliebte Augen, und während die Reisenden über die neuerliche Pyramide und k. k. Aufmerksamkeit betreffs der Schlacht am Nil ihre hohe Befriedigung äusserten, auch die Batteriegräben der Franzosen und die Geschosseinschläge von Anno siebenundneunzig betrachteten, sang er das schöne Lied vom Steirabu, der a Kernnatua ist und jodelte den Kehrreim, dass es sechsfach von den Latschen widerhallte und das Viehzeug in den Käfigen wild wurde und Cornelia Knight fürchtete, dem kräftigen Burschen sei schlecht geworden.
Beim zweiten Verse versuchten allerdings auch die Engländer zu jodeln, voran Lady Hamilton, die den geeigneten Resonanzboden dafür aufzuweisen hatte. Aber eine bedeutendere Wirkung erzielte die ganze Anstrengung nicht, nicht einmal bezüglich des Trinkgeldes. Daher gelten seit jenem denkwürdigen Übergang Lord Nelsons über den Semmering die Engländer und Engländerinnen dortselbst als zugeknöpft und unmusikalisch.
Ein schmaler Regen endete das Konzert. Wohl dämpfte er auch den Staub, der die Fernsicht verwölkte, aber Wien war noch immer nicht zu erblicken, selbst durch das gute Schiffsglas des Admirals nicht. Es wurde kühl und zugig, Fatima klapperte vor Frost, und auch die andern fühlten nun, wie sehr sie vom Süden kamen und griffen nach Decken und Mänteln. Die klagende Meerkatze, der zeternde Papagei und der winselnde Bologneser wurden nicht vergessen. Man hatte die dritte und letzte Barre überschritten, und aller Empfindung offen lag das nördliche, erstarrte Spiegelbild der Triester Bucht vor ihnen. Was hiess da Mitteleuropa, was sollten da lange tröstliche Umschreibungen! Es war der Norden, der sie anwehte und Herrn Tysons Pfeifendampf zersträhnte.
Doch da erwachte Nelsons in der starren Brandung der Gebirge eingeschrumpfter Sinn. Er schrie ganz laut Kommandos, die in ihm sich angesammelt hatten und noch glatt den Foudroyant betrafen. Ah, er meinte Nordseeluft zu wittern. Er nieste dreimal. Welche Erleichterung! Seine Nüstern hatten den Staub des Südens nun satt. Sein von der Südsonne halberblindetes gesundes Auge tat sich weit auf und wurde grau und hartfeucht wie Westwindwellen im Kanal.
Sir William wollte ihm noch all die Befestigungen zeigen, die ringsum die steilen Hänge zierten. Aber es war ihm schnurz. Mochte Bonaparte hier hindurchkartätschen oder nicht. Er würde ihn nicht hindern. Hier war er gewesen. Es mochte sehr schön sein. Aber er gehörte nun mal nicht auf die Chausseen des festen Landes.
Die Zofe Loinette aber wünschte heimlich und mit schlechtem Gewissen, dass man doch einmal dem grossen Konsul