Franziska von Hohenheim - Die tapfere Frau an der Seite Carl Eugens. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711708514
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das Zettelchen mit seinen Versen, das sie im Schmuckkasten verwahrte.

      Hier in Pforzheim mußte sie den ganzen Tag gesammelt und gefaßt sein, überlegte Befehle geben und sich halten wie die Dame eines großen Hauswesens, sicher, gelassen, ohne Gefühl fast … und sie war sechzehn Jahre alt.

      Leutrum ließ sie viel allein. Manchmal kam er unangemeldet von der Jagd oder aus der Residenz zurück, mit mißtrauischen Augen. Sie fürchtete sein Auflauern; oft horchte sie lange, ehe sie einschlief, auf ein anschwellendes Wagenrasseln und zuckte zusammen, wenn das Hufgetrappel vor dem Haus anhielt.

      Im Winter, wenn Schnee und Nässe auf den Gassen alle Laute verschlangen, saß sie noch gegen Mitternacht wach, in den Nachtrock gewickelt, und las in einem geistlichen Buch.

      Jetzt, im frühen Februar, waren die Nächte feucht und stürmisch. Sie sehnte sich nach Schlaf, dem gesunden Kinderschlaf, den sie in ihrer Heimat ungesucht genossen hatte. Sie wünschte sich wenigstens ein Gespräch, zumindest einen Bericht, da sie doch von allem ferngehalten wurde, was ihr Louise tröstlich und ausgleichend vorgestellt hatte: von den Feiern bei Hof, von den Bällen und Redouten und Theaterabenden, die sie früh verachten gelernt hatte nach den Schilderungen des Vaters und die doch ihre Neugier lockten.

      Leutrum nahm teil daran, mit einem ihr unverständlichen Eifer betrieb er alles, was den Hof anging; und dabei schien es ihm kaum Vergnügen zu machen. Vielleicht war es nur eine immer wiederholte Probe auf seinen Einfluß dort – und eine immer neue Enttäuschung, ging es ihr durch den Kopf.

      Diesmal gab es eines der „großen Wiegenfeste“, eine Maskerade, wie Leutrum beiläufig erwähnt hatte, zu Ehren des „unsterblichen Carl“ und zum Lob seiner Geburt … Sie stellte sich den wirbelnden Glanz vor, den unübersehbaren Schimmer und Flitter, und dazwischen den Mann im violetten Schoßrock, gequält und quälend: den ihr vom Vater und von Gott verordneten Gemahl. Sie nahm das Buch wieder zur Hand, Gellerts „Geistliche Oden und Lieder“. Ächzend fing sich der Wind im Kamin. Die Kerze knisterte. Vor ihren Füßen schlief der große Setter, schnaufte im Traum und warf den dicken Kopf zur Seite. Er roch scharf, wie Hunde mit nassem Fell. Franziska bückte sich und rührte vorsichtig an seinen starken haarigen Nacken, ob er feucht sei. Jäh sprang das Tier auf die Füße und fauchte sie zähnefletschend an.

      „Tyras!“ schrie sie, „kennst mich nimmer?“

      Er schob sich schräg an ihren Stuhl, im Halblicht funkelten seine Pupillen, als glühten sie. Franziska zog die Füße auf den Sitz. Jetzt legte der Hund die Ohren flach, die steingelben Augen blieben unverändert auf sie gerichtet. „Komm doch her, du“, versuchte sie zu locken, wie sie das bei der Dogge zu Haus getan hatte, wenn sie knurrte. Aber dieser hier, Leutrums Eigentum, blieb unerreichbar, fremd. „Er ist verdorben“, dachte sie schaudernd, „vielleicht hat er ihn heimlich geprügelt und geplagt, und er hat mich nie als zugehörig empfunden.“

      Tappend kreiste das Tier um sie, näher jetzt, und sträubte die Rückenhaare.

      Da knarrte die Treppe. Der Hund drehte sich um und trabte zur Tür, die Leutrum von draußen aufriß. Franziska sank im Stuhl zusammen.

      Leutrum jagte den Setter in die Ecke, dann kam er langsam an ihren Sessel heran. „Du brauchst dich nicht zu fürchten“, sagte er mit unsicherer Stimme, seine trockene Hand lag auf der ihren, sie sah erstaunt hoch; sein Hals war gestreckt, die schmalen Lippen klafften! „Nicht fürchten“, wiederholte er, „komm doch, bitte!“

      Sie sah ihn starr an. „Komm her, du!“ hatte sie eben selber den Hund gelockt, während die Angst sie würgte. Hatte der da auch Angst? Wovor? Vor ihr, ihrer Abwehr? Sie kannte diesen scheuen Ton und hatte auf einmal Mitleid. „Du hast’s ihn nicht geheißen?“ flüsterte sie, bereit ihm zu glauben. Vor ihrem unfreien Lächeln schoß ihm der Zorn ins Gesicht. „Und wenn – wenn ich’s einen Hund heißen könnte, einen Funken aus meiner Frau zu schlagen, und wär’s vor Schrecken!“, keuchte er, „einen Funken, ein Echo aus deinem stumpfen, lahmen, faden Gleichmaß! Nichts, nichts! Man hat mir gerühmt, du seist lustig, voller Einfall und Narretei, was Blitzhelles hättest du, was Neckisches und Springendes und … und … bei mir …“

      Franziska stand auf und strich über ihren Rock. „Gut Nacht, Reinhard“, sagte sie und ging ihm voraus, „ich geb’ mir ja Müh’, ich bin deine Frau.“ Leutrum machte keine Anstalten, seine Frau dem Herzog vorzustellen. Sie selber fragte nicht und ließ es bei seinen wortkargen Auskünften. Natürlich hörte sie trotzdem immer wieder von den „superben Lustbarkeiten“, sah Wagen und Tragsessel vor ihren Fenstern, die zu den Pforzheimer Banketten hasteten, erfuhr durch die Dienerschaft, was es in Ludwigsburg an Sensationen und modischen Extravaganzen gäbe. Schließlich erkundigte sie sich bei ihrem Friseur. Joseph Flasch schwatzte angenehm und machte dezente, beinahe überzeugende Komplimente, die Franziska Wohltaten; er kam aus Ludwigsburg und war an den Umgang mit den Damen des Adels gewöhnt.

      „Flasch“, fragte sie eines Morgens, während er mit der Brennschere hantierte, „hat Er die Toscani schon gesehen? Man sagt, sie sei über die Maßen reizend!“

      „Madame“ – Flasch zupfte an einer Locke – „die Toscani darf man nicht mehr als reizend ansprechen, seit sie hinter der Bonafini zurücktreten mußte! Das ist sogar schon eine ganze Weile her.“ „Ach, Bonafini? Den Namen hab ich doch schon gehört? Ich vergaß … Was ist eigentlich mit der?“ „Eine Sängerin italienischer Abkunft, die Serenissimus seit dem Frühling schon mit seiner Gunst beehren.“

      „Gunst? Er meint doch nicht?“

      „Oh, Madame …“, seufzte Flasch, erschüttert über ihre Unschuld. Franziska sagte nichts mehr; sie sah mit gesenktem Kopf von unten her in den Spiegel, wo sich Flaschs hagere Figur hinter ihrer rosa Morgenrobe dunkel abhob. Er flüsterte: „Die erwählten Damen tragen blaue Schuhe …“

      Franziska wurde rot; sie wollte sich nicht vorstellen, daß ein Souverän, ein würdiger Vater seines Volkes, ein von Gott berufener Regent, ein … Schwabe sich wie ein Pascha benehmen sollte oder wie der französische Ludwig. Aber Flasch fühlte sich durch das Vertrauen der Baronin geehrt, er konnte der Versuchung nicht widerstehen, seine Hintertreppengeschichten loszuwerden, zumal ihn die Reaktion der naiven Frau belustigte. Serenissimus habe mehrere natürliche Söhne beim Heer, schwatzte er weiter, man rede von sechsen, und eine Anzahl Töchter im Lande. Auch seien Mädchen aus angesehenen Häusern einfach weggeholt und die Väter nachher dekoriert worden. Der Minister Graf Montmartin und sein Intimus Wittleder seien da brauchbare Instrumente.

      „Ich kann mir das nicht länger anhören, Flasch“, sagte Franziska endlich erschöpft, „von den Gefangenen und den Verkäufen der Ämter habe ich erfahren, wenn auch nicht durch meinen Gemahl … der sagt nie etwas davon und will auch nicht darüber ausgeforscht werden. Aber jetzt muß ich ihn direkt fragen, ohne Umschweife! Wie soll ich denn an so einen Hof gehen und einen Knicks machen, wenn ich das weiß?“

      Flasch schwieg erschrocken. „Euer Gnaden“, flüsterte er sehr förmlich, „vergeben mir Euer Gnaden gütigst, aber der Herr Baron von Leutrum dürfen in keinem Fall auch nur einen Schimmer von dem erfahren, was ich – etwas übertrieben und ausgeschmückt – der gnädigen Frau erzählt habe. Der Herr Baron sind Hofbeamter und ich …“

      „Ach, Flasch, das laß Er meine Sorge sein, er braucht ja nicht zu ahnen, wer mir’s gesagt hat.“ „Madame, er wird es bald genug herausbringen, wenn Sie auch nichts verraten …“ Flasch trat bedrückt beiseite. „Wenn mich die gnädige Frau je ein bißchen geschätzt haben, meine treuen Dienste, dann bitt ich flehendlich um Ihr Schweigen! Mir steht noch das verzweifelte Gesicht meines Coiffeurmeisters vor Augen, des Reich, den man ohne Verhör und Verhandlung im September 56 hat verschwinden lassen, zuerst auf den Hohentwiel und danach auf den Asperg; er ist seit ein paar Jahren frei; ich weiß aber nicht, ob er noch lebt.“

      „Der Reich?“ fragte Franziska erschreckt, „und warum ist der verhaftet worden?“

      „Ich darf nicht noch mehr sagen, Frau Baronin. Ich fürcht, ich hab mich so schon ins Unglück geredet, der Reich hat damals nichts anderes getan als ich eben.“

      „Flasch“, sagte Franziska