Mein Vater, der Vogel. Christian Futscher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Futscher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783707607291
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er zu mir: »Du darfst nie vergessen: Wenn wir so klein wie Mäuse wären, würde Billie uns fressen!«

      Das Fahrrad

      Alle meine Freunde hatten Eltern, die ein Auto besaßen, manche sogar zwei davon.

      Meine Mutter besaß nicht einmal einen Führerschein. Den hatte mein Vater zwar irgendwann in seiner Jugend gemacht, aber er hat nie ein eigenes Auto besessen. Manchmal hat er sich eines ausgeliehen.

      Mein Vater besaß nur ein Fahrrad und oft nicht einmal das, weil ihm immer wieder eines gestohlen wurde.

      Als ihm das dritte Fahrrad gestohlen worden war, sagte er zum Fahrradhändler: »Ich hätte gerne eines, das mir nicht gestohlen wird.«

      Der Händler führte ihn zu einem Fahrrad im hintersten Winkel des Verkaufsraumes, zeigte mit dem Finger darauf und sagte: »Das hier stiehlt Ihnen bestimmt niemand!«

      Das Fahrrad, das dort in der Ecke stand, war nicht nur uralt, sondern schrottreif und billig. »Ausgezeichnet!«, rief mein Vater und kaufte das Fahrrad, auf dem großspurig stand: Toscana Sport de Luxe.

      Mit Luxus hatte der billige Drahtesel gar nichts zu tun, aber mein Vater war begeistert. Er meinte, das gute Stück sehe so ähnlich aus wie das Fahrrad, das er als Kind gehabt hatte.

      Meiner Meinung nach sah es nur alt und schäbig aus, außerdem machte es scheppernde Geräusche, die irgendwie ungesund klangen – in meinen Augen und Ohren war es ein krankes Fahrrad, kurz vor dem Abkratzen.

      Noch ein paar Worte über dieses »Prachtexemplar«:

      Es war rostig und hatte kein Licht, nicht einmal eine Rückblende. Der Ständer war abgebrochen, er war nur noch ein Stummelständer. Wollte mein Vater das Fahrrad abstellen, musste er es irgendwo anlehnen. Oft lag es am Boden, wenn er zurückkam.

      Einmal glaubte er, sein Fahrrad sei schon wieder gestohlen worden, das geliebte Toscana Sport de Luxe, an dem er wirklich sehr hing.

      Er war fest davon überzeugt, dass er es vor dem Haus bei einem Verkehrszeichen angekettet hatte, jetzt war es weg.

      Das war im Herbst.

      Im Frühjahr fand er es wieder.

      Es stand zwischen anderen Fahrrädern in der Nähe der U-Bahn-Station, die er oft benützte, und war angekettet. Nur sah es jetzt nach dem langen Winter noch schäbiger aus.

      Kein Mensch war auf die Idee gekommen, es zu stehlen.

      Einkaufen

      Meine Mutter wollte etwas Bestimmtes kochen, aber dafür fehlten ihr zwei Zutaten.

      Sie sagte zu meinem Vater: »Könntest du mir bitte Petersilie und Sauerrahm besorgen!«

      Bevor er die Wohnung verließ, fragte er zur Sicherheit noch einmal nach: »Brauchst du wirklich nichts anderes, nur Schnittlauch und Schlagrahm?«

      Reisen

      Einmal klebte mein Vater einen großen Zettel an die Schlafzimmertür …

      Ich wusste, dass er sich am Morgen, kaum hatten meine Mutter und ich die Wohnung verlassen, gern wieder ins Bett legte. Meine Mutter ging zur Arbeit, ich zur Schule.

      Ich habe Vater oft darum beneidet, dass er zu Hause bleiben konnte.

      Vom Frühling bis in den Herbst arbeitete er als Kellner, im Winter hatte er monatelang frei, das heißt, er war arbeitslos. Er hatte nur wenig Geld, dafür viel Zeit. Ich weiß nicht, wie oft ich von ihm den Spruch gehört habe: »Zeit ist mir wichtiger als Geld.«

      Meine Mutter hätte gern öfter Urlaub gemacht, sie liebte es, zu verreisen, aber mein Vater wollte nie so recht. »Ich bin kein Urlauber!«, sagte er immer wieder.

      »Jedesmal, wenn ich dich zu einem Urlaub überreden konnte, hat es dir sehr gut gefallen«, erinnerte ihn meine Mutter manchmal an vergangene Urlaube. Aber er blieb dabei, er sei kein Urlauber.

      Auf dem Zettel an der Schlafzimmertür meiner Eltern stand:

      Den Narren packt die Reisewut,

      indes im Bett der Weise ruht.

      Der Schiedsrichter

      Wieder einmal saßen mein Vater und ich auf dem Sofa und sahen ein Fußballspiel.

      Mein Vater hatte eine Trillerpfeife in der Hand, mit der er lautstark piff, wenn er ein Foul gesehen hatte.

      »Hast du gesehen«, rief er aus, »wie der Tormann frech geschaut hat? Noch dazu im Strafraum!«

      »Wo denn sonst?«, sagte ich.

      »Dafür gibt es Elfmeter!«, rief mein Vater und ein lauter Pfiff ertönte.

      Dass sich niemand auf dem Bildschirm um seine Pfiffe kümmerte, störte ihn nicht.

      »Die Wappler wissen es eben nicht besser!«, sagte er. »Außerdem scheinen sie schwerhörig zu sein! Warum tun wir uns das an?«

      Als meine Mutter von der Arbeit nach Hause gekommen war, setzte sie sich zu uns aufs Sofa.

      Es war gerade Halbzeitpause.

      Mein Vater sagte zu ihr: »Sei darauf gefasst, heute bin ich der Schiedsrichter!«

      »Bitte nicht!«, rief meine Mutter, hielt sich die Hände an die Ohren und schüttelte den Kopf.

      Ich sagte: »Wenn Pfeifen pfeifen …«

      Vater hob die Augenbrauen, griff in die hintere Hosentasche und holte zu unserer Überraschung eine gelbe und eine rote Karte heraus.

      »Passt auf, was ihr sagt!«, meinte er. »Sonst müsst ihr das Spielfeld verlassen und dürft nicht mehr mitspielen.«

      Der neue Fernseher

      Als wir den neuen Fernseher bekamen, einen Flachbildschirm, schrieb mein Vater die vielen neuen Programme untereinander auf ein Blatt Papier. Darüber stand groß in seiner Handschrift:

       Die Programme

       Zu viel TV

      macht müde, lustlos, fad,

      grantig, öd, dumpf,

      überdrüssig, krank und tot.

      Und blöd natürlich auch.

       So schaut’s aus!

      Der Zettel lag ewig auf dem Tischchen vor dem Sofa. Die Schrift war zum Schluss schon ganz verschwommen, auf dem Papier waren Kaffeeflecken, Ränder von Rotweingläsern und andere Flecken.

      Heute wundert es mich, dass meine Mutter den Zettel so lange nicht weggeworfen hat. Es passte viel eher zu meinem Vater, etwas nicht wegzuwerfen.

      Stadionbad

      Zum ersten Mal in diesem Sommer besuchten wir das Stadionbad ganz in unserer Nähe. Meine Mutter ging zu Fuß, mein Vater und ich fuhren mit dem Fahrrad.

      »Immer lasst ihr mich allein«, sagte meine Mutter und tat so, als sei sie unglaublich traurig.

      »Frag’ dich, warum das so ist«, sagte mein Vater.

      »Warum ist das so?«

      »Denk’ nach, dann weißt du es!« – Das sagte mein Vater oft zu ihr. Ebenso wie: »Das musst du wissen!«

      Es war nicht immer ganz klar, was er meinte.

      Kuh spielen