Von den Filmgesellschaften erhielt Spoerl nur Absagen. Die Ufa verwies – wie andere Firmen – darauf, dass »von den zuständigen amtlichen Stellen sicherlich Zensurbedenken erhoben werden dürften«.5 Es blieb nur Olaf Fjord, der außer einem schönen Briefpapier (eine Kogge unter vollen Segeln) nicht viel zu bieten hatte. Fjord und Spoerl schlossen einen Optionsvertrag, den der Produzent nur in Raten zahlen konnte. Selbst um geringe Beträge wurde zwischen beiden heftig gerungen, denn auch Spoerl war stets in Geldnöten. Seine Rechtsanwaltskanzlei lief nicht, so hatte er sich als Schriftsteller versucht und einen Roman geschrieben, für den er die Hilfe eines – ungenannten – professionellen Co-Autors in Anspruch nehmen musste: »Die Feuerzangenbowle« (1933).6 Wichtige Termine mussten verschoben werden, weil schlicht das Reisegeld fehlte. »Ich habe versucht, mir bei der Ufa etwas Geld aufzutreiben«, gestand Fjord; doch sei er vertröstet worden und könne so die Verlängerungsgebühr für die Option erst eine Woche später leisten.7
Der Maulkorb (1937/38, Erich Engel)
In den folgenden Wochen wurden fast täglich Briefe zwischen Düsseldorf (Spoerl) und Berlin (Fjord) gewechselt. Während der Autor mit der Ausarbeitung von Roman und Drehbuch beschäftigt war, wurde der Produzent aktiv. Er sprach mit dem Dramaturgen Edlef Köppen, um den Tobis Europa Verleih für das Projekt zu gewinnen, und traf den Schauspieler Paul Henkels, den er gern in der Hauptrolle des Staatsanwalts von Treskow gesehen hätte. Sie diskutierten über das junge Liebespaar, die Figur des Assessors, vor allem über die Frage, warum der Oberstaatsanwalt eingreift: Ein Skandal muss im Interesse der Staatsraison vermieden werden. »Wenn dieser Gedanke gut durchgebracht wird, so haben wir gegen alle Zensurbedenken ein grosses Plus, denn es handelt sich um die Staatsraison, um den Staatsgedanken«, berichtete Fjord Spoerl.8
Bei allen Überlegungen, wie man das Zensurproblem umgehen könnte, stand eines nie zur Debatte: »Ich bin der Auffassung, dass das Thema, wenn es entpolitisiert wird, nicht mehr so reizvoll bleibt«, schrieb Fjord. »Gerade das politische Moment in diesem Stoff ist das Nette daran und ich glaube auch, dass Minister Dr. Goebbels, wenn ihm die Sache richtig vorgetragen wird, durchaus dafür Verständnis aufbringt, umsomehr, als er gerade in einer seiner letzten Reden betont hat, dass er die deutsche Satyre wünsche.«9 Um den allerorten geäußerten Zensurbedenken zu begegnen, benötigte man eine Unbedenklichkeitsbescheinigung »von höchster Stelle«, möglichst von Goebbels persönlich.
Der Weg dahin führte über die Redaktion des Angriff. Spoerl wandte sich an den Hauptschriftleiter Hans Schwarz van Berk. Er musste nicht sehr lange warten. »Dr. Goebbels hat das Filmmanuskript, wie ich höre, wohlwollend an den Reichsfilmdramaturgen Willi Krause weitergegeben, mit dem ich heute telefonierte. Er ist der Meinung, dass sich aus der Geschichte etwas machen lässt, hat aber Änderungsabsichten. Er bittet Sie, sich mit ihm in Verbindung zu setzen und mit ihm einen Termin auszumachen, bei dem er mit Ihnen und dem interessierten Produzenten sich über die Sache aussprechen könnte.«10 »Damit wäre also die erste Klippe überstanden«, kommentierte Spoerl. Mit Krause – bis Januar 1934 Schriftleiter des Angriff – und seinen Änderungsabsichten werde er schon zurechtkommen.
Am Nachmittag desselben Tags meldete Spoerl sich noch einmal bei Fjord. Man sollte vielleicht als juristischen Fachberater Regierungsrat Alfred Klütz, den Leiter der Justizpressestelle, hinzuziehen. »Es wäre zu überlegen, ob Sie bei der telefonischen Anfrage bei Krause nicht von vorneherein ganz dumm fragen, ob auch Herr Klütz zugezogen würde. Dadurch bringen Sie ihn wenigstens auf die Idee und Herrn Krause wird es vielleicht ganz angenehm sein, die Verantwortung noch mit jemanden teilen zu können.«11 Und so geschieht es. Klütz hatte Einwände, die leicht zu entkräften waren (so mussten z.B. die Kostüme ganz eindeutig darauf hinweisen, dass die Geschichte um die Jahrhundertwende irgendwo in der Kleinstadt spielt). Überraschend kamen von der Filmkreditbank ebenfalls Einwände, doch auch die ließen sich ausräumen.
Mitte April 1935 sprang die Europa-Film ab, mit der Fjord seit langem im Gespräch war; zu befürchten war, dass die Absage auch für die beiden anderen Konzernfirmen N.D.L.S. und ROTA galt. Die Terra bzw. das Bankhaus Sponholz zogen sich ebenfalls zurück: »Zensurangst«.12 Auch andere Filme, »die alle Zensursicherheiten und Mitarbeit von offiziellen Stellen hatten«, seien verboten worden. Die Vorzensur war gerade wieder abgeschafft worden, doch Fjord glaubte, ohne ein Gutachten des Reichsfilmdramaturgen – Kosten: RM 2000 – nicht weiterkommen zu können.13
»Lieber Herr Fjord, Sie müssen Ihre Schreibmaschine mal nachsehen lassen, die Ziffern sind offenbar nicht in Ordnung«, beantwortete Spoerl das Honorarangebot, das ihm der Produzent gemacht hatte: 3000 Reichsmark für Idee und Mitarbeit am Drehbuch.14 »Mein lieber Doktor Spoerl! Sie sind total übergeschnappt und zwar ungefähr so, wie ich Sie eingeschätzt habe«, begann die Retourkutsche.15 Da Spoerl seine Drehbuchmitarbeit zur unerlässlichen Bedingung gemacht habe, werde Fjord noch einen zweiten, eventuell dritten, ja vierten Drehbuchautor hinzuziehen und bezahlen müssen. Zudem rechne er damit, »dass Sie mich in den nächsten Monaten vollkommen fertig machen werden, so bin ich gezwungen, Ihnen das schon jetzt abzuziehen, was ich für meine Erholung später notwendig habe«. So launig die Auseinandersetzung zunächst klang, beim Geld verstand der Humorist keinen Spaß. Man kam nicht zusammen, die Option verstrich ungenutzt.
Nach monatelangem Schweigen kam ein letzter, recht kleinlauter Brief von Olaf Fjord. »Lieber Spoerl! Ich bin keine nachtragende Natur, sonst hätte ich Ihnen beim MAULKORB dazwischen gefunkt. Ich war über den Vorgang vollkommen unterrichtet. Dass die Sache beim Syndikat so schnell gegangen ist, verdanken Sie meiner seinerzeitigen Vorarbeit beim Syndikat. Ich weiss auch, dass Sie RM 12.000,– erreicht haben, wozu ich Ihnen gratuliere.«16
Produktionsprobleme
Mit Tobis Tonbild Syndikat wurde Spoerl handelseinig. Für die Weltverfilmungsrechte am Roman erhielt er 8000 Reichsmark, für das Drehbuch, wobei ihm ein Mitarbeiter an die Seite gestellt werden sollte, nochmals 4000 Reichsmark.17 Spoerl hatte erklärt, dass er »selbständig zur Ausarbeitung des Drehbuches nicht in der Lage sei, weil ich noch kein solches geschrieben habe«.18 Dies sollte F. D. Andam bewerkstelligen, der jedoch wegen anderweitiger Verpflichtungen nie die Zeit dazu fand. Dann sollte Hans H. Zerlett diese Aufgabe übernehmen. Es gab einige Besprechungen, doch keine wirkliche Zusammenarbeit. Mit Verweis auf seinen Vertrag verwahrte sich Spoerl dagegen, dass sein Drehbuch als »Vorentwurf dann von Herrn Zerlett in beliebiger Weise umgearbeitet wird und ich bei der endgültigen Fassung nicht mehr zugezogen werde. Ich bin zum mindesten gleichberechtigter Mitarbeiter, nicht Vorarbeiter.«19
Während