Und zu Ehren der Engländer wurde die grosse Kriegssymphonie von Josef Haydn gespielt, die zwölfte der Londoner Reihe, die vor sechs Jahren drüben entstanden war und als Lieblingsstück Grossbritanniens galt. Ihr folgte die grosse italienische Arie La virtu britanna. Beides war geeignet, grosse Erinnerungen und gute Vorsätze in dem kleinen Admiral zu wecken. Kaplan Kleeblatt, der Chronist der Gesellschaft, konnte denn auch den nächsten Tag eintragen, Lord Nelson habe sich befriedigt über den Erfolg der Dilettanten geäussert.
Pan-Europa?
Es traten auch ein paar so nachdenkliche als feurige Herren an Nelson heran, die sprachen leise von den Ketten, die da hiessen Österreich. Und man solle in England eine Feile schmieden für die Freiheit der Slowenen. Oder müsse Bonaparte ihre Hoffnung sein? Vor drei Jahren habe er im fürstbischöflichen Palast gewohnt und sich verlauten lassen, dass die kleinen Völker alle ihr Recht bekommen sollten.
„Das wollte Napper Tandy auch mit Irland“, entgegnete der Admiral und nahm einen kleinen Bekassinenflügel zu sich: „Man hat ihn zu Hamburg geschnappt und ihn ausgeliefert und wird seine Träume bestrafen. Irland allein? Nichts. Mit Grossbritannien ist es gross. Ich habe auf der Karte gesehen, wie fürchterlich viele Schlagbäume wir in Deutschland überhüpfen müssen. Warum noch vermehren? Möge das europäische Festland ein einziges Reich sein, meinetwegen unter dem deutschen Kaiser. Aber das Meer, das Meer sei Englands.“
Da mischte sich der einstige Jesuitenpater Gruber ins Gespräch, und er wagte es, weil er nach der Ausweisung k. k. Navigations-Inspektor geworden sei und die Moore Laibachs trockenlege. Illyrien, Illusion, Elysium, das läge nah beieinander. Eine einzige allgemeine europäische Regierung, keine Zollschranken, gleiches Geld und das Bekenntnis der allein seligmachenden Kirche. Das Meer könnte ja protestantisch bleiben. Nelson empfahl Herrn Gruber, auch den Sumpf unter der Westminster-Abbey trockenzulegen. Die Slowenen aber seufzten und sprachen untereinander: Unsere gute Stammesmutter Jugoslavia wird sich aus eigenen Händen und Lenden befreien müssen.
Die bayrische Witwe.
Junge Bauernmädchen in bunter Tracht und goldenen Hauben tanzten slowenische Tänze zur Ziehharmonika. Dorfburschen führten auf mondheller Wiese Reiterkunststücke vor.
Die Nacht duftete nach fremden Balsambäumen und nach Küchenbeeten, und die verwitwete Kurfürstin nahm die Huldigungen junger Leute im Kerzenschimmer eines türkischen Pavillons entgegen. Da trat die Hamilton ein, einen Kranz aus Tausendgüldenkraut im Haar, alle eilten zu ihr, umringten sie und auch Nelson. Sir William war schon mit John Tyson und seinem Lazzarone nach Hause. Sie aber ging auf die junge, kühl blickende österreichische Bayerin zu, richtete die feuchten, grossen blaugrauen, sieggewohnten Augen auf das süssgepuderte Gesicht und sagte tröstend mit der Stimme, die aus den Tiefen vielen Schicksals dunkel angetönt war: „Lass nur, Mädchen! Diese jungen Möpse wedeln Ihnen alle Tage noch. Aber mir, mir nur noch allzu kurze Zeit.“
Sie hatte auf dieser Reise oft schwermütige Anwandlungen, wenn es dunkel wurde oder wenn sie jüngere Frauen sah. Und dachte manchmal, sie werde die Geburt nicht überleben.
Über den Loiblpass.
Schon im Morgengrauen fuhr man weiter. Drei marmorne Wassermänner auf einem Brunnen sahen den drei Kutschen nach und sprachen untereinander: Habt ihr gemerkt, wie sie uns gegrüsst haben, zwei dürre Herren, einer lang und krank, einer rank und frank und eine dicke, süsse Lady? Sie haben es gespitzt, dass wir ihre guten Schutzgeister sind und sie von den Kamniker-Alpen wieder freundlichst an die See der Admiräle und nach England führen wollen.
Die Wagen tummelten von bannen aus der fruchtbaren Talweite und kamen über St. Veit, Medro, die Brücke bei Zwischenwasser und über die Sau in knapp vier Stunden nach Krainburg und wieder ins Gebirge. Abgeerntete Felder, volle Harpfen Klee und Buchweizen, der muntere Moschenizebach zur Linken, ansteigendes Gestein, dahinter fern der Obstgarten bei Tristava, angeleinte Ochsen an Berghalden. Wie eine Weihnachtskrippe lag Neumärktl unter der Strassenbiegung in der dunkelgrünen Talschlucht.
Die Pferde wurden gefüttert und auf acht für jeden Wagen vermehrt. Dann begann die Steigung auf bewundernswert angelegter Strasse im Zickzack hinauf zum Loiblpass, der Grenzscheide zwischen Krain und Kärnten.
Dort verschnauften die Tiere zwischen zwei kleinen Pyramiden, die nach Meinung der Hamilton zu Ehren des Siegers von Abukir errichtet seien. Nelson nickte ungläubig. Der Wind blies kräftig aus den Schlüften Österreichs und hob einen mächtigen Staub aus der Tiefe und machte die Ahorne und Lärchen und die schönen Blumen im dichten Almgras grau. Es duftete nach Baldrian und Arnika, nach Schlaf und Medizin. Man war müde, und Sir William begann wieder zu fiebern.
Von dieser windigen Höhe sah man weit zurück, aber von Italien war nichts mehr zu entdecken.
Die grossartige Passstrasse,
das freundliche Kärnten.
Da knallten die Postknechte mit der Peitsche, die Bremsblöcke waren angedreht, das Hündchen bellte, der Papagei schrie: „Avanti!“ Die Meerkatze knickerte. Und hü, holdrio und rumpumpel ging es abwärts zum Gasthof „Deutscher Peter“, wo man nachmittags gegen vier Uhr hielt. Die Postillone und die Pferde stillten ihren Durst und erleichterten sich, welch gutem Beispiel man folgte und auch etwas ass.
Und weiter ging es, und die Gegend wurde schöner, gewaltig schwangen die Brücken über die Schlünde, Giessbäche erschäumten, liebliche Blicke in Seitentäler eröffneten sich uns zu fernen Berghäuptern. Felsen und Matten wechselten, Hammerwerke, Heide. Rosa blühte der Buchweizen um ein kleines Dorf. Man trank Ziegenmilch. Eine kleine Kapelle, ein munter aufgeputztes Hochzeitspaar mit Hirtenbuben, die auf groben Flöten bliesen ... Flog vorüber, vorüber. Avanti!
Ein Kunstwerk, diese hohe Passstrasse! Und selbst Sir William, der sie schon kannte, allerdings bei schlechtem Wetter, fand sie grossartiger als die Bochetta von Novi nach Genua, höher als die Apennindurchfahrt bei Tolentino und Moncerata, romantischer als Nordwales und besser als alles in der Schweiz.
Und die drei Wagen, die tiefrote englische Kutsche und die gelb und schwarzen Thurn- und Taxisschen-Postkaleschen leuchteten schön unter den grauen Bergzacken vor den Almen und durch düster hohe Tannenwälder und vorbei an hübschen Landsitzen, Schlössern, Kapellen und Ruinen, an gelbem und an schwarzem Klee über die lange Brücke der Drau nach Kirschtheuer, wo man auf Fräulein Knights Rat zur Probe Kirschen kaufte, doch sie gar nicht teuer fand.
Die Dörfer wurden immer freundlicher und mit ihnen die Menschen. Die Stimmung beflügelte sich. Schon sah man in der Ferne Klagenfurt. Ein See wurde uferlängs passiert. Der Konsul erklärte, es sei der Werthersee, nach dem Haupthelden eines vor ein paar Jahren modernen Buches so geheissen. Bonaparte habe es sogar mit nach Ägypten gehabt. In jenem Schloss dort hinten habe die tragische Geschichte gespielt.
„Weiss ich“, sagte die Hamilton, obwohl sie wenig Ahnung hatte, „der Dichter war mal bei uns in Neapel. Er schenkte es uns. Fräulein Knight hat es wahrscheinlich gelesen. Wir wollen es gleich wieder kaufen.“ Und sie rechnete nach, dass es dreizehn Jahre her sei und erinnerte sich, dass der junge Mann für einen Dichter sehr wohlgepflegt gewesen sei. Aber sie mochte ihn nicht, ihre Wirkung auf ihn hatte sie nicht gross in Erinnerung. Er hatte einen ärgerlich kühlen Blick. Ein Advokatenjunge aus Frankfurt, hatte man ihr gesagt. Klug. Zu klug, um für sehr schöne Frauen in Betracht zu kommen.
Der Buchhändler in Klagenfurt.
Der Buchhändler zu Klagenfurt hatte den Werther nicht. Er sei nicht mehr gängig. Und der See heisse richtig Wörther See und habe nichts damit