Ich bin ganz am Ende des Fabrikgeländes und sicher nicht da, wo es Aushilfsarbeit (Montage, Marke P) für mich gibt. So kehre ich wieder an den Ausgangspunkt zurück, wobei ich mich erinnere, daß das neueste und zugleich höchste Haus, das kirchenschiffähnliche, großfenstrige, hellrote Gebäude mit dem mattblauen steilen Schieferdach am Eingange stand. Der Zufall will, daß ich gerade dort erwartet werde. Denn ich finde ungehindert durch die Drehtür Einlaß. Die Halle ist mindestens so hoch wie ein dreistöckiges Haus. Sie hat keine richtigen Mauern, sondern nur durch Ziegel nach außen verkleidete, innen nackte eiserne Konstruktionen, und zwischen ihnen Glaswände aus großen gerippten Scheiben, es sind nicht die winzigen, schulheftgroßen Fabrikfensterscheiben, wie man sie gewöhnlich in Fabrikhallen hat. Ein einziger Raum unter spitz zusammenlaufendem Dach. Eine Unmenge von sich drehenden, von hin und her schwingenden, von stampfenden und schiebenden Maschinenteilen, von fast nackten hellen Männerkörpern, von sich senkenden, sich schaukelnden und wendenden Kranen, die an silbrig glänzenden Ketten sich wie Arme im Räume bewegen, alles eingehüllt in eine Wolke feinen Staubes, wie eine sandige Rennbahn, durchflogen von einzelnen Funken und von den bläulichen Feuerbüscheln, die einem Schweißgebläse entströmen. Es sind mindestens zweihundert Arbeiter in der Halle beschäftigt. Man begreift nicht, wie sie Hand anlegen, sieht nur, wie alles sich bewegt und vom Fleck kommt. An der kurzen Wand der Halle stehen würfelförmige Gebilde aus grauem, ins Bläuliche hinüberschimmerndem Stahl, von der Größe einer Bauernhütte. Aus ihrer Mitte treten, näher kommend und gleichzeitig dünner werdend, fischähnliche Stücke Eisens in der Breite eines hundertjährigen Eichenstammes, von denen dann eine Art Hobelmesser kreischend spiralige Streifen abschält, in ähnlicher Weise wie die mechanische Kartoffelschälmaschine in der Hand eines Küchendieners von Onderkuhle, wobei sich hier sozusagen die Kartoffel selbst schält. Andere Werkzeugmaschinen bohren an vorgezeichneten Stellen Löcher in faustdicke Eisenplatten, als wäre es weicher Käse. Auf dem asphaltierten, von Öl beschmutzten, aber oft gesprengten Fußboden hocken Angestellte in ihren sandfarbenen Overalluniformen und zeichnen mit Schlämmkreide auf den unbearbeiteten Werkstücken dasjenige in vergrößertem Maßstabe mit ihren Zirkeln und Doppellinealen nach, was in den blau bezeichneten Plänen der Ingenieure angeordnet ist. Ohne daß man besonders aufgepaßt hat, hat sich inzwischen das fischähnliche Stück aus der Werkzeugmaschine losgemacht, die mit einem Male stillsteht. Ein von oben zurrend herabgleitendes Gebiß eines elektrischen Kranes nähert sich ihm, nimmt es unter Aufsicht eines Oberarbeiters in seine Klauen, trägt es über die unbekümmerten, schweißbedeckten Köpfe der Arbeiter fort in einen andern Teil des jetzt von flutender Sonne erfüllten Raumes, wo es mit einem im Getöse nicht wahrnehmbaren Lärm auf einen der Kleinbahnwaggons aufgeladen wird, wo schon Balken bereitstehen, an die das Stück gekettet oder angenietet wird. Es ist nur provisorisch auf den Balken befestigt und geht jetzt in eine andere Maschinenhalle.
Unerschütterlich sind die Mienen der Arbeiter. Sie haben einen Ausdruck, den ich niemals an Bauern oder an dem Personal unserer Anstalt bemerkt habe. Die Männer kommen scheinbar schon von Arbeit übersättigt morgens an. Sie sprechen nicht, sie rauchen nicht, sie scherzen nicht, sie vertreiben sich nicht die Zeit, obwohl sie nicht ununterbrochen beschäftigt, durchaus nicht »angebunden« sind. Sie stehen scheinbar unbeteiligt da, bis die Reihe an sie kommt und sie einen bestimmten Handgriff tun müssen. Diesen vollbringen sie aber derart mit dem letzten Aufgebot ihrer Kräfte, daß sich die Muskeln an den nackten Oberarmen fast hörbar straffen und ihnen der Schweiß von den Augenlidern auf die Mundwinkel und vom Hinterkopf auf den Nacken tropft. Einer liegt auf dem Fußboden und sieht von unten in ein Stück, wie ein Astronom in ein Fernrohr, und gibt mit unhörbarer, aber den Umstehenden dennoch verständlicher Stimme Anweisungen, offenbar Korrekturen, die sich die Leute sofort mit Kreide an dem Werkstück anzeichnen.
Kapitel Sechsundzwanzig
Mich hat man längst bemerkt, doch hat sich keiner von seinem Platz gerührt. Es scheint auch keine beamtete Aufsichtsperson im Saale zu sein, wenigstens vermag ich sie nicht von den andern zu unterscheiden. Ich durchirre den riesigen Raum, bis ich an den Fuß einer Leiterkonstruktion gekommen bin, zum Fundament eines der vielen Krane, die sich mit ihren langen Hälsen, ihren winzigen, nur auf eisernen Leitern erreichbaren Führerkabinen und den glitzernden Ketten über den Grundraum der Montagehalle erheben. Hier werde ich gerufen. Nicht mit einem richtigen Zuruf, sondern mit einem Pfeifchen, als wäre ich ein kleiner Hund. Aber wer kennt meinen Namen hier? Wie anders sollte man mich darauf aufmerksam machen, daß ich hier fehle? Es gilt mir. Ich habe das Signal verstanden und klettere als guter Turner flink die etwas schlüpfrige Leiter empor, ich verbeuge mich vor dem Kranführer, der mich aber nicht weiter beachtet. Ohne das Auge von der Tiefe unter ihm zu lassen, hält er mir die linke Hand hin. Die rechte hat er an dem Lenkrade. Aber er erwartet keinen kameradschaftlichen Händedruck von mir, sondern hat mir die Hand nur gereicht, um die Marke zu erhalten, die man mir vorhin eingehändigt hat. Er spricht nicht mit mir. Vielleicht weiß er nicht, daß ich zum erstenmal hier Dienst tun soll, vielleicht wäre aber bei dem herrschenden Getöse jede Verständigung unmöglich. (Später sah ich, daß man sich auch hier unterhalten konnte, jedenfalls brauchte man die Stimme durchaus nicht stark zu erheben. Wie das möglich war, weiß ich nicht.) Nun winkt er nach rechts in den Winkel der kleinen, nach Öl riechenden, mit nassen Tabakresten beschmutzten Kabine, wo eine blecherne Ölkanne und ein paar Werglappen liegen. Er bedient ohne Unterbrechung den Kran. Wendet ihn nach außen, nach innen, hebt ihn, senkt ihn, alles auf den Zentimeter genau, auf die halbe Sekunde präzis. Er arbeitet mit seinen schweren Ketten fast lautlos, er ist ein Meister in seinem Fach. Mir weist er bei der ersten Atempause der Maschine meine Arbeit an: federnde Deckel der Maschine lüften, den Hals der Ölkanne daran halten, die Kanne seitlich fest zusammendrücken, andere Schmierstellen durch Abdrehen der Kapsel frei machen, mit festem Fett schmieren, das in einer alten Nickelbüchse liegt, das überschüssige mit einem Streichhölzchen fortstreichen, die Leiter herauf- und herabklettern, die Werkstücke besser postieren, sie mit Holzwolle umhüllen, damit der Transport sie nicht beschädigt. Die Arbeit, die ich zu dieser Zeit zu verrichten hatte, war nur Arbeit letzten Ranges, etwa wie die, die bei uns in Onderkuhle der Stallpage zu verrichten hatte. Denn weder die eigentliche Wartung der Pferde war dessen Amt, denn diese Wartung gehörte zu den vom Meister fest vorgeschriebenen und von den Reitlehrern und von den Gutsbeamten kontrollierten Obliegenheiten der Pferdeknechte, noch auch die persönliche Bedienung des Meisters war sein Amt, denn dieser hatte keinen Anspruch darauf. So war der Stallpage überzählig. Ich in der Turbinenfabrik nicht anders.
Die Arbeit des Kranführers, meines Vorgesetzten, ist keine ununterbrochene. Es vergehen oft zwanzig Minuten, während der Kran ruhig steht, bloß erschüttert von dem explosionsartig einsetzenden Lärm und Beben der automatischen Dampfhämmer in der Nachbarhalle, die dann plötzlich wieder verstummen. Während dieser Zeit konnte der Führer sich an Kaffee erholen. Alkohol war offiziell verboten, dies stand schon in der Aufnahmekanzlei angeschlagen und war sofortiger Kündigungsgrund. Kam »sein« Kran an die Reihe, dann gab man ihm ein Zeichen, das er meist gar nicht brauchte, denn er hatte schon seine teils hydraulisch, teils elektromagnetisch angetriebene Maschine in Gang gesetzt. Die Arme greifen aus, man rückt unten noch näher heran, das Stück wird von den Klauen erfaßt, entweder direkt, wenn es sich um kleinere Stücke handelt, oder es wird eine große Kette darum geschlungen, in die ein fragezeichenähnliches Zwischenstück eingeführt wird. Es gibt aber auch Greifkrane, die lose Eisenteile zusammenraffen können, um sie in die kleinen Waggons zu schaffen. Wenn die Masse emporgewunden ist und den höchsten Punkt erreicht hat, beginnt sie seitlich zu schwanken, wobei es die besondere Kunst des Kranführers ausmacht, diese seitlichen Schwingungen möglichst zu vermeiden, da sie das Material des Krans, Ketten und Übertragung, anstrengen und der Fall nicht ausgeschlossen wäre, daß sich einmal die Last frei macht, trotzdem die Klauen durch Elektromagnetismus aneinandergepreßt bleiben, solange der Strom hindurchgeht. Aber mein Vorgesetzter ist seiner Sache sicher, ein Stück mag hundert Zentner oder