Darum also verzieh der Apostel, und er verzieh nicht bloß, sondern er wollte auch, daß die Liebe zu dem gebesserten Sünder sich wieder stärke. Derjenige, welcher in Liebe ergeben ist, der kennt keine Härte, der kennt nur Milde. Auch verzieh er nicht bloß für sich selbst; er wollte auch, daß Alle ihm verzeihen möchten, und er erklärte ausdrücklich, daß er um der Anderen willen verziehen habe, damit nicht Viele wegen des Einen länger trauerten. „Wem ihr etwas verziehen habt, dem habe auch ich verziehen: denn was ich vergeben habe, das geschah euretwillen an Christi Statt, damit wir nicht vom Satan übervortheilt werden; denn seine Anschläge sind uns nicht unbekannt.“ Der kann wohl auf der Hut sein vor der Schlange, welcher ihre listigen Anschläge nicht verkennen kann, deren ja so viele sind, um uns zu schaden. Die Schlange will immer schaden, immer täuschen, um uns den Tod zu bringen: aber wir müssen Sorge tragen, daß unser Heilmittel nicht zum Triumphe für den Satan werde. Wir werden überlistet, wenn Jemand in zu großer Trauer zu Grunde geht, während er durch erbarmungsvollen Nachlaß gerettet werden konnte.
Damit wir aber nicht im Zweifel seien, daß er von Getauften redet, fügt er hinzu: „Ich habe euch geschrieben, daß ihr mit Unkeuschen keine Gemeinschaft haben solltet; das meinte ich aber nicht von den Unkeuschen dieser Welt; denn sonst müßtet ihr aus der Welt gehen. Ich schrieb euch vielmehr, da keine Gemeinschaft zu haben, wenn einer, der Bruder heißet, ein Unkeuscher oder ein Geiziger oder ein Götzendiener ist.“ Verbindet er nun diese verschiedenen Arten von Sünden mit einander behufs Duldung der Strafe, so wollte er auch, daß Alle in Beziehung zur Sühne stünden. „Mit einem solchen“, sagt der Apostel, „sollet ihr nicht einmal essen.“ Wie strenge ist der Apostel gegen die hartnäckigen und verstockten Sünder, wie nachsichtig gegen die, welche um Verzeihung bitten! Gegen jene wird die Beleidigung, die dem Herrn zugefügt würde, aufgerufen, diesen kommt die Anrufung Christi zu Hilfe.
Nun könnte Jemand dadurch gestört werden, daß geschrieben steht: „Ich habe diesen Menschen dem Satan zum Verderben des Fleisches übergeben.“ Man könnte sagen: Wie mochte derjenige Anspruch auf Verzeihung haben, dessen Fleisch ganz dem Verderben geweiht war, da es doch offenbar ist, daß der Mensch nach beiden Seiten erlöset ist und gerettet wird: die Seele nicht ohne den Leib, und der Leib nicht ohne die Seele? Während beide durch die Theilnahme an ihren Werken mit einander verbunden sind, sollen sie nun ohne gleiche Theilnahme an Lohn und Strafe sein? Wenn Jemand so spricht, so möge ihm zur Antwort dienen, daß unter „dem Verderben des Fleisches“ hier nicht die vollendete Vernichtung, sondern die Züchtigung des Fleisches zu verstehen ist. Wie nämlich derjenige, welcher der Sünde abgestorben ist, Gott lebt, so gehen die Lüste des Fleisches zu Grunde, und es stirbt das Fleisch seinen Begierden ab, damit es wieder zur Keuschheit und zu den anderen guten Werken erstehe.
Woher können wir ein passenderes Beispiel nehmen, als von unserer gemeinsamen Mutter? Die Erde, von der wir genommen sind, erscheint ja auch, wenn ihre Bebauung zeitweise unterbleibt, öde und verlassen; sie ist dann für die Wein- und Oelpflanzungen, denen sie sonst diente, gestorben: aber ihren Lebenssaft, ihre Seele gleichsam, verliert sie nicht. Tritt die Bebauung wieder ein, werden die Saatkörner, zu deren Aufnahme sie geeignet erscheint, ihr wieder anvertraut, so ersteht sie wieder, nur reicher an Früchten. Es ist also nicht etwas so ganz Fremdes, wenn auch von unserem Fleische in diesem Sinne gesagt wird, daß es verderbe: es soll eigentlich nur gebändigt, nicht vernichtet werden.
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