Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659837
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bediente, erwiderte Petrus, indem er das Wort amo gebrauchte: „Herr, Du weißt, daß ich Dich liebe“[32] ; und wiederum fragte der Herr, ob ihn Petrus liebe, wieder nicht amare, sondern diligere gebrauchend; aber Petrus wiederholte seine Beteuerung in der vorigen Weise, d. i. mit dem Worte amo. Bei der dritten Frage jedoch bediente sich Jesus selbst nicht mehr des Wortes diligo, sondern des Wortes amo, und der Evangelist fährt fort: „Da ward Petrus betrübt, daß er zum drittenmal zu ihm sagte: Liebst du mich“, und hier, in der Zusammenfassung der dreimaligen Frage des Herrn, gebraucht der Evangelist das Wort amo, obwohl sich dessen der Herr nur in einer Frage, in den beiden andern dagegen des Wortes diligo bediente. Daraus ersehen wir, daß der Herr mit diligere nichts anderes sagen wollte als mit amare. Petrus jedoch wechselte mit dem Ausdruck für dieselbe Sache nicht, sondern gebrauchte amo auch zum drittenmal, als er erwiderte: „Herr, Du weißt alles, Du weißt, daß ich Dich liebe“.

      Das glaubte ich deshalb heranziehen zu sollen, weil manche meinen, dilectio oder caritas sei etwas anderes als amor. Dilectio hätte nach ihnen einen guten, amor einen schlimmen Sinn. Daß ein derartiger Bedeutungsunterschied nicht einmal bei den weltlichen Schriftstellern obwaltet, steht fest. Mögen indes die Philosophen zusehen, ob und wie sie einen Unterschied zwischen diesen Wörtern machen wollen; ihr Schrifttum gibt deutlich zu erkennen, daß sie jedenfalls den amor, der sich auf gute Dinge und auf Gott selbst richtet, in Ehren halten. Es war nur darauf hinzuweisen, daß unser religiöses Schrifttum, das wir an Geltung und Ansehen über jedes andere stellen, unter amor nichts anderes versteht als unter dilectio und caritas. Und zwar haben wir bereits dargetan, daß auch amor in gutem Sinne gebraucht wird. Man könnte nun etwa noch meinen, daß amor nach der guten wie nach der schlimmen Seite, dilectio dagegen nur in gutem Sinne zu gebrauchen sei. Aber dagegen sprechen Schriftstellen, in denen diligere und dilectio ebenfalls in beiden Bedeutungen gebraucht ist, wie die Psalmstelle[33] : „Wer die Ungerechtigkeit liebt, haßt seine Seele“, und die Worte des Apostels Johannes[34] : „Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“, wo gar in derselben Stelle dilectio in gutem und in schlimmem Sinne vorkommt. Will man aber einen Beleg für den Gebrauch von amor in schlimmem Sinn [den in gutem Sinn haben wir schon nachgewiesen], so lese man die Schriftstelle[35] : „Denn es werden die Menschen sein se ipsos amantes, amatores pecuniae“. Der gerade Wille also ist gute Liebe, der verkehrte Wille schlechte Liebe. Liebe, die nach dem Besitze ihres Gegenstandes lechzt, ist Begierde, Liebe im Besitz und Genuß ihres Gegenstandes ist Lust; Liebe, die dem ausweicht, was ihr feindlich entgegentritt, ist Furcht, und Liebe, die das ihr feindliche Begegnis empfindet, ist Traurigkeit. All diese Gemütsbewegungen sind also schlecht, wenn die Liebe schlecht ist, gut, wenn sie gut ist. Das wollen wir aus der Schrift beweisen. Der Apostel verlangt[36] aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein; ferner[37] : „Meine Seele begehrt, Deine Satzungen zu verlangen“ oder vielleicht besser: „Meine Seele ist voll Verlangen danach, Deine Satzungen zu begehren“; oder[38] : „Die Begierde nach Weisheit führt zur Herrschaft“. Doch hat sich der Sprachgebrauch dahin ausgebildet, daß man unter Lust oder Begierde schlechthin ohne Beifügung des Gegenstandes nur Lust und Begierde im schlimmen Sinne versteht. Freude im guten Sinn ist gemeint in den Stellen[39] : „Freuet euch im Herrn und frohlocket, ihr Gerechten“; oder[40] : „Freude hast Du gegeben in mein Herz“; oder[41] : „Du wirst mir Freude geben vollauf durch Dein Angesicht“. Furcht in gutem Sinn findet sich bei dem Apostel erwähnt, wo er sagt[42] : „Mit Furcht und Zittern wirket euer eigen Heil“; oder[43] : „Sei nicht hoffärtig, sondern fürchte dich“; oder[44] : „Ich fürchte aber, es möchten, wie einst die Schlange mit ihrer Arglist die Eva verführt hat, so auch eure Gemüter verderbt werden und entfremdet der Keuschheit, die in Christo ist“. Schwieriger ist die Frage zu entscheiden, ob sich auch Traurigkeit in gutem Sinne findet; so nämlich sage ich lieber als Unbehagen[45] , wie Cicero diese Gemütsbewegung nennt[46] , oder als Schmerz, wie sie bei Vergil heißt in der Stelle[47] : „Dies ist die Quelle — — des Schmerzes, der Freude“; denn Unbehagen und Schmerz sind mehr für leibliche Zustände in Gebrauch.

      

       8. Von den drei Affekten, die sich nach den Stoikern im Geiste des Weisen finden unter Ausschluß des Schmerzes oder der Traurigkeit, wovon ein gesunder Geist nichts wisse.

      

      Was nämlich bei den Griechen eupaqeiai heißt, im Lateinischen bei Cicero constantiae, die vernünftigen Stimmungen der Seele, deren kennen die Stoiker nur drei, entsprechend den drei Gemütsbewegungen, die im Geiste des Weisen vorkommen, und zwar der Begierde gegenüber das vernünftige Verlangen [voluntas], der Lust gegenüber die Freude, der Furcht gegenüber die Vorsicht; dagegen der Bekümmernis oder dem Schmerz gegenüber, also jener Gemütsbewegung gegenüber, die wir zur Vermeidung aller Zweideutigkeit lieber als Traurigkeit bezeichnen, könne es im Geiste des Weisen keine entsprechende Stimmung geben. Das vernünftige Verlangen nämlich strebt nach dem Guten, sagen sie, und das eben tut der Weise; die Freude bezieht sich auf das erreichte Gute, und das Gute erreicht der Weise überall; die Vorsicht geht dem Übel aus dem Wege, und diesem muß der Weise aus dem Wege gehen; dagegen der Traurigkeit gegenüber könne es deshalb im Geiste des Weisen nichts geben, weil sie sich auf ein bereits eingetretenes Übel bezieht, den Weisen aber nach ihrer Lehre kein Übel treffen kann. Nur der Weise, so will es ihre Theorie, verlangt, ist frohgemut und übt Vorsicht; der Tor dagegen weiß nur zu begehren, Lust zu empfinden, sich zu fürchten und sich zu betrüben; und jene drei Stimmungen nennen sie die vernünftigen, diese vier dagegen die Gemütserregungen, perturbationes nach Cicero, sonst meist Passionen. Im Griechischen heißen die vernünftigen Stimmungen, wie gesagt, εὐπάθειαι, die vier Gemütserregungen πάθη. Wie ich nun mit möglichster Sorgfalt nachgeforscht habe, ob eine solche Ausdrucksweise in der Heiligen Schrift einen Rückhalt habe, stieß ich auf das Wort des Propheten[48] : „Es findet sich keine Freude bei den Gottlosen, spricht der Herr“; etwa in dem Sinne, daß das Böse bei den Gottlosen nur Lust, nicht Freude auslösen könne, weil sich zu freuen ausschließlich den Guten und Frommen zusteht. Und ebenso scheint die Stelle im Evangelium[49] : „Wonach immer ihr Verlangen habt, daß es euch die Leute tun, das sollt auch ihr ihnen tun“ dafür zu sprechen, daß man im schlimmen und schändlichen Sinne wohl begehren, aber nicht Verlangen haben könne. Allerdings haben manche Übersetzer mit Rücksicht auf den Sprachgebrauch das Wörtchen „Gutes“ beigefügt und übersetzt: „Alles Gute, wonach ihr Verlangen habt, daß es euch die Leute tun“. Sie glaubten vorbeugen zu müssen, daß man nicht Unehrbares von den Leuten verlange, etwa schwelgerische Gastmähler, um von schändlicheren Dingen zu schweigen, und nicht vermeine, dieses Gebot nun zu erfüllen, wenn man derlei auch den Leuten gewähre. Allein im griechischen Text, aus dem der lateinische geflossen ist, steht das Wörtchen „Gutes“ nicht da, sondern heißt es einfach: „Wonach immer ihr Verlangen habt, daß es euch die Leute tun, das sollt auch ihr ihnen tun“; ich denke, deshalb, weil in dem Ausdruck „Verlangen habt“ schon die Richtung auf Gutes angedeutet ist. Sonst müßte es heißen: „Was ihr begehret“.

      Indes darf man nicht überall unsere Sprechweise auf diese Sonderbedeutungen einschränken, zuweilen jedoch sind sie am Platz; und bei den [heiligen] Schriftstellern, vor deren Autorität die eigene Meinung verstummen muß, sind solche Sonderbedeutungen überall da anzunehmen, wo die richtige Auslegung zu keinem andern Ergebnis zu gelangen vermag; so in den Stellen, die ich als Beispiele teils aus einem Propheten, teils aus dem Evangelium vorgeführt habe. Wer wüßte auch nicht, daß die Gottlosen jauchzen vor Lust? Und doch „spricht der Herr: Es findet sich keine Freude bei den Gottlosen“. Das kann doch nur daher kommen, daß Freude im besonderen und engeren Sinn etwas anderes ist als Lust. Und ebenso liegt auf der Hand, daß zu Unrecht geboten wird, den Leuten all das zu tun, was man von ihnen für sich verlangt; damit würde ja gegenseitiger Ergötzung durch schändliche und unerlaubte Lust das Wort gesprochen; und gleichwohl ist es ein sehr heilsames und wohlbegründetes Gebot: „Wonach immer ihr Verlangen habt, daß es euch die Leute tun, das sollt auch ihr ihnen tun“. Wiederum nur deshalb, weil hier „Verlangen“ in einem besonderen Sinne gebraucht ist und nicht nach der schlimmen Seite gedeutet werden kann. Allein der sonst allgemein übliche Sprachgebrauch