Jurand saß auf einer Bank, die Arme auf die Lehne gestützt; als er Jagienkas Stimme hörte, wendete er sich sogleich zu ihr und grüßte sie mit einem Neigen seines Hauptes, das ganz weiß geworden war.
»Zbyszkos Knappe ist von Szczytno zurückgekehrt,« begann das Mägdlein, »und neue Kunde bringt er von dem Kaplane. Macko wird nicht hierher zurückkehren, zu Knäs Witold hat er sich aufgemacht.«
»Wie, er wird nicht zurückkehren?« fragte Pater Kaleb.
Nun erzählte sie alles, was sie aus Hlawas Munde vernommen hatte.
Sie erzählte von Zygfryd, wie er sich für den Tod Rotgiers rächte, von Danusia, welche der alte Komtur zu Rotgier bringen wollte, damit dieser das Blut der Unschuldigen trinke, und davon, wie Jurands Tochter unerwarteterweise durch den Henker beschützt worden war. Sie verschwieg auch nicht, daß Macko jetzt die Hoffnung hege, im Verein mit Zbyszko könne er Danusia finden, sie befreien und nach Spychow bringen. Aus diesem Grunde habe er sich sofort zu Zbyszko begeben und ihnen befohlen, in Spychow zu bleiben.
Während sie sprach, bebte ihre Stimme wie vor Traurigkeit und Kummer, und als sie geendigt hatte, herrschte eine Weile tiefes Schweigen in dem Gemache. Nur in den Lindenbäumen draußen im Hofe erscholl der Schlag der Nachtigallen, der durch die offenen Fenster in die Stube drang und sie mit süßem Klang erfüllte.
Aller Augen richteten sich auf Jurand, der mit gesenkten Lidern und gebeugtem Haupte dasaß und nicht das geringste Lebenszeichen von sich gab.
»Habt Ihr gehört?« fragte ihn schließlich Pater Kaleb.
Und er senkte den Kopf noch tiefer herab, erhob den linken Arm und deutete mit der Hand gen Himmel.
Das Licht des Mondes fiel auf sein Gesicht, auf seine weißen Haare, seine geschlossenen Augenlider, und aus diesem Gesichte sprach ein solches Martyrium, doch zugleich auch solch eine unendliche Ergebung in den Willen Gottes, daß allen dünkte, sie sähen nur eine von irdischen Banden befreite Seele vor sich, welche sich jetzt und für immer vom Leben losgelöst hatte, nichts mehr erwartete und nichts mehr erhoffte.
Wieder folgte tiefes Schweigen und wieder war nichts zu hören, als der Gesang der Nachtigallen, der den Hof und das Gemach erfüllte.
Da überkam Jagienka plötzlich großes Mitleid, etwas wie kindliche Liebe rührte sich in ihrem Herzen für den unglücklichen alten Mann, und unwillkürlich ihrem Impulse folgend, eilte sie auf ihn zu, ergriff seine Hand, küßte sie und benetzte sie mit ihren Thränen.
»Ich bin eine Waise!« rief sie aus der Tiefe ihres überströmenden Herzens, »ich bin kein Jüngling, sondern Jagienka aus Zgorzelic. Macko hat mich mitgenommen, um mich vor schlechten Menschen zu schützen, aber nun bleibe ich bei Euch, bis Gott Danusia zu Euch zurückführt.«
Jurand zeigte nicht die geringste Verwunderung, gerade wie wenn er geahnt hätte, daß er ein Mägdlein vor sich habe, er zog sie an seine Brust, während sie, unaufhörlich seine Hand küssend, in abgebrochenen Lauten mit thränenerfüllter Stimme fortfuhr: »Ich bleibe bei Euch, und Danusia wird zurückkehren. Dann werde ich nach Zgorzelic gehen … Gott wacht über die Waisen! – Mir haben die Räuber den Vater erschlagen, aber Euer Liebling ist am Leben und kehrt zurück. Gebe dies Gott der Allbarmherzige, gebe dies die heilige Gottesmutter, die Erbarmungsreiche!«
Nun kniete Pater Kaleb nieder und rief in feierlichem Tone: » Kyrie eleison!«
» Christe eleison!« antworteten der Böhme und Tolima im Verein.
Alle warfen sich auf die Knie nieder, denn alle sagten sich, diese Litanei werde nicht beim Herannahen des Todes, sondern zur Errettung geliebter Wesen aus Todesgefahr gesprochen. Auch Jagienka kniete nieder, Jurand glitt von der Bank herab auf die Knie und im Chore riefen sie: » Kyrie eleison! Christe eleison! Gott, Vater vom Himmel – erbarme Dich unser. Gott, Sohn, Erlöser der Welt – erbarme Dich unser!«
Die Stimmen der Menschen und ihr flehentlicher Ruf: Erbarme Dich unser! vereinigte sich mit dem wehmütigen Gesang der Nachtigallen.
Plötzlich erhob sich die zahme Wölfin von dem vor Jurands Bank liegenden Bärenfell, näherte sich dem offenen Fenster, stemmte sich mit den Vordertatzen gegen die Brüstung und ihre dreieckige Schnauze zum Monde erhebend, begann sie leise und kläglich zu heulen.
– – – – – –
Siebenter Teil.
Erstes Kapitel.
Obwohl nun der Böhme Jagienka geradezu anbetete und sein Herz ihn mehr und mehr zu der wunderbar schönen Tochter der Sieciechowa hinzog, dürstete doch sein jugendlicher kühner Geist vor allem nach Krieg und Streit. Trotzdem aber war er auf Mackos Befehl nach Spychow zurückgekehrt, wußte er doch, was ihm als Untergebener zukam, ja, er fand eine gewisse Befriedigung in dem Gedanken, daß er den beiden Frauen Schutz und Schirm sein könne. Als indessen Jagienka selbst erklärte, was auch ganz richtig war, sie bedürften in Spychow keinerlei Schutz, Hlawas Pflicht sei es daher vornehmlich, Zbyszko zur Seite zu stehen, begrüßte er diesen Ausspruch mit Freuden. Da er Macko zudem nur unmittelbar unterstand, konnte er dem alten Ritter gegenüber leicht die Entschuldigung geltend machen, seine rechtmäßige Herrin habe ihm befohlen, Spychow zu verlassen und sich zu Zbyszko zu begeben.
Jagienka jedoch ging in ihrem Thun von der Voraussetzung aus, ein solch mutiger, gewandter Knappe wie Hlawa könne Zbyszko von unendlichem Nutzen sein und ihn aus gar mancherlei Fährlichkeiten erretten. Hatte er dies doch schon bei der fürstlichen Jagd bewiesen, als Zbyszkos Leben durch den wilden Auerochsen ernstlich bedroht war. Und nun gar erst im Kriegsfalle, in einem Kriege an der litauischen Grenze, wie schätzbar mußten da seine Dienste sein. Hlawas ganzes Sinnen und Trachten war auch darauf gerichtet, in den Krieg zu ziehen. Als er daher zusammen mit Jagienka das Gelaß Jurands verließ, sagte er: »Allergnädigste Herrin, darf ich Euch um ein gutes Wort auf die Fahrt bitten!«
»Wie soll ich dies verstehen?« fragte Jagienka. »Willst Du Dich denn heute schon auf den Weg machen?«
»Nein, erst morgen mit Tagesanbruch, damit die Pferde heute Nacht noch rasten können. Gar lange währt die Fahrt nach Samogitien.«
»So gehe denn! Wird es Dir doch jetzt noch leichter fallen, den Ritter Macko einzuholen.«
»Das ist kaum anzunehmen. Der alte Ritter ist an die größten Mühseligkeiten gewöhnt und ist schon viele Tagreisen vor mir voraus. Außerdem will er den kürzeren Weg durch Preußen einschlagen, während ich durch Wüsteneien ziehen muß. Er kann auch allerwärts die Briefe Lichtensteins vorzeigen, während ich mir nur durch dieses hier freie Bahn verschaffen kann.«
So sprechend legte er die Hand auf den Griff seines Schwertes, Jagienka aber rief: »Seid ja stets auf Eurer Hut. Wenn Ihr Euch nun doch einmal auf den Weg machen wollt, müßt Ihr auf Erreichung Eures Zieles bedacht sein und alles thun, um nicht den Kreuzrittern in die Hände zu fallen. Aber auch in den Wäldern habt acht auf Euch selbst, denn dort hausen gar schlimme Götter, die von den Menschen verehrt wurden, bevor diese sich zum Christentum bekehrt haben. Wohl erinnere ich mich noch daran, wie die Ritter Macko und Zbyszko davon erzählt haben.«
»Auch ich erinnere mich deren Worte, doch jede Furcht liegt mir fern. Keine Götter, nein, armselige Wesen sind jene, ohne Macht, ohne Gewalt. Doch sowohl vor ihnen wie vor den Deutschen will ich mich hüten, wenn nun der Krieg ernstlich entbrennt.«
»So ist der Krieg noch nicht ausgebrochen? Sprich, was hast Du darüber bei den Deutschen gehört?«
Daraufhin zog der kluge Böhme sinnend die Brauen zusammen und ließ sich nach kurzem Schweigen also vernehmen: »Es herrscht Krieg, und doch ist dies kein rechter Krieg. Fleißig haben wir allenthalben Umfrage gehalten, und besonders der Ritter Macko ließ es sich sehr angelegen sein, denn gar schlau ist er, und mit jedem Deutschen kann er es aufnehmen. Entweder erfand er einen Vorwand, wenn