5. Die Ansicht der Platoniker über das Wesen von Leib und Seele ist zwar erträglicher als die der Manichäer, aber doch auch nicht annehmbar, weil sie die Ursachen alles sittlich Bösen im Wesen des Fleisches sucht.
Man braucht also nicht unsere Sünden und Laster zur Schmach für den Schöpfer schuldzugeben der Natur des Fleisches, die in ihrer Art und an ihrem Orte gut ist, sondern dies ist nicht gut, unter Hintansetzung des guten Schöpfers nach einem geschaffenen Gut zu leben, ob man nun lieber nach dem Fleische oder nach der Seele oder nach dem ganzen Menschen lebt, der aus Seele und Leib besteht [weshalb er auch mit dem einen wie dem andern bezeichnet werden kann]. Denn wer als das höchste Gut die Natur der Seele preist und die Natur des Fleisches als ein Übel anschuldigt, der ist in seinem Streben und Meiden gleich fleischlich, obwohl er der Seele das Streben und dem Fleische das Meiden zugedacht hat; denn seine Meinung ist menschliche Torheit, nicht göttliche Wahrheit. Zwar verirren sich die Platoniker nicht soweit wie die Manichäer, daß sie die irdischen Körper gleich als das Wesen des Bösen verabscheuen würden, vielmehr führen sie alle Bestandteile, aus denen sich die sichtbare und betastbare Welt zusammensetzt, und dazu die Eigenschaften dieser Bestandteile auf Gott als Bildner zurück; jedoch lassen sie die Seele „durch die irdische Hülle sterblicher Glieder“[25] in der Weise beeinflußt werden, daß ihr daraus die Krankheiten der Begierde, Furcht, Lust und Bekümmernis erwachsen. Und in diesen vier Gemütserregungen, wie Cicero sie nennt[26] , oder Leidenschaften, wie man zumeist den griechischen Ausdruck hierfür wörtlich wiedergibt, ist die ganze Fehlerhaftigkeit des sittlichen Gehabens der Menschen beschlossen. Was soll aber dann des Äneas verwunderte Frage bei Vergil[27] , an den Vater gerichtet, der ihm von der Rückkehr der Seelen der Unterwelt in Leiber erzählt hat:
„Ist's denn glaublich, o Vater, daß einige Seelen zur Höhe
Wieder entschweben von hier und in träge Körper zurückgehn?
Welch unselige Gier nach Licht durchbebt diese Armen!“
Lebt diese unselige Gier immer noch von der „irdischen Hülle sterblicher Glieder“ her in den Seelen, trotz ihrer hochgepriesenen Reinheit? Sind sie nicht von aller derartigen Körperpest, wie er das nennt[28] , gereinigt, wenn sie „wieder zurück in Leiber zu wandern verlangen“?[29] Selbst angenommen also, es hätte seine Richtigkeit, was ganz und gar grundlos ist, mit der stets wechselnden Reinigung und Befleckung von unablässig hin- und wiederwandernden Seelen, so hätte man doch nicht sagen dürfen, daß den Seelen alle schuldbaren und sündhaften Regungen nur aus ihren irdischen Leibern erwüchsen; denn jene unselige Gier, um mit dem edlen Wortführer zu reden, rührt nach den Platonikern durchaus nicht vom Leibe her; sie zwingt vielmehr die von aller Körperpest gereinigte und außerhalb jeglichen Körpers befindliche Seele erst hinein in einen Leib. Demnach wird auch nach ihrem eigenen Geständnis die Seele nicht vom Leib allein beeinflußt in der Richtung auf Begierde, Furcht, Lust und Bekümmernis, sondern sie kann auch aus sich selbst durch solche Regungen erschüttert werden.
6. Die Beschaffenheit des Willens macht es aus, ob die von ihm beherrschten Gemütsbewegungen schlecht oder gut sind.
Es kommt indes auf die Beschaffenheit des Willens im Menschen an; ist der Wille verkehrt, so werden auch diese Regungen in ihm verkehrt sein; ist er dagegen gerade gerichtet, so werden sie nicht nur untadelhaft, sondern selbst lobenswert sein. Denn in allen Regungen ist Wille vorhanden, ja sie alle sind nichts anderes als Willensregungen. Begierde und Lust sind lediglich der Wille in der Bejahung dessen, was wir wollen; Furcht und Traurigkeit der Wille in der Verneinung dessen, was wir nicht wollen. Wenn wir bejahen durch Streben nach dem, was wir wollen, so heißt man das Begierde; und wenn wir bejahen durch Genießen dessen, was wir wollen, so nennt man das Lust. Und umgekehrt, wenn wir uns ablehnend verhalten gegen Dinge, deren Eintritt wir nicht wollen, so ist eine solche Willensregung Furcht; und wenn wir uns ablehnend verhalten gegen Dinge, die wider unsern Willen eingetreten sind, so ist eine solche Willensregung Traurigkeit. Und ganz allgemein wandelt und wendet sich der Wille zu Regungen so oder so, wie er angezogen oder abgestoßen wird je von den verschiedenen Gegenständen, die man anstrebt oder meidet. Deshalb braucht der Mensch, der nach Gott und nicht nach dem Menschen lebt, nur ein Freund des Guten zu sein; daraus ergibt sich dann von selbst, daß er dem Bösen seinen Haß zuwendet. Und einen „vollkommenen Haß“ schuldet er den bösen Menschen[30] , das will sagen: da niemand seiner Natur nach böse ist, sondern jeder Böse nur durch die Sünde böse ist, so darf der, welcher nach Gott lebt, weder den Menschen hassen wegen der Sünde noch die Sünde lieben wegen des Menschen, sondern muß die Sünde hassen und den Menschen lieben. Denn wenn die Sünde beseitigt ist, so bleibt nur solches zurück, was er zu lieben hat, und nichts, was er zu hassen hätte.
7. Die Worte amor und dilectio werden in der Heiligen Schrift unterschiedslos nach der guten und der schlimmen Seite gebraucht.
Denn wer sich vorgesetzt hat, Gott zu lieben, und nicht dem Menschen gemäß, sondern Gott gemäß den Nächsten zu lieben, wie auch sich selber, der wird ohne Zweifel wegen dieser Liebe als eines guten Willens bezeichnet. Diese Willensrichtung heißt in der Hl. Schrift meist Caritas, doch wird auch das Wort amor dafür