Ja, Alles hat er seinen Jüngern gegeben, da er zu ihnen sagt: „In meinem Namen werden sie Teufel austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden, Schlangen aufbeben, und wenn sie Tödtliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; den Kranken werden sie die Hände auflegen und diese werden genesen.“ Alles hat er ihnen also verliehen; aber da ist nicht von menschlicher Macht und Gewalt die Rede, wo nur die Gnade des göttlichen Geschenkes gilt.
Warum leget ihr denn nun die Hände auf und glaubet an den Erfolg der Segnung, ob etwa der Kranke doch vielleicht genese? Warum nehmt ihr an, daß Einige von dem Einfluß des Teufels durch euch könnten befreit werden? Warum taufet ihr. wenn durch Menschen überhaupt keine Sünden dürfen nachgelassen werden? In der Taufe findet doch auch der Nachlaß aller Sünden statt: was ist denn für ein Unterschied vorhanden, ob die Priester im Sakramente der Buße oder im Sakramente der Taufe dieses ihnen verliehene Recht für sich in Anspruch nehmen? Dasselbe Geheimniß ist hier, wie dort.
Du entgegnest mir, daß im Bade der Wiedergeburt die Gnade der Geheimnisse wirkt. Was wirkt denn in der Buße? Oder wirkt dort nicht auch der Name und die Kraft Gottes? Wie nun? laßt ihr die Gnade da eintreten, wo es euch gefällt, während ihr sie zurückweiset, wenn es euch beliebt? Aber das ist doch unerträgliche Anmaßung, nicht heilige Furcht, wenn euch diejenigen zuwider sind, welche Buße thun wollen. Ihr könnet wohl die Thränen der Büßenden nicht ertragen? Eure Augen werden wohl verletzt durch die Armuth der Bußgewänder, durch den Schmutz des Trauerkleides? Stolzen Auges, hochmüthigen Herzens saget ihr zarten Seelen mit unwilliger verächtlicher Stimme: „Rühre mich nicht an; denn ich bin rein.“
Der Herr sagt freilich zu Maria Magdalena: „Rühre mich nicht an;“ aber er, der doch ganz rein war, setzt nicht hinzu: „denn ich bin rein.“ Und du, Novatian, du wagst es, dich rein zu nennen? Wärest du rein in deinen Handlungen, dieses hochmüthige Wort allein machte dich unrein. Isaias rief einst: „Weh mir armen zerschlagenen Manne! ich bin ein Mensch, habe unreine Lippen und soll in der Mitte eines Volkes wohnen, das auch unreine Lippen hat.“ Du sagst: ich bin rein; und doch ist nach den Worten der Schrift nicht das Kind von einem einzigen Tage rein. David flehte: „Von meiner Missethat, Herr, reinige mich;“ und doch hat ihn, da er barmherzig war, die Gnade des Herrn so oft gerechtfertigt. Du willst rein sein und bist doch so ungerecht, daß du kein Erbarmen fühlst, daß du vielmehr den Splitter im Auge deines Bruders siehest, während du den Balken im eigenen Auge nicht beachtest? Jeder, der unbillig handelt, ist aber bei Gott unrein. Und was kann es Unbilligeres geben, als wenn man die Nachlassung der eigenen Sünde beansprucht, während man Anderen die Bitte abschlagen zu müssen glaubt. Was gibt es Ungerechteres, als dich selbst gerechtfertigt zu erachten, während du den Nächsten verurtheilst, obwohl du schwerere Verbrechen begehst.
Uebrigens wollte der Herr Jesus die Verzeihung unserer Sünden auch damals deutlich genug kundgeben, als er dem Johannes auf dessen Ausruf: „Ich sollte von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“ antwortete: „Laß es nur geschehen, denn es geziemt uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ So kam der Herr zu einem Sünder, da er doch selbst ganz ohne Sünde war; er wollte getauft sein, obwohl er keiner Reinigung bedurfte. Wer kann denn nun euch ertragen, die ihr keiner Reinigung durch die Buße zu bedürfen glaubt, weil ihr durch die Taufgnade gereinigt zu sein behauptet, gleichsam als wenn es für euch unmöglich wäre, zu sündigen?
Cap. 9
Freilich wendest du ein, daß geschrieben steht: „Wenn Mensch gegen Mensch sündigt, so wird man Fürbitte für ihn einlegen bei Gott; wenn aber ein Mensch wider Jehovah sündigt, wer mag dann bittend für ihn eintreten?“ Zunächst wiederhole ich, daß ich diesen Einwurf (von deinem Standpunkte aus) allenfalls würde hingehen lassen, wenn du lediglich die Abgefallenen von der Verzeihung ausschlössest. Dann aber frage ich: welche Bedenklichkeit bringt denn jene Frage? Es steht ja nicht geschrieben: „Niemand wird für ihn bitten,“ sondern: „Wer wird bittend eintreten?“ Damit wird nur die Frage aufgeworfen, wer in solchem Falle sich finden würde, der bittend eintreten könnte; keineswegs wird diese Möglichkeit ausgeschlossen.
So liesest du im vierzehnten Psalm [Hebr. Ps. 15]: „Herr, wer wird wohnen in deinem Zelte, oder wer wird ruhen auf deinem heiligen Berge?“ Damit ist nicht gesagt, daß Keinem dieses Loos zu Theil werde, sondern lediglich, daß nur der Bewährte, nur der Auserwählte dort wohnen und ruhen werde. Um zu beweisen, daß das der wahre Sinn der Worte ist, genügt es, die folgenden Worte des dreiundzwanzigsten Psalmes [Hebr. Ps. 24] anzuführen: „Wer wird hinaufsteigen den Berg des Herrn? oder wer wird stehen an seinem heiligen Orte?“ Der Psalmist will sagen: Nicht jeder gewöhnliche Mensch aus dem großen Haufen, sondern nur ein Mann von hervorragendem Lebenswandel und besonderem Verdienste wird hinaufsteigen. Das „Wer?“ ist nicht gleichbedeutend mit „Keiner,“ sondern mit „Irgend ein bestimmter.“ Darum antwortet David auf die Frage: „Wer wird hinaufsteigen?“ auch sofort: „Derjenige, welcher unschuldig an Händen und rein von Herzen ist.“ Anderswo heißt es: „Wer ist weise und versteht dieses?“ Soll denn damit gesagt werden, daß Keiner es verstehe? Im Evangelium aber heißt es: „Wer ist der treue und kluge Haushalter, den der Herr setzen wird über sein Gesinde, damit er zur rechten Zeit ihnen den angemessenen Unterhalt reiche?“ Und um zu zeigen, daß er hier von Jemanden rede, der allerdings vorhanden sei, fügt der Heiland hinzu: „Selig ist derselbe Knecht, den der Herr, wenn er kommt, also thun findet.“ Dahin gehört, meines Erachtens, auch jenes Wort: „Wer, o Gott, ist dir gleich?“ Darauf ist nicht zu antworten: schlechthin Keiner; denn der Sohn ist ja der Abglanz des Vaters.
In gleicher Weise ist auch das Wort zu fassen: „Wer wird bittend für ihn eintreten?“ Es heißt: Jemand muß von besonders heiligmäßigem Lebenswandel sein, wenn er für den eintreten will, der gegen den Herrn gesündigt hat. Je größer die Schuld ist, desto würdigere Fürsprecher muß man suchen. Nicht irgend ein Beliebiger aus der Menge, sondern Moses selbst bat für das Volk der Juden, als sie uneingedenk des geschlossenen Bundes das goldene Kalb anbeteten. Befand sich nun Moses damals im Irrthum? Gewiß nicht, denn er hat das, um was er bat, verdient und erhalten. Was sollte auch eine solche Liebe nicht erlangen, die sich selbst für das Volk darbietet, mit den Worten: „Wenn du ihnen die Sünde verzeihest, wohl dann; wenn nicht, dann tilge mich aus dem Buche des Lebens.“ Da sehet ihr, daß er nicht als ein gezierter ängstlicher Fürsprecher mit sich zu Rathe geht, ob darin etwa eine Beleidigung liege: was Novatian zu fürchten behauptet. Er denkt an das ganze Volk, an sich denkt er nicht, und so fürchtet er auch nicht, Gott dadurch zu beleidigen, daß er das Volk von der Gefahr der Beleidigung Gottes befreit.
Mit Recht steht also geschrieben: „Wer wird bittend für ihn eintreten?“ d. h. Jemand, wie Moses, der sich selbst für die Schuldigen darbot; Jemand, wie der Prophet Jeremias, dem der Herr gesagt hatte: „Bitte nicht für jenes Volk,“ und der doch bat und Verzeihung erwirkte. Auf die Fürbitte des Propheten nämlich, und bewegt durch das Flehen des erhabenen Sehers, wendete sich der Herr wieder zu Jerusalem, das inzwischen auch Buße für seine Vergehungen gethan hatte, da es flehte: „Und nun, allmächtiger Herr, Gott Israels, eine Seele in Aengsten und ein beklommener Geist rufet zu dir! Höre, o Herr, und erbarme dich; du bist ja ein barmherziger Gott, erbarme dich unser, denn wir haben gesündigt.“ Der Herr befahl dann, die Trauergewande abzulegen und den Bußthränen zu wehren. So steht ja geschrieben das Wort des Herrn: „Zeuch aus, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und Qual und thue an die Zier und Ehr’ jener ewigen Herrlichkeit, die Gott dir verleiht.“23
Cap. 10
Solche Fürsprecher muß man also bei dem schwersten Vergehen suchen. Wenn dagegen gewöhnliche Menschen aus dem Volke bittend eintreten, so werden sie freilich keine Erhörung finden.
Deßhalb kann die fernere Frage, die ihr aus dem Briefe des heiligen Johannes herübernehmt, keinerlei Bedenken erregen. „Wer da weiß,“ sagt der Apostel, „daß sein Bruder sündige, aber nicht zum Tode, der bitte, und es wird dem, der nicht zum Tode sündiget, das Leben gegeben